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Verbände begrüßen Auslaufen der Impfpflicht

Einer Hand hält eine Spritze und sticht diese in einen Oberarm.

Die Corona-Impfpflicht im Gesundheitswesen soll zum Jahreswechsel wohl nicht verlängert werden. Das Bundesgesundheitsministerium begründet das mit der neuen Omikron-Variante "Cerberus". Verbände hatten schon lange gefordert, die Impfpflicht abzuschaffen.

Acht Monate ließ das Gesundheitsamt Walter Berle im Ungewissen. Acht Monate wusste der Leiter des Altenzentrums Eben-Ezer in Gudensberg (Schwalm-Eder) nicht, ob er seine zwei ungeimpften Mitarbeiter weiter einsetzen darf. Vergangene Woche erhielt er doch noch Post. Die Behörde erteilte den beiden Mitarbeitern ein Betretungsverbot für das Heim. Ob es dabei bleibt, ist offen. Nicht nur weil Berle sofort Einspruch gegen den Bescheid einlegte.

Die Chancen könnten tatsächlich hoch sein, dass seine Mitarbeiter bleiben dürfen. Denn das Bundesgesundheitsministerium plant offenbar, die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht mehr zu verlängern. Im Januar soll sie auslaufen, wie das ARD-Hauptstadtstudio am Montag aus Ministeriumskreisen erfuhr. Am Dienstag berichteten darüber auch verschiedene Nachrichtenagenturen.

Berle, der auch für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen spricht, würde das begrüßen. "Wenn selbst die Isolationspflicht aufgehoben ist, ergibt die Impfpflicht doch überhaupt keinen Sinn mehr", meint er. Er sei auf jede einzelne Pflegefachkraft angewiesen. Den 300 anderen Einrichtungen im Verband gehe es genauso. Alle bräuchten mehr Personal.

Lange Verfahren, kaum Folgen

Seit März gilt die Impfpflicht für Beschäftige im Gesundheitswesen, in Hessen betrifft sie rund 250.000 Menschen. Mindestens 18.000 ohne entsprechende Nachweise wurden von den Arbeitgebern gemeldet, wie eine hr-Umfrage unter den Gesundheitsämtern im September ergab. Doch Konsequenzen hatte das zunächst kaum: Weil die Gesundheitsämter jeden Einzelfall genau prüfen mussten, zogen sich die Verfahren über Monate. Legte der Arbeitgeber überzeugend dar, dass er ohne den Mitarbeiter nicht auskommen konnte, durfte dieser bleiben.

Selbst wenn ein Betretungsverbot ausgesprochen wurde - bisher sei es, wenn überhaupt, nur in den wenigsten Fällen zur Umsetzung des Verbots gekommen, sagt Sonja Driebold. Sie leitet die Abteilung Gesundheit, Alter und Pflege bei der Diakonie Hessen. Die Impfpflicht sei letztlich vor allem eines gewesen: eine "Arbeitsbeschaffungsmaßnahme", meint sie. "Ich würde so weit gehen zu sagen, dass es die Einrichtungsleitungen vorziehen würden, wenn die Impfpflicht sofort ausgesetzt würde."

Idee gut - Umsetzung schlecht

Driebold spricht für rund 140 stationäre Einrichtungen und 130 ambulante Pflegedienste der Diakonie in Hessen. Die Impfpflicht habe die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort sehr belastet und die personelle Situation verschärft, sagt sie. Dabei sei die Idee, besonders gefährdete Menschen zu schützen, ursprünglich sinnvoll gewesen. Die Umsetzung habe aber nicht funktioniert. Ihr seien kaum Fälle bekannt, in denen sich ungeimpfte Mitarbeiter nach Einführung der Impfpflicht noch zu einer Impfung überzeugen ließen.

Neben einem enormen bürokratischen Aufwand habe die Impfpflicht also den Fachkräftemangel verschärft - weil sich ungeimpfte Beschäftigte "in vorauseilendem Gehorsam" Jobs in anderen Branchen suchten und neue ungeimpfte Kräfte nicht mehr eingestellt werden durften. Außerdem, sagt Driebold, sei der Schutz der Bewohner sehr einseitig auf die Beschäftigten abgewälzt worden, während Angehörige und die Bewohner selbst nicht geimpft sein mussten. Bei alledem sei es "folgerichtig", die Impfpflicht nun aufzuheben.

Neue Omikron-Variante breitet sich aus

Ob diese Punkte im Bundesgesundheitsministerium eine Rolle spielten, ist nicht bekannt. Gegenüber den Nachrichtenagenturen AFP und epd begründete ein Sprecher das voraussichtliche Auslaufen der Impfpflicht am Dienstag anders: mit der neuen Omikron-Sublinie BQ.1.1. Diese werde voraussichtlich zum Jahreswechsel dominieren, sagte er. Und weil eine Impfung die Übertragung der neuen Subvariante "nur noch begrenzt" verhindere, gebe es keine medizinische Begründung mehr für die Impfpflicht.

Laut Robert-Koch-Institut machte die Untervariante BQ.1.1 in der ersten Novemberwoche acht Prozent aller Corona-Infektionen in Deutschland aus. In anderen Ländern sei die als "Höllenhund" oder "Cerberus" bezeichnete Untervariante bereits eine der häufigsten, berichtet das RKI.

Virologe Stürmer rät zur vierten Impfung

Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer hält die Begründung der Bundesregierung für zweifelhaft. "Die Impfpflicht war vorher schon gescheitert. Aber das hätte man einfach zugeben können, statt Pseudo-Argumente zu suchen." Der Virologe hält eine Impfung weiter für wichtig. Vor einer schweren Erkrankung schütze sie auch weiterhin, was sowohl für die älteren als auch für die angepassten Impfstoffe gelte. Studiendaten zeigten, dass der an die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 angepasste Impfstoff auch Antikörper gegen BQ.1.1 erzeuge.

Nach Stürmers Einschätzung stecken sich insbesondere diejenigen mit BQ.1.1 an, die in den letzten sechs Monaten nicht geimpft wurden und auch nicht mit BA.5 infiziert waren. Daher rate er dazu, sich in diesem Fall jetzt eine vierte Impfung geben zu lassen - auch wenn die Ständige Impfkommission dies erst ab 60 Jahren oder für Menschen mit Vorerkrankungen empfiehlt. Denn, so Stürmer, ins Leere laufe der Impfschutz auch bei der neuen Untervariante nicht.