Mordprozess gegen Vermieter-Paar Anklage spricht von 68-tägigem Martyrium des Opfers
Vor dem Landgericht Gießen hat der Mordprozess gegen ein Paar aus dem Vogelsberg begonnen. Die beiden Angeklagten sollen eine Frau mit Down-Syndrom gequält und schließlich ermordet haben. Mieter berichten von weiteren Übergriffen.
Die Verlesung der Anklage im Landgericht Gießen dauert keine Viertelstunde. Aber das, was in dieser Viertelstunde gesagt wird, hallt noch deutlich länger nach.
Ein 68 Tage langes Martyrium, so beschreibt es die Anklage bei der Prozesseröffnung am Dienstag. Und am Ende davon stand der Tod.
Mord durch Unterlassen
Wochenlang soll das Frührentner-Paar eine Mieterin schwer misshandelt, erniedrigt, ausgebeutet, sozial isoliert und schließlich mit hohen Dosen an Beruhigungsmitteln vergiftet haben.
Daran sei die 55 Jahre alte Frau, die das Down-Syndrom hatte, schließlich gestorben - und an unterlassener Hilfeleistung durch die Angeklagten.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem 58-jährigen Mann und seiner 44 Jahre alten Lebensgefährtin daher gemeinschaftlichen Mord durch Unterlassen sowie gefährliche Körperverletzung vor.
Es geht um schwere Misshandlungen
Im November 2023 – gut drei Monate vor dem Mord - soll die Frau in das Fachwerkhaus im Lauterbacher Ortsteil Wernges eingezogen sein, einem Dorf mit weniger als 200 Einwohnern.
Die beiden Angeklagten sollen ihre Mieterin permanent kontrolliert und bewacht haben – selbst bei Toilettengängen. Handy und EC-Karte seien ihr abgenommen worden, einen eigenen Hausschlüssel habe sie nicht gehabt. Nachts sei ihre Zimmertür von außen zugeklebt worden.
Auch Gewalt sollen sie ihr angetan haben, etwa durch Schläge gegen den Kopf und indem sie eine große Dogge auf die nur 1,58 Meter große Frau gehetzt hätten. Zu Essen hätten sie ihr unter anderem Hundefutter gegeben.
Am Tag vor ihrem Tod sollen ihr 77 Tabletten eines Beruhigungsmittels verabreicht worden sein. 24 Stunden später sei sie nicht mehr ansprechbar gewesen und habe stark unterkühlt auf dem kalten Fußboden gelegen. Einen Arzt hätten die Angeklagten trotzdem nicht geholt. Die Frau sei am 23. Januar 2024 gestorben.
Noch weitere Fälle
Laut Polizei und Staatsanwaltschaft vermieteten die Angeklagten seit Ende 2015 an insgesamt 26 Mieter. Dabei soll es ebenfalls zu Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen gekommen sein. Entsprechende Ermittlungsverfahren seien eingeleitet worden.
Das Motiv ist zum Prozessauftakt noch rätselhaft. Die Staatsanwaltschaft deutet an, dass es bei den Taten wohl auch um Geld gegangen sei. Die beiden Angeklagten sollen etwa die Sozialleistungen der Frau eingezogen haben, sie sei außerdem zur Prostitution gezwungen worden.
Der Mord habe laut Staatsanwaltschaft dann zur Verdeckung der vorangegangenen Misshandlungen gedient. Später soll der Mann die Leiche dann auch noch zerteilt und teilweise in einer Tonne im Haus, teilweise im Wald versteckt haben.
Angeklagte schweigen
Die beiden Angeklagten – er mit grauer Halbglatze und Schnurrbart, sie dunkelhaarig im magentafarbenen Kapuzenpulli – nahmen alles wortlos auf. Der 59-Jährige schüttelte an einer Stelle während der Verlesung der Anklage den Kopf, als es um die Zerteilung der Leiche ging.
Sagen wollen beide laut ihren Verteidigern zunächst nichts. Der Mann ließ aber über seinen Anwalt mitteilen, dass er die Tat bestreitet.
SEK-Einsatz auf dem Hof
Aufmerksam geworden waren die Ermittler auf den Fall, nachdem die Polizei am 30. Juni 2024 zu Streitigkeiten zwischen dem Vermieterpaar und einem ehemaligen Mieter nach Wernges gerufen wurde. Dabei soll es um Differenzen wegen Mietzahlungen gegangen sein.
Der ehemalige Mieter sagte, dass sich in dem Haus bis Anfang des Jahres noch eine weibliche, geistig beeinträchtigte Person aufgehalten habe, die jedoch plötzlich verschwunden sei. In einer Vernehmung sprach der Mann laut Staatsanwaltschaft von "diversen körperlichen Übergriffen" auf das spätere Todesopfer.
Am 3. Juli gab es schließlich einen Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei auf dem Hof. Auch Spürhunde und die Feuerwehr waren vor Ort. Dabei wurden die sterblichen Überreste gefunden - Monate nach dem Tod der Frau.
Angehörige berichten dem hr: Sie habe sich bereits zu Weihnachten nicht mehr bei ihrer Familie gemeldet, auch zu Geburtstagen am Jahresanfang habe sie nicht mehr angerufen. Die Familie sei darüber zwar traurig gewesen – jedoch sei es nicht ungewöhnlich gewesen, dass das Opfer sich über mehrere Monate nicht gemeldet habe.
Mieter berichteten dem hr von Übergriffen
Nach hr-Recherchen wohnten in dem Haus mehrere Menschen, die Sozialleistungen bezogen. Mindestens eine Person hatte aufgrund ihrer schwierigen Lebenssituation auch eine vom Amtsgericht bestellte Betreuung.
Das Paar – beide Frührentner – vermietete offenbar Zimmer an diverse Mieterinnen und Mieter, sie lebten in einer Art Wohngemeinschaft zusammen. Nach Angaben des Vogelsbergkreises herrschte dort eine hohe Fluktuation, Mieter kamen und gingen in kürzeren Abständen.
Nach dem Leichenfund im vergangenen Jahr hatten sich gegenüber dem hr mehrere Mieterinnen und Mieter zu den Umständen im Haus geäußert. Sie berichteten zum Teil von Beschimpfungen und Bedrohungen seitens des Vermieterpaares. Eine Person schilderte auch körperliche Übergriffe.
Umfangreicher Prozess
Der Prozess wird voraussichtlich sehr umfangreich sein und wohl noch Monate dauern. Es sind 90 Zeugen und geladen. Es gibt wohl sehr ausführliche Chatverläufe zwischen den Angeklagten. 22.000 Chatnachrichten wurden demnach ausgewertet.
Fortgesetzt wird der Prozess am 16. Mai.