Menschen warten früh morgens vor der Ausländerbehörde auf Einlass.

Seit zwei Jahren sind die untragbaren Zustände in der Darmstädter Ausländerbehörde bekannt - aber geändert hat sich kaum etwas. Betroffene berichten zudem von respektlosem Umgang. Die Stadt verspricht Besserung.

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Immer noch Chaos in Darmstadts Ausländerbehörde

Schriftzug am Darmstädter Bürger- und Ordnungsamt
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"Ich bin innerlich zerstört", sagt Aabid Saleh, während er um sechs Uhr morgens bei Minusgraden vor dem Darmstädter Luisencenter friert. Seit zwei Stunden steht der Mann aus Syrien bereits dort und muss noch weiter frieren, denn erst um halb sieben öffnen die Türen. Dann kann er hinauf in den zweiten Stock steigen, wo die Ausländerbehörde ihre Räume hat.

Es ist bereits das dritte Mal, dass Saleh mitten in der Nacht aufgestanden ist, um die Chance auf einen Termin bei der für ihn so wichtigen Behörde zu erhalten. Seit vergangenem August versucht er, einen Aufenthaltstitel zu bekommen. Die Voraussetzungen erfüllt er, die geforderten Unterlagen hat er beisammen – allein die Behörde bearbeitet sein Anliegen nicht. Sie antwortet nicht auf Mails, geht nicht ans Telefon, sogar die Schreiben von Salehs Anwalt werden nicht beantwortet.

Seit zwei Jahren keine Besserung

Die Probleme sind bekannt, Anfang 2021 hat der hr bereits über das Chaos an der Darmstädter Ausländerbehörde berichtet, vergangenen Sommer herrschten trotz Umzugs in neue Räume immer noch unhaltbare Zustände. Die Stadt gelobte Besserung, vor einem halben Jahr hat der neue Ordnungsdezernent Paul Wandrey (CDU) die Verantwortung für die Behörde übernommen und zusammen mit dem neuen Leiter Bernd Simon eine komplette Umstrukturierung angekündigt. Mehr Personal, Expressschalter, Zuständigkeiten nicht mehr nach Alphabet, sondern nach Fachbereichen.

Getan hat sich aber erneut kaum etwas. "Es ist nach wie vor aussichtslos", berichtet Sonja Plückebaum, eine Darmstädter Anwältin für Asylrecht. Teilweise seien Anliegen ihrer Klienten und Klientinnen seit über einem Jahr nicht bearbeitet.

Bei den Betroffenen hat sich in der Zeit viel Unmut aufgestaut. "Ich kann mich auf der Arbeit kaum noch konzentrieren und habe ständig schlechte Laune", beschreibt der als Verkäufer tätige Saleh seine Gemütslage – und er ist mit seinem Ärger nicht allein. "Fast 200-mal habe ich gestern versucht, anzurufen. Ohne Erfolg", klagt eine Frau vor dem Luisencenter.

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Nachts bei Minusgraden: Warten auf die Ausländerbehörde

In der Kälte wartende Menschen vor dem Luisencenter in Darmstadt
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In der Warteschlange auf dem dunklen und kalten Luisenplatz herrscht eine verzweifelte, leicht aggressive Stimmung, die Menschen fühlen sich von der Stadt Darmstadt, wahlweise auch von Deutschland, im Stich gelassen und irgendwie nicht willkommen.

Die Arbeit der Ausländerbehörde ist für sie von existenzieller Bedeutung. Einige können das Land nicht verlassen, weil sie ihren Aufenthaltstitel einfach nicht bekommen, andere finden deswegen keine Wohnung oder keine Jobs. Und die, die Jobs haben, fürchten, ihn zu verlieren, weil sie ständig Arbeitstage opfern müssen, um sich nachts vor der Ausländerbehörde anzustellen, wo sie dann meist den ganzen Tag verbringen.

"Sie reden mit mir wie mit einem Hund"

Fast alle, die sich zu Wort melden, erheben zudem einen weiteren Vorwurf gegen die Behörde: Sie würden schlecht behandelt. "Manche Menschen dort sind respektlos. Sie reden mit mir nicht wie mit einem Menschen, eher wie mit einem Hund", berichtet Enis Khalil. Laith Alawi, ein Akademiker aus dem Irak, der in Darmstadt in der Pflege arbeitet, fühlt sich von der Behörde wie ein Mensch "zweiter oder dritter Klasse" behandelt.

Nachdem die Tür des Luisencenters schließlich aufgegangen ist, müssen die Wartenden noch einmal vor dem geschlossenen Rolltor der Behörde im zweiten Stock warten. Das Tor öffnet erst um acht Uhr, viele setzen sich auf den Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt.

Zettelwirtschaft statt Digitalisierung

In der Zwischenzeit bekommen sie von sichtlich schlecht gelauntem Sicherheitspersonal Zettel mit aufgedruckten Wartenummern ausgeteilt. Die Frage drängt sich auf, ob man das in einer als Digitalstadt ausgezeichneten Kommune nicht besser lösen könnte. Eine Online-Terminvergabe etwa würde vielen Menschen viele Stunden in der Warteschlange ersparen. Schon vor zwei Jahren hatte die Stadt fehlende Digitalisierung als Problem ausgemacht. Die Wartezettel sind Ausdruck des ausgebliebenen Fortschritts.

Analog statt digital: Zettel mit Wartenummer für die Ausländerbehörde.

Der Umgangston seitens des Sicherheitspersonals bei der Verteilung der Zettel ist tatsächlich grob und respektlos, wieder liegt eine unangenehm aggressive Stimmung in der Luft.

Insgesamt 50 Zettel verteilt das Sicherheitspersonal an diesem Morgen. Ab acht Uhr werden die Wartenden dann etwa im Zehn-Minuten-Rhythmus der Reihenfolge nach aufgerufen. Wer also den Zettel mit der Nummer 50 bekommen hat, kommt unter Umständen erst am späten Nachmittag dran. Dann hat diese Person vielleicht schon zwölf Stunden mit Warten verbracht. Zumindest sei der Umgangston im Inneren der Behörde netter, berichten die meisten.

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Probleme auch in Frankfurt

Ähnlich wie in Darmstadt herrschen auch in der Frankfurter Ausländerbehörde teils desaströse Zustände. Das Amt machte das Ausmaß im vergangenen Jahr öffentlich und sprach von rund 15.000 unbearbeiteten Anträgen.

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Wer aufgerufen wird, ist aber noch lange nicht am Ziel. Das Anliegen wird aufgenommen und an die Sachbearbeitenden weitergeleitet. Dann herrscht in den meisten Fällen erst einmal wieder Funkstille – und das teils über Monate hinweg. Nachfragen zwecklos.

Diese Ungewissheit, gepaart mit dem Gefühl, nicht wahrgenommen und nicht respektiert zu werden, hinterlässt Spuren bei den Menschen. "Meine Kraft ist am Ende", sagt etwa der Akademiker aus dem Irak. Darmstadt sei eine schöne Stadt mit wunderbaren Menschen. Dennoch sucht er bereits nach Wohnungen in umliegenden Landkreisen. "Dort bekomme ich eher, was mir zusteht." Seine zweite Flucht.

Stadt mit Problemen bei der Problemlösung

Die Stadt weiß um die Probleme, sowohl der zuständige Dezernent Wandrey als auch Behördenleiter Simon vermitteln im Gespräch glaubhaft den Eindruck, die Ausmaße und Auswirkungen des Behördenversagens der letzten Monate und Jahre erfasst und verstanden zu haben.

"Ich erlebe das jeden Tag. Das ist eine Situation, die wir unserer Kundschaft nicht zumuten können", sagt Simon. Die Probleme in den Griff zu bekommen, sei "alternativlos".

Partsch: "Menschen aller Nationalitäten sind willkommen"

Das weiß auch Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne). Die neue Struktur bedeute nicht nur, "Missstände auszuräumen, die lange Zeit die Arbeit der Behörde belastet haben", sagte er am Montag auf einer Pressekonferenz. Ganz wesentlich sei das Signal, das die Stadt damit aussende: "Menschen aller Nationalitäten sind in dieser Stadt willkommen, wir bringen ihnen und ihren Angelegenheiten Wertschätzung entgegen. Sie sollen sich aufgehoben fühlen."

Der Weg zur neuen Organisationstruktur hat sich aber offenbar steiniger erwiesen als zunächst gedacht. Zwar hätten im letzten halben Jahr 14 neue Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit in der Behörde aufgenommen, auch die Akten seien mittlerweile allesamt digitalisiert. Zudem werde einer Online-Terminvergabe gearbeitet, erklärt Simon.

Gleichzeitig seien aber 15 ausgeschriebene Stellen für Darmstadts Behörden weiterhin unbesetzt. Hier bekommt die Stadt den Fachkräftemangel zu spüren. Es habe trotz angehobener Bezahlung nur sehr wenig Bewerbungen gegeben, dabei habe kaum jemand die bereits gelockerten Mindestvoraussetzungen erfüllt. Die Personaldecke ist also weiterhin dünn.

Simon verspricht: "Es wird besser"

Die neu erarbeitete Struktur mit veränderten Zuständigkeiten ist laut Wandrey gerade erst zum 1. Februar in Kraft getreten. Die Beantwortung der Anfragen – telefonisch oder per Mail – habe ab sofort höchste Priorität. Bis die Rückstände aufgearbeitet und das neue Personal eingearbeitet sei, werde es allerdings noch bis in den späten Sommer dauern.

Ein Zeitraum, an dem sich die Verantwortlichen messen lassen wollen. "Es muss besser werden und es wird auch besser", verspricht Simon. Mehr Kommunikation und mehr Transparenz gegenüber den Betroffenen wäre ein wichtiger Schritt. Dann fühlen sich die Menschen in Darmstadt vielleicht auch wieder respektiert und willkommen.

Anmerkung: Die Namen aller Betroffenen wurden von der Redaktion geändert. Aus Angst vor einer eventuellen Benachteiligung durch die Ausländerbehörde wollen sie anonym bleiben.

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