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Raunheim zahlt 800.000 Euro Provision

Gebäuderiegel in Raunheim - Neubaugebiet - im Hintergrund Baukräne

Ein Amtsleiter in Raunheim soll für den Verkauf städtischer Grundstücke mehrere hunderttausend Euro Provision bekommen haben. Beschlossen wurden die Zahlungen noch unter Führung des verstorbenen SPD-Bürgermeisters Thomas Jühe.

Die Stadt Raunheim (Groß-Gerau) hat mit neuen Gewerbeflächen, wie zum Beispiel dem Airportgarden, in den vergangenen Jahren florierende Gewerbegebiete erschlossen und verkauft. Große Firmen wie die Lufthansa haben hier Büros errichtet und bringen der Stadt Gewerbesteuereinnahmen.

Die erfolgreiche Vermarktung städtischer Gelände gehörte zu den Erfolgsgeschichten des Ende 2022 verstorbenen langjährigen Bürgermeisters Thomas Jühe (SPD). Doch nach und nach mehren sich Informationen, die die Geschichte in einem weniger glänzenden Licht erscheinen lassen.

Der vor kurzem bekannt gewordene Beschluss des Magistrates vom März 2016, an einen leitenden Mitarbeiter der Verwaltung Provisionen zu zahlen, hat in der 17.000-Einwohner-Gemeinde mächtig Staub aufgewirbelt. Die Main-Spitze und die FAZ haben bereits darüber berichtet.

Beschluss über erfolgsorientierte Provisionen

Angestoßen hat die Debatte Werner Wicht. Der 79-jährige ehemalige SPD-Stadtverordnete schrieb Ende vergangenen Jahres erstmals auf seiner Facebookseite über den damaligen Beschluss, der dem hr vorliegt. Darin heißt es, dass "rückwirkend, beginnend mit dem 1.10.2015, endend am 30.9.2021, eine erfolgsorientierte Provision auf rechtskräftige Grundstücksverkäufe in Höhe von 2,1 Prozent des Grundstückspreises gewährt wird".

Die Gemeinde hat in dem Zeitraum, der von dem Beschluss abgedeckt wird, Grundstücke für mindestens 40 Millionen Euro verkauft. Demnach müssten bei 2,1 Prozent Provision rund 800.000 Euro an den Angestellten geflossen sein, rechnet Wicht vor.

Die Verkaufswerte lassen sich anhand des Raunheimer Informationssystems für die Stadtverordneten überprüfen. Sie stehen in dort veröffentlichten Drucksachen.

Anzeige gegen den Magistrat

Zwei weitere große Grundstücksdeals lassen sich dort für die Zeit nach dem Auslaufen des Beschlusses Ende September 2021 finden. Betreiber von Rechenzentren haben Grundstücke für mehr als 40 Millionen Euro gekauft. Ob darauf Provisionen bezahlt worden sind, ist offen.

Wicht will geklärt wissen, ob eine solche Provisionszahlung rechtlich überhaupt zulässig ist. Er hat bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt Anzeige gegen den Magistrat erstattet. Die Ermittlungsbehörde betätigte dem hr auf Anfrage noch eine weitere Anzeige in diesem Zusammenhang. "Die entsprechenden Anzeigen sind hier eingegangen und werden aktuell bearbeitet."

"Nicht üblich und rechtlich problematisch"

Der Jurist Joachim Wieland meint, dass Provisionszahlungen in solchen Dimensionen nicht üblich und rechtlich problematisch sind. Der emeritierte Professor lehrte an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer.

Für Wieland bietet die Hessische Gemeindeordnung keine Spielräume, einem Angestellten mehrere hunderttausend Euro Provision zukommen zu lassen. Das verstoße gegen das Prinzip der Wirtschaftlichkeit, wonach eine Gemeinde sparsam wirtschaften müsse und auch gegenüber einzelnen Personen nicht großzügig sein dürfe.

Jurist stellt Rückzahlungen in den Raum

"Das heißt, man hat in rechtswidriger Weise bezahlt und rechtswidriger Zahlungen müssen in einem Rechtsstaat zurückgefordert werden", erklärt Wieland dem hr, bezogen auf die Raunheimer Provisionszahlung.

Auch das dem damaligen Magistratsbeschluss zugrundeliegende Argument, der Mitarbeiter würde sich ohne Provision einen besser bezahlten Job in der Privatwirtschaft suchen, lässt Wieland nicht gelten.

Es sei die Entscheidung eines jeden Arbeitnehmers, ob er im öffentlichen Dienst bleibt. Entscheide man sich dafür, "dann gibt es nur eine angemessene Bezahlung, aber nicht die, die man in der Privatwirtschaft mit allen damit verbundenen Risiken dort erzielen kann."

Anonyme Hinweise an das Regierungspräsidium

Der gerade ins Amt eingeführte Bürgermeister David Rendel (SPD) will sich zur Sache nicht äußern: "Sollte tatsächlich eine Anzeige gegen den Magistrat der Stadt Raunheim gestellt worden sein, handelt es sich mithin um ein laufendes Verfahren bzw. laufende Ermittlungen. Darüber hinaus sind die von Ihnen angefragten Informationen mitunter datenschutzrechtlich relevant", schreibt er auf hr-Anfrage. Der leitende Angestellte hat Fragen bislang nicht beantwortet.

Wie das für die Kommunalaufsicht zuständige Regierungspräsidium Darmstadt mitteilt, seien seit Anfang des Jahres mehrere anonyme Hinweise zu den Provisionen eingegangen. Diese seien an den Landrat des Kreises Groß-Gerau als zuständige Kommunal- und Dienstaufsichtsbehörde über die Stadt Raunheim und deren kommunale Wahlbeamte zur Prüfung abgegeben worden.

Der Landkreis erklärt auf hr-Anfrage, er habe daraufhin die Stadt Raunheim um eine Stellungnahme gebeten. "Die Stellungnahme liegt mittlerweile vor. Eine abschließende Bewertung des Vorgangs steht noch aus."

Vorwürfe zu "Teambuilding-Maßnahmen"

Möglicherweise kommt auf die Kontrollbehörden in nächster Zeit noch mehr Arbeit zu. Werner Wicht liegen Informationen vor, wonach Mitarbeiter der Stadt mehrfach nach Österreich gefahren sein sollen, um dort an Jühes Ferienhaus Arbeiten auszuführen.

Fotos, WhatsApp Nachrichten, Tank- und Mautquittungen, die dem hr vorliegen, enthalten Hinweise, wonach 2021 und 2022 zwei solche Fahrten mehrerer Mitarbeiter der Stadt stattgefunden haben.

Bei der Organisation und Umsetzung der Auslandseinsätze war der Angestellte, der die Provisionen bekommen haben soll, direkt involviert. Das geht aus Chatverläufen hervor, die dem hr vorliegen.

Ein Haus mit Holzverkleidung und Gerüst an der Seite - in bewaldeter Umgebung.

Die Chats legen auch den Verdacht nahe, dass Holzbohlen von einer Aussichtsplattform an einem Altmain-Arm in Raunheim im Bauhof der Stadt aufgearbeitet wurden, um sie dann mit einem Fahrzeug der Stadt nach Österreich fahren zu lassen. Dort sollen sie dann an dem Ferienhaus verbaut worden sein.

Wie mehrere Informanten dem hr bestätigten, wurden diese Reisen intern als Maßnahmen zum Teambuilding bezeichnet. Auf einer Tankquittung wurde von einem Teilnehmer der Fahrt Anfang Oktober 2022 handschriftlich als Grund für die Dienstreise "Treibstoff für Teambildung" vermerkt.

Wicht erhebt den Vorwurf, dass es auch nach dem Tod des ehemaligen Bürgermeister Jühe in der Stadt Raunheim Verantwortliche gebe, die mögliche Arbeitseinsätze auf Kosten der Steuerzahler gedeckt haben. Sie müssten seiner Meinung nach zur Rechenschaft gezogen werden.

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