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Mahnwachen von Abtreibungsgegnern - Ruf nach einer Bannmeile

Mahnwache vor der Beratungsstelle von Pro Familia in Frankfurt.

Seit Jahren belagern Abtreibungsgegner zwei Mal pro Jahr eine Beratungsstelle von Pro Familia in Frankfurt. Versuche der Behörden, die Mahnwache zu verlegen, scheiterten bislang. Ein Bundesgesetz könnte Abhilfe schaffen - doch das wäre nach Auffassung des hessischen Innenministeriums unzulässig.

Ein stiller Protest ist es nicht. Wer in den letzten Wochen zur Mittagszeit den kleinen Platz vor dem Haupteingang zum Frankfurter Palmengarten überquerte, musste die Gruppe von meist etwa zehn Männern und Frauen wahrnehmen, die an seinem westlichen Ende tagtäglich Position beziehen. In den Händen halten sie Rosenkränze, großformatige Marienportraits oder Plakate mit der Aufschrift "Abtreibung ist keine Lösung". Akustisch untermalt wird der Protest von gemurmelten Gebeten. Der Adressat dieser Mahnwache: Die Beratungsstelle von Pro Familia am anderen Ende des Platzes.

Seit nunmehr sechs Jahren spielt sich im Frankfurter Westend zwei Mal im Jahr dasselbe Schauspiel ab. Von Aschermittwoch bis kurz vor Ostern und dann noch mal im Herbst beziehen die Abtreibungsgegner der Initiative "40 Tage für das Leben" Position in der Palmengartenstraße. Ihr kurzfristiges Ziel: Frauen von einem Schwangerschaftsabbruch abzuhalten. Langfristig, so steht es auf der Homepage der Organisation zu lesen, wollen sie das Ende von Abtreibungen - weltweit.

Frauendezernentin protestiert

Die Mahnwache selbst ist alles andere als ein Spektakel. Doch bevor feministische Aktivistinnen in Eigenregie einen Sichtschutzzaun in der Mitte des Platzes installierten, gab es für Ratsuchende kaum eine Möglichkeit, die Mini-Demonstration zu übersehen. Im ersten Jahr standen die Abtreibungsgegner sogar direkt vor dem Eingang der Beratungsstelle.

An diesem Mittwoch jedoch steht nicht nur der Sichtschutz zwischen der Mahnwache und Pro Familia. Die Gebete werden übertönt von fröhlichem Gelächter. Wenige Schritte entfernt haben sich Mitarbeiterinnen von Frauendezernat und Frauenreferat zu einem "feministischen Mittagsimbiss" getroffen, als Gegenaktion zur Mahnwache.

Die Frankfurter Frauendezernentin Rosemarie Heilig (Grüne) bei einer Protestaktion gegen die Anti-Abtreibungsmahnwache in Frankfurt.

Auch Frankfurts Frauendezernentin Rosemarie Heilig von den Grünen ist da. "Paare oder Frauen, die hierherkommen, sind in einer ganz schwierigen Lebenssituation", sagt sie. "Es muss doch möglich sein, dass man ohne solche Belästigung anonym zu einer Beratungsstelle gehen kann."

Stadt will die Mahnwache loswerden

Tatsächlich versucht die Stadt Frankfurt bereits seit Jahren, die Mahnwache loszuwerden - oder sie zumindest aus der unmittelbaren Nähe der Beratungsstelle zu verbannen. Keine einfache Angelegenheit, denn Demonstrationsverbote oder -verlegungen sind in der Regel nur durch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu rechtfertigen.

Die Frankfurter Behörden argumentieren mit dem Persönlichkeitsrecht der Ratsuchenden. Vor allem Frauen, die gesetzlich verpflichtet sind, sich vor einem eventuellen Schwangerschaftsabbruch beraten zu lassen, könne nicht auch noch ein "Spießrutenlauf" zugemutet werden.

Im Februar 2020 verfügte das Ordnungsamt daher, dass die Mahnwache während der Öffnungszeiten der Beratungsstelle nur an einer gut 100 Meter entfernten Kreuzung stattfinden darf - außerhalb der Hör- und Sichtweite von Pro Familia. Die Organisatoren klagten dagegen - mit Erfolg.

Richterlicher Segen für die Mahnwache

Im Dezember 2021 urteilte das Frankfurter Verwaltungsgericht zugunsten der Mahnwache. Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergebe sich kein Anspruch der ratsuchenden Frauen, mit bestimmten Meinungen nicht konfrontiert zu werden, hieß es sinngemäß im Urteil. Hingegen umfasse das Recht auf Versammlungsfreiheit gerade auch die Wahl des Ortes und der Zeit.

Die Stadt versuchte dennoch im Frühjahr 2022, die Mahnwache erneut mit Auflagen einzuschränken - und kassierte prompt die nächste Niederlage. In einem Eilsacheverfahren entschied nun auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH), dass die Abtreibungsgegner an ihrem angestammten Platz demonstrieren dürfen.

Im Gegensatz zu ihren Frankfurter Kollegen gingen die Richter in Kassel allerdings davon aus, dass die Persönlichkeitsrechte der Schwangeren grundsätzlich eine Einschränkung und Verlegung der Mahnwache rechtfertigen könnten. Allerdings nur dann, wenn die Betroffenen andernfalls keine Möglichkeit hätten, einer Konfrontation mit den Abtreibungsgegnern aus dem Weg zu gehen.

Im Frankfurter Westend jedoch könne davon keine Rede sein. Die Mahnwache halte schließlich Abstand zum Eingang von Pro Familia und sei durch eine Reihe von Büschen auch optisch von der Beratungsstelle getrennt.

Bundesgesetz bereits in Arbeit

Gegen das ursprüngliche Urteil des Frankfurter Verwaltunsgsgerichts ist weiterhin eine Beschwerde der Stadt Frankfurt anhängig. Zuständig ist erneut der VGH. Dass dieser diesmal grundsätzlich anders entscheiden wird als im Frühjahr 2022, ist nicht zu erwarten. "Deswegen haben wir jetzt nur noch eine Chance, nämlich eine gesetzliche Regelung von der Bundesregierung", sagt Frauendezernentin Heilig, "da setzen wir auf unsere Familienministerin, die ja auch schon aktiv geworden ist. Es muss ein Gesetz geben, das Gehsteigbelästigung verbietet."

Tatsächlich hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bereits im Februar einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt. Details wurden nicht bekannt - nur das Ziel: Keine Demonstrationen oder Mahnwachen von Abtreibungsgegnern in unmittelbarer Nähe von Beratungsstellen und Arztpraxen.

"Ein solches Gesetz muss kommen, zum Schutz der Schwangeren, aber auch zum Schutz der Beratenden und Ärzte", sagt Friedhelm Hufen. Der ehemalige Richter am Verfassungsgerichtshof von Rheinland-Pfalz hat sich bereits als Sachverständiger im Hessischen Landtag für eine entsprechende gesetzliche Regelung ausgesprochen. Doch nicht alle teilten seine Meinung.

Innenministerium sieht keinen Regelungsbedarf

Andere Sachverständige argumentierten damals, dass den Behörden bereits ausreichend rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung stünden, um den Zugang zu Beratungsstellen zu gewährleisten. "Die Praxis seitdem zeigt aber, dass die bisherige Regelung nicht ausreicht und dass deswegen eine gesetzliche Konkretisierung erfolgen muss", sagt Hufen.

Tatsächlich aber dürfte sich die rechtliche Verankerung einer "Bannmeile" auf Bundesebene mindestens als schwierig erweisen. Denn das Versammlungsrecht ist seit 2006 Ländersache. Der Bund darf dieses nur regeln, solange die Länder von ihrer Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch machen. Hessen allerdings hat erst vergangene Woche ein neues Versammlungsrecht beschlossen. Dieses enthält keine Bestimmungen zum Schutz von Beratungsstellen oder Praxisräumen.

Das Innenministerium in Wiesbaden erklärt auf hr-Anfrage, dass ein pauschales Verbot von Demonstrationen vor Beratungsstellen oder Arztpraxen einen nicht zu rechtfertigenden schweren Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit darstellen würde. Bereits jetzt sei es rechtlich möglich, durch Auflagen und Verbote den ungehinderten Zugang sicherzustellen. Eine spezielle Regelung im Versammlungsrecht sei daher weder notwendig noch rechtlich vertretbar.

Umweg über das Schwangerschaftskonfliktgesetz

Aus Sicht von Friedhelm Hufen hätte der Bund allerdings noch die Möglichkeit, entsprechende Vorschriften außerhalb des Versammlungsgesetztes zu verankern - beispielsweise im Rahmen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes. Dieses fällt in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Ob ein solches Gesetz dann auch verfassungskonform ist, hänge von der Formulierung ab. Einfach eine Bannmeile für Demonstrationen rund um Beratungsstellen, Praxen und Kliniken einzuführen, sei wenig aussichtsreich. "Je einzelfallbezogener und verhältnismäßiger man das macht, desto sicherer ist es."

Keine Bannmeile durch die Hintertür

Doch auch in dieser Frage ist das hessische Innenministerium anderer Auffassung. Eine "Bannmeile durch die Hintertür" - etwa durch die Verankerung im Schwangerschaftskonfliktgesetz - erachtet man im Ministerium von Peter Beuth (CDU) als nicht zulässig. Denn mit dem neuen Versammlungsrecht habe das Land eine abschließende Regelung getroffen. "Neuregelungen sind davon nicht mehr gedeckt. Gleiches gilt auch für eine Platzierung innerhalb des Schwangerschaftskonfliktgesetzes", heißt es auf hr-Anfrage.

Abseits der Kompetenzfrage könnte eine wie auch immer geartete Bannmeilen-Regelung juristisch anfechtbar sein. Denn eine Gesetzgebung, die spezifisch auf die Proteste von Abtreibungsgegnern zugeschnitten wäre, könnte gegen das Verbot von Einzelfallgesetzen verstoßen - und weitere Klagen nach sich ziehen.

Die Mahnwachen werden Justiz und Politik also noch länger beschäftigen. Die Angestellten und Ratsuchenden bei Pro Familia immerhin werden demnächst wieder ihre Ruhe haben. Am Sonntag endet die aktuelle Kampagne von "40 Tage für das Leben".

Aber schon jetzt steht fest: Im Herbst werden die Abtreibungsgegner wiederkommen.

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