Im Bildvordergrund die Rampe eines Fährschiffes, das ein Flussufer ansteuert. Zwischen Rampe und Flussufer Wasser mit vielen deutlich sichtbaren Sandinseln (Sandbänken).

Auf einer Länge von 90 Kilometern zwischen Wiesbaden und Koblenz lässt sich der Rhein nur per Fähre überqueren. Doch dafür braucht es Wasser. Fährbetreiber wie Michael Maul sorgen sich nun um ihre Existenz.

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Niedrigwasser beeinträchtigt Schifffahrt

hs
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Michael Maul steht an der brusthohen Reling und zeigt auf grüne Gräser und eine breite Kieslandschaft, die dort liegt, wo eigentlich der Rhein fließen sollte. "Vielleicht können wir da dann wenigstens ein neues Wohnviertel bauen", schlägt er vor. Für Maul, Fährbetreiber zwischen dem hessischen Oestrich-Winkel (Rheingau-Taunus) und dem rheinland-pfälzischen Ingelheim, ist Galgenhumor das einzige, was aktuell hilft.

Der Fährmann (von hinten) steht an der Reeling eines Fährschiffes und blickt über den Fluss, der viele grüne Stellen zeigt. Im Bildhintergrund das Flussufer.

Jeden Morgen checkt er nach dem Aufwachen als erstes sein Handy, öffnet die App, die ihm den momentanen Pegelstand von einer der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt anzeigt. Und dann lacht er eben, obwohl ihm nach Weinen zumute ist. Denn Hilfe ist nicht in Sicht.

Vom Flussbett ist nicht mehr viel übrig

Seit Wochen hat es fast gar nicht geregnet, weder im Rheingau noch stromab- oder stromaufwärts. Die Pegelstände des Rheins sinken immer weiter, Uferzonen fallen trocken, neue Inseln steigen auf. Und der Deutsche Wetterdienst (DWD) sagt weiter kaum Regen voraus. "Heute morgen hat mir die App einen Pegel von 72 Zentimetern vor Oestrich angezeigt", sagt Maul an diesem Dienstag. "So niedrig war das Wasser hier so früh im Jahr noch nie." Vom Flussbett ist nicht mehr viel übrig, abseits der Schifffahrtsrinne gleicht der sagenumwobene Fluss immer mehr einem Rinnsal.

"Momentan sieht der Rhein eher aus wie eine Wiese", sagt Maul, so viele Wasserpflanzen habe er noch nie zuvor in dem Fluss gesehen, den er selbst seit bald 50 Jahren befährt. Die Familie Maul betreibt die Fähre an dieser Rhein-Stelle seit den 1950er Jahren, Michael Maul hat den Betrieb 1998 übernommen und vor der Corona-Pandemie bis zu 600.000 Fahrgäste pro Jahr von der einen Flussseite auf die andere gebracht.

Flussufer mit einem Anleger und einigen kleineren Schiffen. Das Flusswasser steht so niedrig, dass die ganze Böschung des Flussufers trocken liegt und sichtbar ist.

Niedrigwasser hat er dabei oft gesehen. Klassischerweise Ende September, Anfang Oktober. Den Rekord-Tiefstwert erlebten Maul und alle anderen Rhein-Schiffer im November 2018, als der Rheinpegel auf knapp über 50 Zentimeter sank. "Aber wir sind jetzt am Anfang des Augusts, bis zum Herbst sind es noch einige Wochen – in denen kein nennenswerter Regen zu erwarten ist", sagt Maul. "Es stehen uns wohl neue Negativrekorde ins Haus."

Auf einem Abschnitt der Oberweser fahren keine Schiffe mehr

Was das bedeuten kann, zeigt der Blick nur ein paar Flusskilometer rheinaufwärts: Das Wiesbadener Freizeitgelände Rettbergsaue ist bis auf weiteres nicht erreichbar, da die Personenfähre "Tamara" wegen des niedrigen Rhein-Pegels ihren Betrieb einstellen muss. Oder weiter nördlich, die Elbe: Dort sind wegen Niedrigwassers laut dem Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB) schon seit Wochen keine Frachter mehr unterwegs. Auf einem Abschnitt der Oberweser musste die Schifffahrt ebenfalls eingestellt werden: Seit Dienstag verkehren die Fahrgastschiffe der "Flotte Weser" nicht mehr zwischen Bad Karlshafen (Kassel) und Höxter (Nordrhein-Westfalen), wie deren Geschäftsführer Jörg Menze in Hameln sagte.

Wegen des niedrigen Wasserstandes gebe die Edertalsperre kein Wasser mehr in die Fulda ab, damit habe auch die Weser in diesem Abschnitt eine zu geringe Tiefe. Auch Güterschifffahrt ist dort nicht mehr möglich. Bei Flüssen mit Staustufen wie Mosel, Neckar und Main ist Niedrigwasser hingegen weniger ein Problem, weil sich ihr Pegelstand regulieren lässt.

Zurück auf den Rhein. Auf beiden Seiten der weiß-blauen Fähre "Michael" liegen flächendeckende Algenteppiche, Kiesinseln und Wasserpflanzen. Blickt man von der Fähre nach unten, kann man bis zum Grund sehen. "Ich würde meine Hand aktuell nicht unter den Kiel halten", sagt Maul.

Im Bildvordergrund die Rampe eines Fährschiffes, das ein Flussufer ansteuert. Zwischen Rampe und Flussufer Wasser mit vielen deutlich sichtbaren Sandinseln (Sandbänken).

Das Rangieren der Fähre sei gerade eine Zentimeterarbeit: "Ich schätze, dass meine Handfläche da nicht mehr zwischen Schiffs- und Flussboden passt." So könne man fast von einem Ufer zum anderen laufen, flüchtet sich Maul wieder in Galgenhumor. Nur die Fahrrinne mit ihren knapp zwei Metern wäre da noch zu überwinden.

Geplante Rheinvertiefung bis Anfang der 2030er

Für die Fahrrinne gibt es übrigens auch ohne den dringend benötigten Regen Hoffnung. Denn Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sieht einen deutlichen Bedarf, mehr Verkehr von der Straße auf Schienen und Wasserstraßen zu verlagern. Eine geplante Rheinvertiefung sei "das Projekt aus dem Bundesverkehrswegeplan mit dem höchsten Kosten-Nutzen-Verhältnis", sagt Wissing.

Für rund 180 Millionen Euro soll die Fahrrinne zwischen Wiesbaden und St. Goar von garantierten 1,90 Metern auf durchgängig 2,10 Meter in Bezug auf einen definierten Wasserstand vertieft werden. Maul und seiner Rheinfähre bringen diese Zukunftsvisionen in der derzeitgen Lage aber nichts: Das Projekt soll bis 2030 abgeschlossen werden.

Eine Fähre für zwei Betriebe

"Wir wissen, dass die Vertiefung der Winkeler Bucht im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 berücksichtigt ist", teilt Oestrich-Winkels Erster Stadtrat Björn Sommer (FDP) mit. "Selbstverständlich" habe die Stadt in einer Stellungnahme beim Bund die Herausforderungen bestätigt, die ihr in Verbindung mit Niedrigwasser entstehen. Sommer habe bereits einen Termin mit Maul vereinbart, um über eben diese Herausforderungen zu sprechen. Er sagt aber auch: "Die Kommunen entlang des Rheins haben im Wasser- und Schifffahrtsbereich keine Möglichkeiten der direkten Einflussnahme." Die Verwaltung des Rheins liege ausschließlich bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV).

Bis 2030 muss sich Maul mit seinem Fährbetrieb also selbst um seine Fahrrinne kümmern. Im Rekordjahr 2018 zum Beispiel hat er mit einem speziellen Spreizbagger kleinere Sandbänke und Hügel abgetragen. Nun verlegt er die eigens angefertigte Niedrigwasserfähre eines befreundeten Betriebes aus Lorch nach Oestrich-Winkel. Mit dieser hat er 2018 auch den bisherigen Negativwert überstanden - "aber was passiert, wenn der Pegel unter 50 Zentimeter sinkt, weiß kein Mensch."

Die Niedrigwasserfähre soll nun die Fahrten in Oestrich-Winkel retten. "Wir haben dann in Lorch aber einen Totalausfall", sagt der dortige Betreiber Michael Schnaas. "Die eine Fährstelle muss dann quasi zwei Fährbetriebe ernähren." Gewinn mache dabei keiner, aber zumindest kämen beide über die Runden. "Ansonsten könnte ich wohl übermorgen aufhören zu fahren", sagt Michael Maul ein paar Flusskilometer stromaufwärts mit Blick auf die nächste Grünfläche. "Und dann vermutlich monatelang nicht mehr ablegen."

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