100 Jahre Hessische Spielgemeinschaft Zum Jubiläum ein "Datterich" gegen den "vasteckte Dorscht"

Saufen, Karten spielen, den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen: Zum 100. Jubiläum der Hessischen Spielgemeinschaft gibt Gernot Hassknecht den gewieften Schnorrer Datterich in der gleichnamigen Darmstädter Lokalposse. Damit schließt sich ein Kreis.

Hans-Joachim Heist (li.) und die Hessische Spielgemeinschaft spielen den Datterich in Darmstadt.
Hans-Joachim Heist alias Gernot Hassknecht (li.) und die Hessische Spielgemeinschaft spielen den Datterich in Darmstadt. Bild © Staatstheater Darmstadt/Jonas Weber
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Wann immer sich an warmen Tagen oder geselligen Abenden irgendwo tief im Inneren ein leises Verlangen nach einem Getränk anschleicht, hört man Darmstädter und Darmstädterinnen ab und an sagen: "Ich hab heit schon de ganze Daag so en vasteckte Dorscht" - meist gefolgt vom Leeren eines Gläschen Weins oder eines frisch gezapften Biers.

Der "vasteckte Dorscht" ist nur eine von vielen Redewendung aus der Lokalposse "Datterich", die fest im Sprachgebrauch der Darmstädter verankert sind. Wie auch "Siehste net, dass die Menschheit Katt spielt?", wenn es daheim oder in der Kneipe mal wieder hektisch hergeht und man aber gerade nicht gestört werden möchte. Der "Datterich" ist voll von klugen und weniger klugen Sprüchen rund um Liebe, Leben, Geld und Alkohol.

Vor fast 200 Jahren schrieb der Dichter Ernst Niebergall den Volkstheater-Schwank um den trinkfesten Schnorrer, seit genau 100 Jahren führt die Hessische Spielgemeinschaft den "Datterich" in Darmstadt auf. Zum runden Jubiläum inszeniert das traditionsreiche Ensemble das Mundart-Stück erneut.

Heist: "Eine Auszeichnung"

Die Hauptrolle am Staatstheater spielt das hessische Urgestein Hans-Joachim Heist, den einige sicher in seiner Rolle als Gernot Hassknecht aus der ZDF-Satiresendung "heute show" kennen. "Es ist eine Auszeichnung, den Jubiläums-Datterich spielen zu dürfen", sagt Heist, der die Rolle bereits 2022 in einer anderen Inszenierung spielte, im Gespräch mit dem hr. Auch wenn man dafür "einen Arsch voll Text" lernen müsse.

Hans-Joachim Heist als Datterich
Hans-Joachim Heist als Datterich. Bild © Staatstheater Darmstadt/Jonas Weber

Das war offenbar nicht nur so daher gesagt, denn der 76-Jährige Pfungstädter legt sich, wie auch der Rest der Spielgemeinschaft, mächtig ins Zeug. Saufend, säuselnd, lachend, meckernd und wehklagend spielte sich Heist bei der Premiere am Samstag schnell in die Herzen des Publikums.

Mit seinem zauseligen Resthaar und der "uffgestumpte Physiognomie", wie der Datterich sagen würde, verschmolz Heist praktisch mit dem Protagonisten. Die perfekte Besetzung für das große Jubiläum. "Ein bisschen Datterich steckt auch in mir", gibt Heist zu.

Das gab es beim Datterich noch nie

Für die Inszenierung am Staatstheater hat sich die Hessische Spielgemeinschaft neben der Sommerterrasse als ungewöhnlicher Spielstätte eine weitere Besonderheit einfallen lassen. "In dieser Form gab es den 'Datterich' noch nie", erklärt der zweite Vorsitzende Ralf Hellriegel. Erstmals seien alle sechs Bilder des Stücks in einem einzigen Bühnenbild integriert - keine Drehbühne, kein Umbau.

Tatsächlich ähnelt die Kulisse einem großen Puppenhaus, in dessen Zimmern die verschiedenen Szenen spielen, im Zentrum natürlich das Wirtshaus in Traisa. Eine Entscheidung, die dem Stück eine wohltuende Dynamik verpasst, auch wenn man sich als Zuschauer erst einmal daran gewöhnen muss, dass die Kulisse stets mit Leben gefüllt ist und einige Szenen parallel stattfinden. Manch ein Hals musste sich stark winden, um auch wirklich alles im Blick zu haben.

Ein "Puppenhaus" auf der Dachterrasse des Staatstheaters Darmstadt: Die ersten Aufführungen des "Datterich" finden im Freien statt.
Ein Puppenhaus auf der Dachterrasse des Staatstheaters Darmstadt: Die ersten Aufführungen des "Datterich" finden im Freien statt. Bild © Staatstheater Darmstadt/Jonas Weber

"Vasteckte Dorscht" auf Unterhaltung gestillt

Im Keller des Puppenhauses sitzt eine dreiköpfige Band, die das launige Treiben im Wirtshaus und an den anderen Schauplätzen begleitet. Besonders stimmungsvoll sind die gemeinsamen Gesangseinlagen, etwa wenn die komplette Spielgemeinschaft den Schunkel-Gesang über das "Gasthaus zur Amsel" anstimmt.

Zumindest bei der Premiere gelang es Heist und der Spielgemeinschaft, dem Publikum bei lauen Temperaturen unter freiem Himmel einen schönen Abend zu bereiten. Der "vasteckte Dorscht" auf gute Unterhaltung wurde restlos gestillt.

Spielgemeinschaft gründet sich nur für den "Datterich"

Der "Datterich" ist fest mit der Geschichte der Hessischen Spielgemeinschaft verwachsen. Zum allerersten Mal führte die Spielgemeinschaft das Stück im Dezember 1925 im damaligen Hessischen Landestheater Darmstadt auf.

"Der Verein hat sich eigentlich nur gegründet, weil die Leute damals den 'Datterich' in Darmstadt unbedingt auf die Bühne bringen wollten", erzählt der zweite Vorsitzende Hellriegel, der in der aktuellen Inszenierung den Schuhmachermeister Bengler spielt, bei dem der Datterich jede Menge Schulden hat.

Ankündigung der ersten "Datterich"-Aufführung der Hessischen Spielgemeinschaft im Jahr 1925
Ankündigung der ersten "Datterich"-Aufführung der Hessischen Spielgemeinschaft im Jahr 1925. Bild © Hessische Spielgemeinschaft

Die Szene, in der der großgewachsene Hellriegel dem kleingewachsenen Heist als Schattenspiel mit entsprechenden Soundeffekten regelrecht die Seele aus dem Leib prügelt, gehört zu den vielen Highlights der aktuellen Inszenierung.

Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg

Auch wenn die Spielgemeinschaft über die Jahrzehnte viele andere Stücke aufführte, wie "Der fröhliche Weinberg", "Das Wirtshaus im Spessart" oder "Pension Schöller", blieb der "Datterich" doch der große Fixpunkt für das Mundart-Ensemble. Bei der Neugründung des Vereins nach dem Zweiten Weltkrieg war 1948 der "Datterich" wieder das Stück der Wahl. Mit zahlreichen Gründungsmitgliedern spielte die Gemeinschaft die Posse damals in der Orangerie.

Wie oft die Spielgemeinschaft den "Datterich" in den vergangenen 100 Jahren aufgeführt hat, vermag niemand mehr so genau zu sagen. Viele Unterlagen seien auch im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. "Aber es waren sicher mehrere hundert Vorstellungen", sagt Hellriegel. "Natürlich musste es zum 100-Jährigen auch wieder der 'Datterich' sein."

Großer Andrang auf Karten

Das hat sich gelohnt. Die Karten für die 16 Aufführungen auf der Terrasse und im Großen Haus des Staatstheaters waren binnen vier Wochen fast ausverkauft, für einzelne Termine gibt es noch Restkarten. Die Chancen stehen laut Hellriegel aber nicht schlecht, dass es im nächsten Jahr weitere Aufführungen geben wird.

Auch wenn Heist nicht fest zum Ensemble der Spielgemeinschaft gehört, so ist er dem Verein doch seit vielen Jahrzehnten verbunden. "Das erste Mal bin ich vor fast 40 Jahren mit der Spielgemeinschaft aufgetreten", erinnert er sich. Der Kontakt blieb bestehen, mittlerweile ist auch seine Frau Mitglied der Spielgemeinschaft.

"Spielen den 'Datterich' auch in 100 Jahren wieder"

Aktuell zählt die Spielgemeinschaft 92 Mitglieder, etwa die Hälfte davon gehört laut Hellriegel dem festen Ensemble an. "Eigentlich kann bei uns jeder mitmachen, der Spaß am Theater hat. Aber der Duktus ist schon wichtig", sagt der Vize-Chef: "Man sollte schon Darmstädter Dialekt schwätzen können."

Die Spielgemeinschaft ist auch ein Mehrgenerationenprojekt. Das älteste Mitglied ist 93 Jahre alt und seit 1948 dabei, das jüngste zählt 22 Lenze. "Ich freue mich, dass wir viele junge Leute an Bord haben", sagt Hellriegel. Auch das Publikum sei in letzter Zeit wieder jünger geworden. Gleichzeitig seien "die alte knotterische" Darmstädter geblieben. "Eine wunderbare Mischung."

Die Zukunft scheint gesichert und deswegen ist für Hellriegel klar: "Wir spielen den 'Datterich' auch in 100 Jahren wieder."

"Dann aber ohne mich", scherzt Heist.

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Bild © hessenschau.de
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Sendung: hr-fernsehen, maintower,

Quelle: hessenschau.de