Ausgebildet, integriert – und abgeschoben "Dann kam die Polizei": Offenbacher Kita-Erzieherin muss plötzlich gehen

Sie betreute in Offenbach Kleinkinder, lernte Deutsch, organisierte Yogakurse – jetzt ist Amira plötzlich weg. Die Erzieherin aus Afghanistan ist nach Litauen abgeschoben worden. Mit dem hr spricht sie über ihre verzweifelte Lage.

Im Bildvordergrund scharf eine Spielburg, im Hintergrund unscharf spielende Kinder einer Kita.
In Offenbach ist eine Kita-Mitarbeiterin abgeschoben worden (Symbolbild) Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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Es war ein Morgen Ende Mai, als das Team der Kita "Die Krabbelstubb" eine Sprachnachricht von ihrer Kollegin Amira erhält. Die junge Frau sagt ab – nicht krank, nicht verspätet, aber unter Schock: Die Polizei stehe vor der Tür. Kurz darauf ist sie weg.

Abgeschoben nach Litauen, gemeinsam mit ihrem Bruder. Ohne Vorwarnung, ohne richtigen Abschied. "Mir geht es psychisch sehr schlecht. Ich weine viel und weiß nicht weiter", sagt Amira dem hr am Telefon. Amira möchte ihren richtigen Namen und ihr Alter aus Angst nicht öffentlich nennen.

Amira fand in Offenbach schnell Anschluss

Die junge Frau stammt aus Afghanistan. Nach der Machtübernahme der Taliban floh sie nach Litauen, erhielt dort Schutz. Warum sie trotzdem weiter nach Deutschland zog? "In Litauen hatte ich eine Aufenthaltserlaubnis und grundsätzlich die Arbeitserlaubnis – aber leider wurde mir dort keine Chance gegeben, mich einzubringen", sagt sie. Deshalb sei sie weitergezogen.

2022 kam Amira nach Deutschland und lernte unter anderem mit YouTube-Videos Deutsch. Später machte sie einen Sprachkurs. In Offenbach fand Amira schnell Anschluss: beim Kita-Träger "Die Krabbelstubb", der dort mehr als ein Dutzend Einrichtungen betreibt.

Ein Mann und eine Frau nebeneinander
Bastian Klinzing und Hanna Fischer vom Kita-Träger "Die Krabbelstubb" setzen sich für Amiras Rückkehr ein. Sie prüfen rechtliche Wege für eine mögliche Rückkehr. Bild © Hanna Fischer, privat

"Schon bei ihrer Bewerbung waren wir beeindruckt", erinnert sich Vorständin Hanna Fischer. "Aber wir dachten auch: Das kann man ja heute mit ChatGPT alles glätten." Aber Amira überzeugte auch vor Ort. "Sie sprach ein erstaunlich gutes Deutsch, war herzlich, engagiert – einfach eine Bereicherung."

Schon bald übernahm sie feste Aufgaben. Sie betreute eine eigene Kindergruppe, organisierte Yogakurse und schrieb den Kita-Newsletter. Selbst in der Extremsituation ihrer Abschiebung habe sie noch an das Team gedacht und Bescheid gesagt, dass sie nicht kommen könne, so Fischer.

Ein zweites Mal alles zurücklassen

"Ich habe so viel investiert in dieses Leben in Deutschland. So viele kurze Nächte, so viel Lernen. Ich habe mich so angestrengt, dazugehören zu dürfen", sagt sie. "Und jetzt soll das alles umsonst gewesen sein?"

Vor drei Jahren habe sie in Afghanistan alles zurücklassen müssen – ihren Job, ihr Zuhause, ihr altes Leben, erklärt Amira. "Ich musste überstürzt fliehen und nachdem ich in einer neuen Gesellschaft Fuß fassen konnte, habe ich jetzt wieder alles verloren."

"Mein Leben, wie ich es aufgebaut hatte, ist vorbei"

In Afghanistan hatte Amira Pädagogik studiert und bereits als Erzieherin gearbeitet. In Deutschland war sie auf dem Weg zur offiziellen Anerkennung. "Gerade lief ihr zweites berufspraktisches Jahr", erklärt Geschäftsführer Bastian Klinzing vom Kita-Träger "Die Krabbelstubb" . Danach hätte sie als Fachkraft anerkannt werden können. "Wir hatten sie fest eingeplant."

Das gute Arbeitverhältnis bestätigt auch Amira. "Ich war glücklich. Ich hatte meinen Platz gefunden. Ich wollte hier bleiben, arbeiten, einen Unterschied machen für die Kinder." Dann kam die Polizei. Amira erinnere sich ganz genau: "Ich war noch im Schlafanzug. Die Polizei hat gesagt: Sie müssen jetzt mitkommen."

"Ich durfte nur das Nötigste einpacken. Ich habe nur noch geweint", berichtet sie weiter. Mehrfach habe sie die Polizisten angefleht: "Wir sind nicht kriminell. Warum geht ihr so mit mir und meinem Bruder um?" Ihre Stimme bricht beim Telefonat. "Ich wusste nicht, wohin ich komme. Ich wusste nur: Mein Leben, wie ich es aufgebaut hatte, ist vorbei."

Ein tiefer Vertrauensbruch

Schon vor ihrer Arbeit in der Kita engagierte sich Amira ehrenamtlich – beim Deutschen Roten Kreuz, bei der Caritas und in einem Umweltverein in ihrem Wohnort. "Ich dachte: Wenn ich mich integriere, die Sprache lerne und arbeite, dann darf ich bleiben. Aber das hat niemanden interessiert", sagt Amira. "Ich bin einfach nur müde. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Ich hätte nie gedacht, dass man so tief fallen kann, obwohl man alles richtig machen wollte."

Auch für das Kita-Team war es ein Schock, wie Vorständin Fischer erklärt. "Wir waren sprachlos." Für die Kinder entstand eine plötzliche Lücke. Zwei Gruppen mussten zusammengelegt werden. Eltern mussten informiert, Fragen beantwortet werden. "Alle wollten wissen: Wo ist Amira?"

BAMF: Integration spielt im Asylverfahren keine Rolle

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilte dem hr mit, man könne aus Datenschutzgründen keine Auskunft zu Einzelfällen geben. Grundsätzlich gelte aber: Ob jemand Deutsch lernt, arbeitet oder integriert ist, habe "keinen Einfluss auf das Asylverfahren".

"Das BAMF prüft ausschließlich, ob einer Person bei Rückkehr in ihr Herkunftsland eine Gefahr droht", so die Behörde. Nach einem abgelehnten Asylantrag ergehe eine Ausreiseaufforderung – die Abschiebung liege dann in der Verantwortung der Ausländerbehörden.

Im Fall Amira war laut Kita-Leitung ausschlaggebend, dass sie bereits in Litauen Schutz erhalten hatte. Eine Rückkehr wäre theoretisch über ein Arbeitsvisum möglich. Nach einer Abschiebung gilt allerdings in der Regel eine Einreisesperre. Wie lange sie in Amiras Fall greift, ist unklar.

Zurück in der Unsicherheit

Amira lebt nun wieder in Litauen, in einer Flüchtlingsunterkunft, wo sie sich mit ihrem Bruder ein gemeinsames Zimmer teilt. Es sei anders als in Deutschland. Die Bedingungen seien schwierig. "Ich kann gerade nicht klar denken", sagt sie am Telefon. "Ich bin verzweifelt. Ich wünsche mir einfach, dass das alles nicht wahr ist."

Sie vermisse die Kinder, das Team, den Alltag in der Kita, so Amira. Besonders als Frau falle es ihr schwer, mit der Situation umzugehen. "Wissen Sie, in Afghanistan ist es nicht einfach als Frau. Ich dachte, hier wird es anders. Aber jetzt bin ich wieder zurück in der Unsicherheit."

Hoffnung trotz allem

Ihr Appell: "Ich wünsche mir, dass die Behörden nicht nur auf das Papier schauen. Sie sollen sehen, wer ich bin. Warum darf ich nicht bleiben?"

Ihr Schutzstatus in Litauen gilt noch bis 2027. Was danach passiert, weiß sie nicht. Auch der Aufenthalt ihrer Familie in Deutschland ist unklar. Trotz allem gibt sie die Hoffnung nicht auf: "Ich will zurück. Ich will meine Ausbildung zu Ende bringen. Das wird für immer mein Traum bleiben."

Auch die Kita will sie nicht aufgeben: "Wir prüfen alle Wege, ob und wie eine Rückkehr möglich ist", sagt Geschäftsführer Klinzing. "Wir stehen weiter hinter ihr."

Quelle: hessenschau.de