Ein Kirschprachtkäfer krabbelt durch das Darmstädter Biotop.

Anwohner haben in ihrer Siedlung in Darmstadt ein kleines Biotop angelegt. Mittlerweile tummeln sich dort über 750 Tierarten - darunter auch sehr seltene. Selbst Experten sind überrascht von der Vielfalt.

Audiobeitrag

Audio

Eine artenreiche Oase mitten in der Stadt

Das Postsiedlungs-Biotop liegt in einem Hof zwischen Wohnblöcken und Einfamilienhäusern.
Ende des Audiobeitrags

In einem gewöhnlichen Hinterhof mitten in Darmstadt, umzingelt von Wohnblöcken und Einfamilienhäusern, hat sich ein ganz besonderes Stück Natur entfaltet. In den großen Bäumen, kleinen Sträuchern, Gräsern und Blüten tummelt sich das pralle Leben. Sage und schreibe 750 verschiedene Tierarten leben in dem gerade einmal 2.000 Quadratmeter großen Biotop in der Postsiedlung. Das haben Anwohner und Anwohnerinnen in einem wissenschaftlich begleiteten Projekt festgehalten.

"Es ist unglaublich, dass mitten in der Stadt eine solche Artenvielfalt herrscht", freut sich Bastian Ripper, Vorsitzender des Bürgervereins Postsiedlung e.V., der sich seit nunmehr vier Jahren ehrenamtlich um das Biotop kümmert.

Über 20 gefährdete Arten

Neben hunderten heimischen Insektenarten haben sich auch Vögel, Schmetterlinge, Fledermäuse und Reptilien im Postsiedlungs-Biotop niedergelassen. Darunter befinden sich über 20 seltene und stark gefährdete Arten wie etwa die Goldwespe, der Kirschprachtkäfer oder der Berliner Prachtkäfer. "Dass diese Arten hier leben, ist wunderbar. Oft fehlt ihnen in Deutschland der passende Lebensraum und der wird ihnen hier wieder zur Verfügung gestellt", sagt Hobbyfotograf Jan Becker.  

Bildergalerie

Bildergalerie

Besondere Tierarten im Darmstädter Postsiedlungs-Biotop

Ende der Bildergalerie

Zusammen mit seinem Kollegen Harald Rühl hat Becker in den vergangenen Jahren unzählige Tage im Unterholz des Biotops verbracht und alles fotografiert, was dort kreucht und fleucht. "Es ist erstaunlich, welche Vielfalt hier auf dieser kleinen Fläche herrscht", staunt Becker immer wieder.

Mit der Hilfe von National Geographic und der kalifornischen Akademie der Wissenschaften konnten Becker und Rühl ihre Beobachtungen auch wissenschaftlich verifizieren. Im Rahmen des Projekts iNaturalist können dort Naturfotografen und -fotografinnen Bilder hochladen und von internationalen Expertinnen und Experten bestimmen lassen. In der vergangenen Woche wurde das 750. Exemplar aus dem Postsiedlungs-Biotop verifiziert.

Ganz viel ehrenamtliches Engagement

Ein Erfolg, hinter dem viel Arbeit steckt. Angefangen hat alles vor vier Jahren. Als Ausgleich für 60 gefällte Bäume hatte der Postsiedlungs-Verein von der Darmstädter Wohnungsgesellschaft Bauverein AG eine Grünfläche gefordert – und bekommen. Mit Hilfe der Biologin und Umweltschützerin Eva Distler entstand dort ein Jahr später das Postsiedlungs-Biotop.  

Auf die Beine gestellt haben das zu großen Teilen die Mitglieder des Vereins, immer wieder gab es ehrenamtliche Arbeitseinsätze am Biotop. Die finanziellen Mittel zum Bau und zur Beflanzung stammen aus den Beiträgen des Vereins, Spenden aus dem Quartier sowie Unterstützungen der Stadt und der Bauverein AG.

Geplante Artenvielfalt

Dass nun so viele Tiere dort leben, ist kein Zufall: "Grundlage für die Insektenvielfalt ist die Vielfalt der Pflanzen. Wir haben ausschließlich auf heimische Wildpflanzen gesetzt, die Lebensgrundlage für viele Insekten und Wildbienenarten sind. Das gibt uns die Garantie, dass auch wirklich viele Tierarten in das Biotop einziehen", sagt Distler.

Es sei bei einer solchen Planung wichtig, an den ganzen Lebenszyklus der Insekten zu denken, so Distler. "Welche Nahrung brauchen sie? Wo leben sie? Wo ziehen sie ihre Brut auf?" So bräuchten etwa Holzbienen totes Holz, Mauerbienen benötigten Hohlräume, und für Reptilien seien Steinhaufen aufgestellt worden. Eine alte Baugrube biete zum Beispiel Lebensräume für Sandbienen. "Wir haben versucht, all diese Bedürfnisse zu berücksichtigen."

Sandige Böden, Sträucher, Blüten: Das Postsiedlungs-Biotop ist sehr vielfältig angelegt.

Dass am Ende aber mindestens 750 Arten in das Biotop eingezogen sind, hat selbst die Wissenschaftlerin nicht erwartet: "Das hat mich sehr überrascht und noch mehr gefreut!" Das soll es aber noch lange nicht gewesen sein. "Die Experten sagen, wir werden an die 1.000 herankommen", erzählt Ripper vom Postsiedlungs-Verein.

Bürgerverein bietet Workshops an

Damit sich das Biotop weiterhin so gut entwickelt und die Fotografen viele neue Motive finden, werden die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer auch in Zukunft viele Stunden Arbeit investieren. Vor einigen Tagen hat der Postsiedlungs-Verein im Beisein von Darmstadts Umweltdezernent Michael Kolmer (Grüne) zwei Infotafeln zur Artenvielfalt aufgestellt. Weitere sollen folgen.

Zudem bietet der Verein immer wieder Seminare und Workshops im und rund um das Biotop an. Auch Kinder der nahegelegenen Grundschule lädt der Verein immer wieder zu Veranstaltungen im Grünen ein. Frei nach dem Motto: von Menschen in Darmstadt für Menschen in Darmstadt.

Nachdenkliche Töne

Dass das Projekt in seiner Siedlung solch ein besonderer Erfolg geworden ist, stimmt den Vereinsvorsitzenden Ripper aber auch nachdenklich: "Unser Biotop zeigt auch, was anderorts in den Städten kaputt gemacht worden ist, zum Beispiel durch großflächiges Rasenmähen." Er hofft, dass sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Politik, ein Beispiel an der kleinen grünen Oase im Herzen Darmstadts nehmen.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen