Eröffnung der Bad Hersfelder Festspiele Irrungen und Wirrungen in "Sommernachtsträumen"
Wie inszeniert man sein letztes Theaterstück? Intendant und Regisseur Hinkel macht es bei den Festspielen in Bad Hersfeld auf ungewöhnliche Weise. Sein Shakespeare-Klassiker sprüht vor Ideen und Anspielungen - mit gemischtem Erfolg.
Der Anfang vom Ende ist eingeläutet. Zumindest für Intendant Joern Hinkel. Seit der feierlichen Eröffnung der Bad Hersfelder Festspiele am Freitagabend läuft nun seine letzte Saison bei dem bedeutenden Freilicht-Theaterfestival in Osthessen. Hinkel verlässt Bad Hersfeld nach acht Jahren, seine Nachfolgerin steht fest. Und zu Beginn seiner Abschiedssaison wurde der Kreativkopf reich beschenkt.
In der Nacht zum Samstag bekamen er und sein Team nach der knapp dreistündigen Premiere zwar keinen überschwänglichen, aber einen langen und wohlwollenden Applaus samt Standing Ovations für seine letzte Premiere: "Sommernachtsträume" nach Motiven von William Shakespeare.
Große Ehre für Hinkel und sein Team
Doch ehe der Shakespeare-Klassiker am späten Abend in neuem Gewand vom spielfreudigen Ensemble geboten wurde, war es vor allem Intendant und Regisseur Hinkel, der im Mittelpunkt stand. Ihm wurde eine große Ehre zuteil. Der renommierte und in Bad Hersfeld überaus beliebte Theater-Macher bekam beim Festakt zuvor von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) den Hessischen Verdienstorden am Bande verliehen.
"Das ist natürlich ungewöhnlich, den kriegt man nicht jeden Tag", sagte Hinkel bei der Premieren-Party. Der goldene Orden am blauen Band sei ein Zeichen für die Wertschätzung, die das Land Hessen ihm und seinem Team für die geleistete Arbeit entgegenbringe.
Nach dem Abgang seines Vorgängers und Mentors Dieter Wedel, der mittlerweile gestorben ist, führte Hinkel die Festspiele durch schwierige (Corona-)Zeiten. Er untermauerte auch den Ruf der Festspiele als Ort für herausragende Bühnenkunst im deutschsprachigen Raum. In der Vorsaison kamen mehr als 100.000 Gäste zu dem Freilicht-Festival nach Osthessen.
"Großen Beitrag für die Kulturvielfalt in Hessen geleistet"
Rhein sagte deshalb anlässlich der Ehrung, Joern Hinkel habe die Marke "Bad Hersfelder Festspiele" weiterentwickelt und den Bekanntheitsgrad mit einem Mix aus Tradition und Moderne gesteigert. Und: "Mit seinem Engagement hat er einen großen Beitrag für die Kulturvielfalt in Hessen geleistet."
Mit der Premiere seiner Fassung des Shakespeare-Klassikers "Sommernachtstraum" leistete Hinkel auch einen Beitrag zur Frage: Wie ungewöhnlich lässt sich das bekannte Werk dieser abgründigen Komödie voller Irrungen und Wirrungen um die Liebe auf die Bühne bringen?
Shakespeare-Crossover mit Anleihen
Hinkels Antwort darauf: Indem man das Lustspiel noch wilder und unkonventioneller inszeniert. Denn der Regisseur beschränkte sich nicht allein auf das Original. Für sein Shakespeare-Crossover machte Hinkel Anleihen bei anderen Stücken des englischen Dichters, dessen Werke zu den bedeutendsten der Weltliteratur gehören.
Und so traten Figuren und Liebespaare aus anderen Geschichten auf, etwa "Romeo und Julia", die von Günter Alt und Olivia Grassner anrührend gespielt wurden. Da waren auch noch Pärchen aus "Wie es euch gefällt", aus "Was ihr wollt" und aus "Viel Lärm um nichts". Den Benedikt aus letzterem Stück gab Erol Sander, einer der bekanntesten Akteure im Ensemble. Der TV-Kommissar ("Mordkommission" Istanbul, ARD) durfte zeigen, dass er auch das komische Fach beherrscht.
Noch mehr Eindruck als Sander und Anouschka Renzi in den Nebenrollen hinterließen aber andere auf der Bühne, etwa Christian Nickel und Bettina Hauenschild in mehreren zentralen Rollen. Besonderen Schauwert hatte die Figur des Puck. Anna Graenzer spielt den koboldartigen Wicht ausdrucksstark und quirlig.
Noch mehr Lacher bekamen vom Publikum aber die Handwerker, allen voran Peter Englert, der zum Esel verwandelt wurde und sich austoben durfte. Die slapstick-artigen Szenen der Handwerker glitten zuweilen aber in überdrehten Klamauk ab. Während sich einige Premieren-Zuschauer prächtig amüsierten, empfanden andere weniger Grund zum Lachen.
Ein Stück für Kenner?
Ohnehin waren die Zuschauerinnen und Zuschauer schon vor die Aufgabe gestellt, dem Stück mit seinen vielen Verweisen, Anspielungen und Personen-Importen aus anderen Werken folgen zu können. Mehr als zwei Dutzend Charaktere versammelten sich und waren mitunter nicht leicht zu identifizieren.
Phasenweise wirkte das Stück etwas konfus und verworren. Zu empfehlen ist es vor allem für Shakespeare-Fans, die gut eingelesen ins Theater gehen und sich in den verschiedenen Stücken auskennen.
Hinkel sagte zur Frage, ob das Stück etwas fürs breite Publikum oder vor allem für Shakespeare-Liebhaber ist: "Ich hoffe, dass das Stück auch funktioniert, wenn man die ganzen Shakespeare-Stücke nicht kennt. So ist es ausgelegt. Die, die Shakespeare kennen, die suchen darin natürlich, wo ist was an welcher Stelle."
Ort und Zeit gewechselt
Gelungene Innovationen in den Hersfelder "Sommernachtsträumen" waren Ort und Zeit, in der Hinkel die Handlung präsentierte. Er siedelte es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an einem viktorianischen Fürstenhof an.
Es war zugleich die Zeit der großen Erfindungen. Und so errichteten Handwerker die allererste Telefonanlage im Schlosspark, mit einem Wald aus Telegraphenmasten. Und in der Telefonzentrale sitzt Puck, der eine diebische Freude daran hat, die nächtlichen Anrufer falsch zu verbinden, wie Hinkel erklärte.
In der Epoche der Gründerzeit geht es neben der Errungenschaft des Telefonierens auch um die Erfindungen des elektrischen Lichts und der Fotografie. Das alles wurde gut in Szene gesetzt, nicht nur durch das Bühnen- sondern auch das Kostümbild.
Steampunk-Welten in der Stiftsruine
Es ist inspiriert aus Steampunk-Welten. Dabei werden einerseits moderne und futuristische technische Funktionen mit Mitteln und Materialien des viktorianischen Zeitalters verknüpft. Dadurch entsteht ein Retro-Look der Technik. Zum Ausdruck kommt er durch technische Accessoires wie Fliegerbrillen, Taschenuhren oder Korsetts aus Leder. Alles nett anzusehen.
Aber noch schöner anzuhören, war die akustische Untermalung des Stücks (Musik: Jörg Gollasch). Live vorgetragen wurde sie vom großen Festspiel-Orchester, das üblicherweise nur die Musicals begleitet. Es war bei der 74. Auflage ein Novum in der langen Festspiel-Geschichte. An diesen musikalischen Mehrwert beim Schauspiel könnte man sich glatt gewöhnen.
"Ronja Räubertochter" als nächste Premiere
Fortgesetzt werden die Festspiele bereits am Samstag (21. Juni) mit der nächsten Premiere: Dann steht das Familienstück "Ronja Räubertochter" auf dem Programm. Das Buch von Astrid Lindgren ist ein absoluter Liebling von Intendant Joern Hinkel. "Es ist eine zauberhafte Geschichte über Freundschaft", schwärmte der Intendant.
Danach folgt als neues Stück noch Schillers Klassiker "Die Räuber". Das von Gil Mehmert inszenierte Drama wird begleitet von Musik der Punkrock-Band "Die Toten Hosen" - natürlich nicht live. Premiere ist am 27. Juni. Die Musiker selbst werden nicht zur ersten Aufführung kommen, wie eine Festspiel-Sprecherin sagte. Darauf hatten viele gehofft.
Ansonsten stehen noch zwei Wiederaufnahmen in der Stiftsruine auf dem Programm und zwei Komödien auf der Nebenbühne im Schloss Eichhof. Was das Publikum in den kommenden acht Wochen bis zum 18. August erwartet, erfahren Sie im Überblick.