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Nutzungsrechte fehlen: 70 Mieter müssen ausziehen

Illegales Mehrfamilienhaus Linden

Sie haben eine Wohnung, doch die wurde illegal gebaut: Mehr als 70 Menschen in Linden müssen deshalb nun umziehen. So will es die Bauaufsicht des Landkreises. Die Bautätigkeiten waren jahrelang nicht aufgefallen.

Die sonst so besinnliche Adventszeit hätten sich rund 70 Mieter aus Linden (Gießen) anders vorgestellt: Statt Plätzchen zu backen und um den Weihnachtsbaum zu sitzen, müssen sie sich eine neue Bleibe suchen. Die Bauaufsicht des Landkreises untersagt ihnen die Nutzung ihrer Wohnungen und Häuser.

Diese liegen in einem Gewerbegebiet und gehören der Stiftung "Bei uns, für uns" (BuFu), die die Häuser überwiegend an Studierende und Flüchtlinge vermietet. Doch die seit 2005 sukzessive zu Wohnraum umfunktionierte Gewerbe-Siedlung ist illegal entstanden, wie ein Sprecher des Kreises nun betont.

Mehrere Baustopps ignoriert

Ursprünglich stand in der an einem Waldrand gelegenen Straße ein Haus, für das damals schon ein Baustopp verhängt worden sei. Inzwischen sind es vier Ein- und Mehrfamilienhäuser. Schon vor vier Jahren waren die neuerlichen Umbau-Tätigkeiten aufgefallen und der Kreis verhängte einen weiteren Baustopp. Damals sei eine Lagerhalle zu einem Apartmenthaus umgebaut worden, berichtet der Sprecher.

Der Stopp sei anfangs ignoriert worden, die Tätigkeiten seien erst nach Festsetzung eines Zwangsgeldes von 10.000 Euro eingehalten worden. Wenig später habe der Kreis den gesamten Bauantrag für die Halle abgelehnt. Nun habe sich herausgestellt: "Innerhalb der vergangenen vier Jahre wurde offensichtlich trotzdem gegen den Baustopp verstoßen und das Gebäude ohne Kenntnis der Bauaufsicht fertiggestellt und bezogen."

Mieter: "Ich bin sprachlos"

Jetzt müsse die Behörde einschreiten, der die neuerlichen Bautätigkeiten über einen Bericht der Gießener Allgemeinen aufgefallen war. Die Mieter in den Gebäuden sind fassungslos: "Ich bin erst im Februar hergezogen. Ich bin sprachlos", sagt etwa der Student Dario Kink dem hr. Kink lebt in einer WG, die sich jetzt wahrscheinlich auflösen wird.

Die Geflüchtete Rahima Nasiri ist vor einem Jahr mit ihrem Mann und den zwei Kindern aus Afghanistan gekommen. Nachdem die komplette Familie die ersten Monate in nur einem Raum in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt hat, war sie sehr froh, eine eigene Wohnung gefunden zu haben, wie sie berichtet. Nun müsste sie Deutsch lernen und sich integrieren, um ihren Beruf als Zahnärztin ausüben zu können. Sie appelliert an den Kreis und die Stadt, die Menschen dort bleiben zu lassen.

"Einschreiten dringend notwendig"

Für die Kreisbauaufsicht ist das keine Option. Sie teilt dem hr schriftlich mit: "Diese wiederholten und immer zahlreicher gewordenen Verstöße gegen das öffentliche Baurecht in dieser Gegend - einschließlich der Missachtung mehrerer Baustopps - hat mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde dringend notwendig macht."

Immerhin räumt der Kreis den Mietern eine Frist von einem Jahr für die Wohnungssuche ein, sagt der Sprecher. Die Behörde bemühe sich außerdem zusammen mit der Stadt, alternative Mietangebote für die Bewohner zu vermitteln.

Stiftung will nicht aufgeben

Die Eigentümer-Stiftung will nicht aufgeben und hat sich inzwischen an Kommunalpolitiker, an die Landesregierung und an das Regierungspräsidium gewandt. Zum Verstoß gegen die Baustopps sagt Sprecher Rudolf Kirchner: "Wir haben Fehler gemacht und es einfach schleifen lassen." Allerdings habe die Stiftung Anträge gestellt, um die Häuser legal nutzen zu können. "Wir wurden aber immer irgendwie vertröstet", erklärt er weiter. "Macht mal", sei gesagt worden, die Erlaubnis werde kommen. "Wir bekamen aber nie etwas Schriftliches."

Die Stiftung möchte, dass der Kreis doch noch den Flächennutzungsplan für das Gebiet ändert und das Wohnen auf dem Areal künftig erlaubt. Grundlage dafür könnten demnach Beschlüsse der Landesregierung sein, nach denen auf vereinfachtem Weg Nutzungsänderungen für Bestandsgebäude sowie Baugenehmigungen möglich sind. Damit soll der dringend benötigte bezahlbare Wohnraum für sozialschwache Familien und Asylsuchende geschaffen werden. Gegen die Nutzungsuntersagung hat die Stiftung nach eigenen Angaben Widerspruch eingelegt.

Kreis: "Planungshoheit bei der Stadt"

Der Landkreis wiederum betont: "Die Lösung für Wohnungsmangel kann nicht eine sich immer weiter ausdehnende illegale Bebauung sein." Weiter verweist der Kreis auf "die Planungshoheit der Stadt Linden", was konkrete Pläne für das Gewerbegebiet angeht.

Diese gebe es noch nicht, berichtet Bürgermeister Jörg König (CDU) auf Nachfrage. Zuvor müsste unter anderem geklärt werden, ob der Untergrund belastet sei, das Gebiet befinde sich auf einem ehemaligen Bergwerk. Mündliche Zusagen der Stadt gegenüber der Stiftung habe es nie gegeben. Und die Absagen des Kreises auf die Bauanträge der Stiftung seien doch eindeutig.

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