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HERA - Street Art mit Wort, Bild und Botschaft

HERA vor dem neuen Mural

Die Werke von HERA fallen aus dem Rahmen, in dem sie nie waren: Die Künstlerin bemalt Fassaden weltweit. In ihrer Heimatstadt Frankfurt hat sie nun zur Fußball-EM eine Hotelwand gestaltet. Über diese jüngste Arbeit spricht sie im Interview.

Unter dem Künstlernamen "HERA" sprayte sich Jasmin Siddiqui schon als 20-Jährige an die Spitze der internationalen Street Art-Szene, die von Männern dominiert ist. Ihre Auftrageber sind Stiftungen, Schulen, Städte und Gemeinden, das Goetheinstitut, NGOs, private Unternehmen und Promis wie der US-Comedian Jim Carrey. Sie ist unterwegs in Berlin, Bogotá, Boston und anderen Metropolen. Aber auch in Favelas und sozialen Brennpunkten ist sie aktiv und gibt Workshops für Kinder und Jugendliche.

Den Auftrag für ihr neues Mural, ein großformatiges Wandgemälde, erhielt sie von "Viva con Agua", einer Non-Profit-Organisation, die von dem ehemaligen Fußballprofi Benny Adrion gegründet wurde. In Frankfurt gestaltete HERA die erste Wand für dessen Projekt "11 Walls/ 11 Goals". Bis Mai schaffen Street Art-Künstler Murals in den weiteren zehn EM-Austragungsorten - darunter Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und München.

EM-Mural von HERA in Frankfurt

hessenschau.de: HERA, auf Deinem Mural für die EM 2024 ist ein bunter Fußball zu sehen, Vogelköpfe und eine Mutter mit Kind. Gab es Vorgaben für das Motiv?

Jasmin Siddiqui: Nein. Im Korsett von Design und Vorgaben bewege ich mich erst gar nicht. Für das Projekt in Frankfurt wurde mir nur gesagt: "Hier ist die Wand. Unser Motto ist 'The art of movement', 'die Kunst der Bewegung'. Interpretiere das, wie Du willst." Dieses Motto lässt sich super interpretieren, entweder als Bewegung des Körpers oder Movement als gesellschaftliche Bewegung.

Das Adlerhaupt der Mutter ist mein Symbol für die Kraft der Weiblichkeit. Das Kind hält einen Fußball fest. Es ist egal, was es halten würde: Das könnte ein Fußball, eine Sprühdose oder egal was sein. "Wenn man für etwas eine Leidenschaft entwickelt und dieser folgt, führt das auch irgendwann zum Erfolg", lautet meine Message dazu. Das gilt für den Fußball und andere Bereiche.

hessenschau.de: Neben fabelhaften Mensch-Tier-Wesen gehören auch Zitate zu Deinem Markenzeichen. Das ist ungewöhnlich für Murals.

Jasmin Siddiqui: Mir ist das gesprochene und geschriebene Wort wichtig. Am liebsten würde ich mit einem QR-Code noch einen Soundtrack ergänzen. Die Figuren bilden meist die emotionale Ebene. Was ich dann typografisch hinzufüge, ist eine kognitive Ebene: Das, was man vielleicht als Satz mitnimmt auf die Reise. Einige Tätowierte tragen meine Sprüche auf ihrer Haut. Das freut mich total, das ist eine Riesenehre.

hessenschau.de: Und wie kamst du auf Mensch-Tier-Wesen als Motiv?

Jasmin Siddiqui: Überall auf der Welt wird das Tierthema verwendet, um Gleichnisse darzustellen. Wenn ich im öffentlichen Raum male, habe ich nur eine Millisekunde Zeit, um ein Bild zu erklären und die Charaktere darauf zu beschreiben. Deshalb bediene ich mich der Tiersymbolik. Die begreift man instinktiv.

In der Symbolik, die ich verwende, verbinde ich gerne Gegensätze. Bei mir ist aber ein friedvoller Gedanke die Basis: Ich lasse Beutetier und Jäger eine Freundschaft eingehen. Symbolisieren kann man das am besten, wenn Katze und Maus zusammen Schach spielen.

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"HERA - die mächtigste Göttin des Olymp

Jasmin Siddiqui alias HERA wurde 1981 in Frankfurt-Höchst geboren. Als Kind deutsch-pakistanischer Eltern hatte sie in der Schule mit Vorurteilen zu kämpfen, viele Mitschüler reduzierten sie auf ihre Hautfarbe. Mit Graffiti erschuf sich das Mädchen seine eigene Welt. Auf Wunsch der Eltern, die früh das Zeichentalent der Tochter förderten, studierte sie Kommunikationsdesign in Wiesbaden. Mit Street Art wurde sie international bekannt.

"HERA - die mächtigste Göttin des Olymp - ist das Pseudonym von Jasmin Siddiqui. Es symbolisiert für sie den Gegensatz und die Verwandlung vom einst schüchternen, zurückhaltenden Mädchen zu einer starken, selbstbewussten Frau.

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hessenschau.de: Wie hast Du Deinen markanten Stil entwickelt?

Hera: Better than perfection

Jasmin Siddiqui: Meine Technik hat sich aus der Not heraus ergeben. Als Studentin hatte ich wenig Geld, konnte ich mir höchstens mal eine Sprühdose leisten und habe den Rest mit Fassadenfarbe vom Sperrmüll gestaltet, mit viel Wasser und einer Teleskopstange. Das hat dann immer getropft.

So kam diese Messines, Schmuddeligkeit und Ungenauigkeit zustande. So hat sich auch mein eher skizzenhafter Stil entwickelt, den man überall auf der Welt machen kann, mit wenigen Mitteln.

hessenschau.de: Wann hast Du das erste Mal Wandmalerei für Dich entdeckt?

Jasmin Siddiqui: Schon als Kind. Damals habe ich mir Graffiti genau so angeschaut, wie die Gemälde im Städel. Für mich waren sie Quellen der Inspiration und Orientierungspunkte. Da gab es zum Beispiel in meiner Nachbarschaft in einer Unterführung ein Wandgemälde - ein Wal. Der war neben den Buchstaben auf Plakaten und Straßenschildern das einzige Tier, das ich dort gesehen habe.

Zum einen hatte es mich beeindruckt, dass das eine Person irgendwann mal gemacht hat, vielleicht sogar nur für mich, und dass es in keiner anderen Stadt zu sehen ist. Graffiti waren für mich kleine "Denkmäler". Einzigartige Orte und "Markierungen" in einer Stadt, an denen ich mich orientiert habe, noch bevor ich lesen konnte.

Ich fand es einfach logisch, dass man die Wände als Ausdrucksmittel nutzt. Im Kunstunterricht in der Schule kam mir dann Idee: "Hey, ich kann doch auch selbst Hand anlegen". Ich habe der Schulleitung Entwürfe vorgelegt und durfte in meinen Freistunden Wände bemalen.

hessenschau.de: Dein Vater hat Dein Maltalent schon früh gefördert und die achtjährige Jasmin jeden Sonntag zum Malunterricht nach Offenbach gefahren. Wie hat Dich das geprägt?

Jasmin Siddiqui: Mein Papa hat immer Zeitung gelesen während meiner Zeichenstunde. Ich saß da und hab' gezeichnet: Muscheln, Tannenzapfen, haargenau. Also wirklich Natur, realistisches Zeichnen.

"Bevor es in der Hand ist, muss es erst mal durchs Auge und im Kopf verarbeitet werden", war das Credo meiner Zeichenlehrerin. Es hat mich richtig hart genervt, dass ich keinen Freiraum hatte, nicht meine Fantasie nutzen konnte, sondern nur die Natur kopiert habe.

Da war ganz klar für mich: Sobald ich selbst entscheiden kann, was ich mache, mache ich auch nur das, was ich vor meinem inneren Auge sehe. Sobald ich mir eine Sprühdose leisten konnte, habe ich auch die erste Wand gefunden.

Da ging es dann nicht um Fotorealismus, sondern um meine Welt und meine Botschaften. Das war damals in Wiesbaden am Schlachthof. Ich könnte auch richtig ordentliche Porträts zeichnen. Aber die gibt es schon. Was mein crazy Kopf produziert, gibt es ja noch nicht. Und dann bin ich mit offenen Augen durch die Gegend gelaufen: Denn die Wände kommen nicht zu dir. Du musst dorthin gehen, wo die Wände sind. Auch in Hinterhöfe, abgelegene Orte.

hessenschau.de: Hast Du Tipps für Nachwuchs-Künstler, die auch Street Art machen wollen?

Jasmin Siddiqui: "Alles Große beginnt im Kleinen", lautet ein Zitat. Das heißt, ich habe nicht mit einer 30 Meter hohen Fassade begonnen. Die ersten Arbeiten im öffentlichen Raum habe ich mit Edding auf Pappschildern gemacht, geklaut aus einer Straßenbahn.

Die Pappen habe ich zuhause bemalt, am nächsten Tag im Rucksack wieder mitgebracht und zurück in die Rahmen gesteckt. Ich habe erstmal Bilder auf die Reise geschickt und nicht groß Waggons von außen bemalt. Das kam erst später.

Jeder, der sich für den Ausdruck im öffentlichen Raum interessiert, sollte erst Sachen machen, die am naheliegendsten sind. Wenn Du den eigenen Jugendtreff gestalten kannst oder den Klassenraum, auf jeden Fall da anfangen und erstmal eigene Sporen verdienen, bevor du dich traust, draußen zu sein.

Sobald du draußen malst, hat auch immer jemand eine Meinung zu deinem Bild zu sagen. Du brauchst schon ein dickes Fell, um dich mit der Kritik, die ungefragt hundertprozentig kommen wird, auseinanderzusetzen.

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