Dom St. Salvator zu Fulda

Bei Nachforschungen zu sexuellem Missbrauch im Bistum Fulda beteiligen sich auch Ex-Polizisten. Sie suchen nach Hinweisen in Aktenbergen, sollen aus Puzzle-Teilen ein aussagekräftiges Bild erstellen. Dabei offenbaren sich viele Probleme.

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Bistum Fulda arbeitet Missbrauch auf

Missbrauchsaufarbeitung Bistum Fulda
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Der ehemalige Kriminalbeamte möchte unerkannt bleiben. Lieber nicht öffentlich in Erscheinung treten. Mit Journalisten über seinen Nebenjob bei der katholischen Kirche reden, möchte er nicht, sagt der Mann und wirkt recht scheu. Bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Reportern des Hessischen Rundfunks (hr) während einer Recherche beim Bistum Fulda geht der Mann dem Versuch eines spontanen Interviews aus dem Weg. Reden sollen lieber andere.

Dabei hätte der frühere Kripo-Beamte aus Fulda, der bis zu seinem Ruhestand auch im Bereich Organisierte Kriminalität ermittelte, bestimmt viel zu erzählen. Etwa was er schon herausgefunden hat, seitdem er das Bistum bei Nachforschungen unterstützt. Denn er und vier weitere ehemalige, vom Bistum bezahlte Kriminalbeamte zählen zu einem Ermittler-Team, das sich mit Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche befasst.

Womöglich einmalige Expertise von Ex-Kripobeamten

Dass frühere Kriminalbeamte einem Bistum bei Missbrauchsermittlungen helfen, ist ungewöhnlich - womöglich einmalig. Er kenne keinen weiteren Kirchenbezirk in Deutschland, in dem auf solche Expertise zurückgegriffen werde. Meistens würden Anwaltskanzleien oder Universitäten beauftragt, sagte Gerhard Möller dem hr. Der ehemalige CDU-Oberbürgermeister der Stadt Fulda ist der Sprecher der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Fulda.

Die Kommission soll Fälle von 1946 bis in die Gegenwart aufarbeiten. Sie soll Zahlen erheben, den Umgang mit Betroffenen und Beschuldigten untersuchen und Missbrauch begünstigende Strukturen benennen.

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Mitglieder der Aufarbeitungskommission

In der neunköpfigen Kommission arbeiten unter anderem mehrere Juristen, eine Sozialpädagogin, eine Sozialarbeiterin, ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, außerdem zwei Betroffene aus dem gemeinsamen Betroffenenrat der Bistümer Fulda und Limburg. Neben dem früheren Fuldaer Oberbürgermeister Gerhard Möller als Sprecher der Kommission sind zwei weitere Personen im Vorstand: der Direktor des Amtsgerichts Schwalmstadt (Schwalm-Eder-Kreis), Philipp Zmyj-Köbel, als Kopf des Bereichs "Akteneinsicht" und die Sozialpädagogin Edith Jordan für die Arbeitsgruppe "Betroffene hören".

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Die Kommission ist seit etwas mehr als einem Jahr tätig. Vor kurzem hat sie einen Zwischenbericht zu ihrer Arbeit veröffentlicht. Daraus geht unter anderem hervor, dass die Ausmaße des Missbrauchs im Bistum Fulda größer sind als zunächst angenommen. Von 111 statt 89 Betroffenen und 34 Tätern ist die Rede.

Gründlich statt schnell ermitteln

Weitere Zwischenberichte sollen nun jährlich folgen. Innerhalb von fünf Jahren will die Kommission einen Abschlussbericht vorlegen, wie sie dem hr sagte. Man wolle die Aufgabe nicht schnell, sondern vor allem gründlich erledigen, betont Vorstandsmitglied Philipp Zmyj-Köbel.

Es ist auch ein "Berg an Arbeit", vor dem die Kommission nach eigenem Bekunden steht. Sie verfolgt dabei zwei zentrale Ziele: Betroffene des Missbrauchs und Zeitzeugen hören und Akten sichten und aufarbeiten. Vor allem das Aktenstudium sei eine Mammutaufgabe: Untersucht werden sollen Schätzungen zufolge mehr als 1.800 Akten jeglicher Art aus den vergangenen Jahrzehnten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Missbrauchsaufarbeitung Bistum Fulda

Kritik an eigenwilliger Aktenführung der Kirche

Das Problem dabei, wie Zmyj-Köbel sagt: Die katholische Kirche sei nicht gerade ein leuchtendes Vorbild für eine nachvollziehbare Aktenführung nach modernem Standard gewesen. Vieles sei je nach Bischof unterschiedlich gehandhabt worden, resümiert er.

Bei der Auswertung hilft auch ein Historiker, der zum Beispiel die früher verwendete Sütterlinschrift lesen kann. Und die Ex-Kommissare im Team seien besonders geübt im Umgang mit großen Aktenmengen. Ihnen fielen auch schneller auffällige Einträge ins Auge, die auf Spuren zu Missbrauch hindeuteten, sagt Zmyj-Köbel.

Wie Ermittler Hinweise in Akten aufspüren

Auffällig in Akten seien etwa knappe und fragwürdige Einträge zu Versetzungen von Priestern. Die Ex-Polizisten seien extrem gut darin, aus den Puzzle-Teilen von Hinweisen ein Bild zusammenzufügen. Leichter hätten es die Ermittler, wenn sie in Akten von Disziplinarverfahren lesen, von "sittlichen Verfehlungen" oder einer "großen Nähe zu Jugendlichen". Noch eindeutiger sei es, wenn sich in Unterlagen offenbarende Briefe von Betroffenen befinden oder Selbstanzeigen von Tätern, wie Zmyj-Köbel skizziert.

Neben der Aktenarbeit hofft die Kommission weitere Betroffene und Zeitzeugen sprechen zu können, die auf die Kommission zukommen. Informationen zu Gesprächsangeboten befinden sich auf ihrer Internetseite. Edith Jordan aus der Arbeitsgruppe "Betroffene hören" berichtet, dass das Angebot rege genutzt werde.

Alter Fall neu auf dem Tisch

Darüber wurde der Kommission ein neuer Fall berichtet, der schon fast 60 Jahre zurückliegt. Eine Frau aus dem Landkreis Fulda habe angegeben, als junges Mädchen von einem Priester über Jahre hinweg missbraucht worden zu sein. Er habe als "Freund der Familie" Kontakt zu dem Mädchen gehabt. Der Missbrauch sei danach in der Familie lange tabuisiert worden. Sie habe extrem unter dem Missbrauch gelitten und sich nun im hohen Alter bei Betroffenen-Vertretern gemeldet.

Am Ende der Ermittlungen zum Missbrauch will die Kommission auch Aussagen darüber treffen können, unter welchen Bischöfen und Bistums-Verantwortlichen es statistisch gesehen am meisten Missbrauch gab.

Akteneinsicht für Betroffene angestrebt

Den Opfern sollen auch die sie betreffenden Akten zugänglich gemacht werden. "Ähnlich wie es die Stasi-Unterlagen-Behörde ermöglichte", sagte Zmyj-Köbel. Nach dem Zusammenbruch der DDR konnten Betroffene von staatlichen Repressionen nachlesen, was die sogenannte Staatssicherheit des DDR-Regimes zu ihnen in Akten festgehalten hatte.

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Umgang mit Missbrauch und Zahlungen

In allen katholischen Bistümern in Deutschland ist der Umgang mit sexualisierter Gewalt und Prävention ein Thema. Die Deutsche Bischofskonferenz und die auf dem Gebiet von Hessen liegenden Bistümer Fulda, Mainz und Limburg haben dazu viele Informationen zusammengestellt. Im Bistum Mainz wurde vor kurzem eine Studie mit "erschreckenden Ergebnissen" vorgestellt, wie es hieß.

Thema beim Umgang mit Missbrauch sind auch immer wieder Entschädigungen für Missbrauchsopfer. Im Bistum Fulda sind bis Ende 2022 an 44 Personen insgesamt 392.500 Euro in Anerkennung des erlebten Leides gezahlt worden.

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