Ein Jahr Reichsbürger-Prozess In Trippelschritten zur Aufklärung

Seit einem Jahr wird vor dem Frankfurter Oberlandesgericht gegen die Gruppe Reuß verhandelt. Die neun Angeklagten sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Belege dafür lieferte der Prozess bislang wenige.

Der Hauptangeklagte im Reichsbürger-Prozess: Heinrich XIII Prinz Reuß blickt an der Kamera vorbei, ein älterer Herr mit grauen Haaren und Brille.
Heinrich XIII. Prinz Reuß ist der Hauptangeklagte im Frankfurter Reichsbürger-Prozess. Bild © picture-alliance/dpa
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Ein Jahr Reichsbürger-Prozess

hs_21.05.2025
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Ginge es nach dem Rechtsanwalt Roman von Alvensleben, wäre im Frankfurter Reichsbürger-Prozess die Zeit reif für einen Deal. Nicht im Trump'schen Sinne einer möglichst grobschlächtigen Erpressung der Gegenseite, sondern im Sinne einer Verständigung zwischen Generalbundesanwalt, Gericht und Verteidigern.

Es wäre Zeit darüber nachzudenken, "ob wir nicht mal zusammensitzen sollten, um vielleicht irgendwie eine Lösung zu finden, dass alle mit einer Gesichtswahrung aus diesem Verfahren rauskommen", findet der Verteidiger des Angeklagten Heinrich XIII. Prinz Reuß.

Neue Staatsordnung ausgearbeitet

Seit einem Jahr läuft am Frankfurter Oberlandesgericht der Prozess gegen seinen Mandanten und acht andere Angeklagte. Zwei Hauptverfahren gegen insgesamt 17 weitere mutmaßliche Mitverschwörer laufen parallel in München und Stuttgart.

Der Vorwurf gegen alle: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens. Die Gruppe Reuß, so die Anklage, soll einen bewaffneten Umsturz geplant haben.

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Unter anderem geht der Generalbundesanwalt davon aus, dass die Gruppe einen bewaffneten Sturm auf das Berliner Reichtagsgebäude und die Beseitigung missliebiger Politiker vorbereitete. Nach der erfolgten Machtübernahme sollte demnach Heinrich XIII. Prinz Reuß als provisorisches Staatsoberhaupt fungieren. Eine neue Staatsordnung sei von der Gruppe bereits in Grundzügen ausgearbeitet worden.

Von Alvensleben und die übrigen Verteidiger halten dagegen, das Verfahren sei bislang jedweden Beweis für die Vorwürfe schuldig geblieben.

Mehr Puzzle als Kartenspiel

Betrachtet man allein die Frankfurter Hauptverhandlung, muss man nach zwölf Monaten Verhandlung tatsächlich feststellen, dass man der Aufklärung der Tatvorwürfe bestenfalls in Trippelschritten näher kommt. Oft gibt es in Strafverfahren entscheidende Beweise: ein Video, das die Tat festgehalten hat; mehrere übereinstimmende Zeugenaussagen; Dokumente. Es ist eine Art Kartenspiel, bei dem Anklage oder Verteidigung manchmal ein entscheidendes Ass aus dem Ärmel zaubern kann.

Staatsschutzverfahren hingegen erinnern mehr an ein Puzzle: kleinteilig, mühselig, mitunter nervenzehrend. Oft ergibt sich erst am Ende ein Gesamtbild. Und der Frankfurter Prozess mit seinen neun Angeklagten liefert dabei nur einen kleinen Teil der Puzzlestücke.

Touristische oder terroristische Aktion?

Zu den bislang ausführlich eingeführten Beweisstücken gehören etwa Fotos und Videoaufnahmen, die von den Angeklagten Maximilian E. und Peter W. bei einer Begehung des Reichstagsgebäudes im Spätsommer 2021 angefertigt wurden. Als "Tourguide" fungierte die ehemalige Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, laut Anklage im Schattenkabinett von Prinz Reuß zuständig für das Ressort Justiz.

Dass es sich dabei um eine "touristische Aktion" gehandelt hat, wie Malsack-Winkemann in ihren bisherigen Aussagen dutzendfach betont hat, ist angesichts des aufgefundenen Materials zweifelhaft. Die Angeklagten E. und W. dokumentieren Wegweiser, Gebäudepläne, Notausgänge, Treppenhäuser und unterirdische Anlieferungszugänge. Dass dies die Grundlage für eine "terroristische Aktion" sein sollte, ist damit allerdings nicht bewiesen.

Zeugenaussagen mit zweifelhaftem Wert

Auch die bislang präsentierten Belastungszeugen können wohl nur bedingt als Stütze der Anklage dienen. Ein ehemaliger Generalleutnant der Bundeswehr, der davon berichtete, wie Maximilian E. ihn für die Gruppe werben wollte, gab etwa zu Protokoll, dass es seiner Meinung nach in dem Gespräch unter anderem um die "Beseitigung" des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) gegangen sei. Den Wortlaut der Aussagen von E. allerdings konnte er nicht wiedergeben.

Ein weiterer Zeuge, der sich in der gemeinsamen Untersuchungshaft das Vertrauen des Angeklagten Hans-Joachim H. erschlichen hatte, belastete alle Angeklagten schwer. Seiner Aussage nach hatte H. ihn ins Vertrauen gezogen und die Pläne für einen blutigen Staatsstreich weitestgehend bestätigt.

Allerdings handelt es sich beim Zeugen um einen verurteilten Betrüger, der zudem bereits mehrfach Mitgefangene ausgehorcht und an die Ermittlungsbehörden verraten hat. Zu allem Überfluss musste er am fünften Tag seiner Vernehmung einräumen, das Oberlandesgericht bezüglich seines beruflichen Werdegangs belogen zu haben.

Im Frankfurter Reichsbürgerprozess bestätigt sich einmal mehr das alte juristische Bonmot, wonach der Zeugenbeweis das schlechteste Beweismittel sei.

Zeitraubende Aussagen

Ein weiteres Problem des Frankfurter Prozesses: Es wird in der Regel nur an zwei Tagen pro Woche verhandelt. Manchmal auch nur an einem. Und zu jedem Beweismittel, das eingeführt, zu jedem Zeugen, der vernommen wird, äußert sich pro Angeklagtem mindestens ein Rechtsbeistand, manchmal auch zwei oder drei.

Hinzu kommt: Die Aussagen der Angeklagten nehmen selbst äußerst viel Zeit ein. Prinz Reuß, der sich zwei Prozesstage in Folge zu seinen persönlichen Verhältnissen einließ, war noch vergleichsweise schnell. Die Aussage von Birgit Malsack-Winkemann zu den Vorwürfen nahm sechs Prozesstage - sprich drei Wochen - in Anspruch.

Der Angeklagte Maximilian E. hat seine Aussage zu den Vorwürfen vor den Osterferien begonnen und nach einem Tag unterbrochen. Abgeschlossen ist sie immer noch nicht, weil in der Zwischenzeit andere Zeugen geladen wurden. Wann E. seine Aussage fortsetzt, ist derzeit unklar.

Erkenntnisse aus anderen Prozessen ignoriert

Verteidiger und Teile der rechten Medienlandschaft werten den schleppenden Prozessverlauf in Frankfurt mittlerweile als Beleg dafür, dass es sich bei der Anklage um eine Luftnummer handele, um ein von der Bundesanwaltschaft konstruiertes Sammelsurium an nicht belegbaren Vorwürfen.

Geflissentlich ignoriert werden vor dem Frankfurter OLG die Erkenntnisse aus den beiden anderen Prozessen. In München etwa hat Ruth L., eine langjährige Vertraute und astrologische Beraterin von Birgit Malsack-Winkemann, in ihrer Aussage zahlreiche Details der Anklage bestätigt.

Ebenfalls in München wurden Chats verlesen, in denen sich der Angeklagte Christian W. nach Möglichkeiten der Masseneinäscherung von Leichnamen erkundigt. Bei ihm gefundene Dokumente legen nahe, dass nach einem erfolgreichen Putsch die massenhafte Tötung von Musliminnen und Muslimen sowie von Antifaschisten geplant war.

Hunderte von Waffen gefunden

Die Verharmlosung der vermeintlichen "Rollator-Putschisten" in extrem rechten Kreisen funktioniert nur, wenn diese und weitere Ermittlungserkenntnisse ausgeblendet werden. Mehr als 360 Schusswaffen und rund 150.000 Schuss Munition wurden bei den Razzien im Umfeld der Gruppe Reuß gefunden.

Allein 165 Schusswaffen fanden sich bei dem in Frankfurt angeklagten Rüdiger von P., einem ehemaligen Oberleutnant der Bundeswehr, der Ende 1997 verurteilt wurde, weil er Waffen aus dem Bestand der NVA unterschlagen haben soll. Ein Teil davon ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Laut Anklage stand er dem sogenannten M-Stab vor - dem militärischen Arm der Verschwörung.

Hoffen auf Trump und Putin

Die Fragen, die nun an allen Standorten des dreigeteilten Reichsbürger-Prozesses beantwortet werden müssen: Was wusste welcher Angeklagte zu welchem Zeitpunkt? Welche Pläne gab es? Wie konkret waren sie ausformuliert? Wer war in sie eingeweiht? Im Prinzip müssen die Gerichte also nicht ein Puzzle zusammensetzen, sondern gleich 26, denn so viele Angeklagte gibt es.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Gedankenwelt, in der sich die Angeklagten bewegten. Unter anderem Malsack-Winkemann hat in ihrer Aussage bestätigt, dass die Mitglieder des Rates von der Existenz einer technisch überlegenen "Allianz" - bestehend aus der Trump-Regierung, Putins Russland und weiteren illiberalen Staaten - überzeugt waren und mit deren Unterstützung rechneten.

Entscheidend ist jedoch: Wollten die Angeklagten selbst zu Tat schreiten und damit ein Eingreifen der herbeifantasierten Allianz auslösen? Oder wollten sie sich dieser - wie Malsack-Winkemann behauptet - nur andienen und ihr "alle notwendigen Gewaltmaßnahmen" überlassen.

Prozessende nicht absehbar

Das Frankfurter Oberlandesgericht scheint derzeit wenig geneigt, den Prozess vorzeitig zu beenden, wie es Verteidiger Roman von Alvensleben vorschlägt. Bislang hat der Senat alle Anträge auf Beendigung der Untersuchungshaft für die Angeklagten abgelehnt. Das allein deutet schon darauf hin, dass er bislang eine Verurteilung für wahrscheinlicher hält als einen Freispruch.

Somit wird das Verfahren wohl weiter in Trippelschritten fortgesetzt. Verhandlungstermine wurden bereits bis Anfang 2026 festgelegt. Dass sie nicht ausreichen werden, gilt als sicher.

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de