Ein Junge reitet ein Pony und wird von einer Frau geführt.

Tiere sind mehr als nur die besten Freunde - sie können dabei helfen, Ängste zu meistern und psychische Probleme zu überwinden. Auf einem Hof bei Willingen werden zum Beispiel Schafe, Pferde und sogar Schnecken zur Therapie eingesetzt. Und das ohne langes Warten auf einen Therapieplatz.

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Therapie mit Tieren in Willingen

hs
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In einer Reithalle im Willinger Ortsteil Usseln (Waldeck-Frankenberg) führt Sunna Herrmann den Schafbock Monty durch einen Parcours. Monty läuft bereitwillig mit, geht im Slalom um bunte Hütchen und springt über ein niedriges Hindernis. Mit dabei ist Christian Schulte, der die Therapiestunde betreut.

Ein Mann und eine Frau knien mit einem Schaf in der Mitte auf dem Boden.

Auf dem Hof "VertrauTier" ist Monty Herrmanns Liebling, seit über einem Jahr arbeiten sie regelmäßig in ihren Stunden zusammen. Aufgrund ihrer Autismus-Spektrum-Störung kommt Sunna Herrmann einmal die Woche zur tiergestützten Therapie vorbei. Nach jeder erfolgreich absolvierten Übung lobt die 31-Jährige das 90 Kilo schwere Schaf und gibt ihm etwas zu fressen.

Schnecken bei ADHS

Wenn Nina Schönrock sieht, wie aufgeschlossen und entspannt Herrmann mit Fremden spricht, gehe ihr das Herz auf, sagt sie. Zu Beginn ihrer Therapie sei Herrmann ganz anders gewesen, hätte kaum ihren eigenen Namen über die Lippen gebracht.

Gemeinsam mit ihrem Mann Christian Schulte leitet Schönrock den Hof in Usseln. Nach ihrem Biologie-Studium absolvierte sie eine Ausbildung zur Ergotherapeutin. Ihr Mann ist Sozialarbeiter, beide sind Fachkräfte für Tiergestützte Intervention - also der Einsatz von Tieren, um physische, soziale, emotionale und kognitive Fähigkeiten zu fördern.

Zu ihren tierischen Schützlingen gehören Schafe, Ziegen, Pferde, Meerschweinchen, Kaninchen, Hunde, Katzen, Hühner und Schnecken. Die beiden Achatschnecken Chantal und Kevin hätten eine tolle Wirkung bei Kindern mit ADHS, erklärt Schulte.

Nahaufnahmer einer Achatschnecke, die im Terrarium an der Glasscheibe sitzt.

Anders als Weinbergschnecken seien Achatschnecken sehr neugierig. Sitzen sie auf der Handfläche, dauere es nicht so lange, bis das Tier aus dem Haus kommt. Sie "schnecken" sich über die Hand, erzählt Schönrock, und es sehe so aus, als würden die Tiere die Menschen genau mustern. Kinder, die sonst nicht still sitzen können, würden mit der Schnecke auf der Hand fasziniert 20 Minuten ruhig halten können.

Gleich und gleich gesellt sich gern

Die meisten ihrer Tiere lebten vorher unter schlechten Bedingungen. "Für die Menschen, die hier sind, ist es schön, dass die Tiere wie sie eine Vergangenheit, eine Geschichte haben", sagt Schönrock. Es fänden sich schnell Gemeinsamkeiten, durch die eine besondere Verbindung zwischen Mensch und Tier entstehe.

Ein Junge reitet ein Pony und wird von einer Frau geführt, eine andere Frau läuft vorne weg.

So haben sich zum Beispiel der sieben Jahre alte Ben und das Shetland-Pony Sammy gefunden. Sammy ist frech und hat einen ausgeprägten Eigensinn – genauso wie Ben. Bens Mutter, Anna Michel, erinnert sich, wie ihr Sohn vor Beginn der Therapie war: "Ben war sehr aufbrausend und verhaltensauffällig in manchen Situationen."

Innerhalb von zwei Jahren sei Ben viel ruhiger geworden, freut sich Michel. Zu Tieren baue er eine besondere Verbindung auf. Auch Ben genießt die Zeit mit Samy. Er fühlt sich nach einer kurzen Strecke im Trab mutiger.

Tiere streicheln entspannt - nachweislich

"Tiere setzen dort an, wo Menschen nicht weiterkommen", beschreibt Schulte den Therapieansatz. "Sie fungieren als Türöffner und helfen dabei, neues Vertrauen zu fassen." Eins ihrer Hauptziele sei, dass die Menschen ihr Selbstvertrauen wiederfinden.

Beim Streicheln von Tieren werde das Kuschel- beziehungsweise Bindungshormon Oxytocin im Körper ausgeschüttet, erklärt Schönrock. Das trage zum allgemeinen Wohlbefinden bei, der Puls gehe runter. "Außerdem hemmt es unser Stresshormon, wodurch man ein ganz anderes Entspannungslevel erreicht."

Eine Frau streichelt eine Ziege.

Ihre Patienten seien zwischen vier und 60 Jahre alt, sagt Schulte. Der Großteil seien jedoch Kinder und Jugendliche mit einer Bindungs- oder Angststörung, die sich in stationärer Jugendhilfe befinden. Das Jugendamt vermittle sie zu VertrauTier und zahle die Therapiestunden.

Kosten müssen privat getragen werden

Wer eine tiergestützte Therapie machen möchte, muss die Kosten selbst tragen, weil Krankenkassen diese Leistung nicht übernehmen. Laut dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen handelt es sich um nichtverordnungsfähige Heilmittel.

So sei beispielsweise die Reittherapie "wegen eines fehlenden therapeutischen Nutzens" nicht im Leistungskatalog enthalten. Diesem Beschluss von 2006 ging eine Prüfung voraus, die jedoch keine zuverlässigen Aussagen über den Therapieeffekt ergab.

Therapie ohne lange Wartezeit

Eine Tier-Therapie ist oft kurzfristig möglich: Während Patienten für eine ambulante Psychotherapie monatelanges Warten in Kauf nehmen müssen, könne die erste Stunde bei Schulte und Schönrock bereits nach zwei, drei Wochen stattfinden.

Gerade bei psychischen Erkrankungen ist das wichtig, "da ist immer ein gewisser Leidensdruck", erklärt Schulte. "Wir wollen die Therapieform jedem zugänglich machen, das Helfen steht im Vordergrund." Das bedeute auch, dass er und seine Frau in Ausnahmefällen nach Feierabend oder sonntags arbeiten.

Hoffnung auf Anerkennung durch Krankenkasse

Nina Schönrock hofft, dass die tiergestützte Therapie eines Tages auch von den Krankenkassen unterstützt und dann auf Rezept bezahlt wird. Die Therapie bewirke sehr viel und helfe den Menschen. Es sei wichtig, dass auch die, die sich die Therapie nicht leisten können, Zugang zu ihr haben.

Ein Mann und eine Frau bürsten ein großes Schaf.

Patientin Sunna Herrmann hat auch einen Wunsch - der vermutlich schneller in Erfüllung gehen wird. Sie möchte Monty gerne beibringen, dass er sich auf Kommando hinlegt. Für sich selbst hat die 31-Jährige auch schon einige Erfolge vorzuweisen: "Ich hatte eine Schlafstörung und Aggressionen, das ist besser geworden. Ich bin fröhlicher geworden."

Am Ende einer Therapiestunde geht Herrmann meistens zu den Kaninchen und Meerschweinchen. Doch vorher wird Monty ausgiebig von ihr gekrault und gefüttert. Sie ist stolz, dass ihr ein so großes Tier vertraut und auf sie hört.

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