Ein Luftbild eines Feldes, auf welchem grundrissähnliche Zeichnungen aus dem Erdreich durchschimmern.

Auf einer Wiese in Romrod kommen derzeit seltsame Linien zum Vorschein. In diesem Dürre-Sommer sind sie besonders deutlich zu erkennen. Sie erinnern an eine pompöse Vergangenheit des Ortes.

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Überreste eines historischen Jagdlagers aufgetaucht

hessenschau vom 26.08.2022
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Merkwürdige Linien sind derzeit auf einer unscheinbaren Wiese im Jägertal in Romrod-Zell (Vogelsberg) zu sehen. Auf den ersten Blick könnte man sie für Markierungen eines Spielfelds oder eines Grundstücks halten.

Aus der Vogelperspektive betrachtet, offenbart die Struktur nahe der A5 äußere Begrenzungslinien und darin zahlreiche Rechtecke.

Wenn die Grasnarbe niedrig ist, sind die Linien auf der 1,5 Hektar großen Fläche hin und wieder gut zu erkennen: Es handelt es sich um die Überreste eines ehemaligen Jagdlagers aus dem 18. Jahrhundert, das sich in der wildreichen Gegend im heutigen Mittelhessen befand.

Dürre-Sommer bringt Umrisse zum Vorschein

In diesem heftigen Dürre-Sommer 2022 sind die Umrisse besonders deutlich zu erkennen, weiß Grundstückseigentümer Julian Rühl. Wenn der Landwirt die Wiese gemäht hat, um Heu zu machen, und anschließend seine Rinder das Gras weiter abgefressen haben, kommen die Fundamente stärker als sonst zum Vorschein.

Gemälde aus dem 18 Jhd., das eine Ensemble von Gebäuden und davor eine zuführende steinerne Brücke zeigt.

Stolz auf Wiese mit historischer Vergangenheit

"Mein Opa hat die Wiese schon bewirtschaftet. Sie gehört uns seit Generationen. Für uns ist das nichts Neues. Aber uns sprechen immer wieder Neugierige darauf an. Und wir sind schon stolz, dass sie in unserem Besitz ist", sagt Rühl.

Selbst Hobby-Archäologen seien schon zu Besuch gekommen, sagt Rühl. Er selbst habe dort schon Scherben im Boden gefunden, die er dem Jagdlager zuordnet.

Landgraf ließ Anwesen errichten

Auf Wunsch von Landgraf Ludwig VIII. wurde das Anwesen in den Jahren 1721 und 1722 errichtet. Der jagdbegeisterte Landgraf residierte dort und feierte rauschende Feste mit dem Adel. Sein Nachfolger hatte aber kein Interesse an der Jagd. Und so wurde das Lager in den 1790er Jahren wieder abgebaut.

Doch bei großer Trockenheit sind die hellbeigen Bodenmarkierungen noch heute gut zu erkennen. Hier und da ragen sogar Basaltsteine aus dem Boden. Mit ihnen wurden Mauern und Gebäudewände gesetzt. Wenn Landwirt Rühl prüft, wie nah sie an der Oberfläche liegen, muss er nur mit einem Hammer ein Metallstab in den Boden treiben. "Nur ein paar Zentimeter, dann treffe ich darauf", sagt Rühl.

Landwirt Julian Rühl treibt eine Metallstange auf einer Wiese im Jägertal in den Boden mit seinen historischen Überresten eines Jagdlagers.

Fasziniert von den historischen Überresten ist auch Heimatforscher Gerhard Bing. Der 73-Jährige hat rund 40 Jahre als Verwaltungsangestellter in der Stadt Romrod gearbeitet. Er weiß viel über die Geschichte der Gegend. "Dass die Überreste des Jagdlagers in dieser Deutlichkeit zu sehen, ist einmalig und spannend", sagt er und vergleicht die Bodenmarkierungen mit Zeichnungen aus der Literatur.

"Hier", sagt Bing und deutet auf die Abbildung, "hat das große Herrenhaus gestanden. Es war mit Abstand der größte Bau im Ensemble der mehr als ein Dutzend Gebäude." Das nahe gelegene Schloss Romrod - heute ein beliebtes Ausflugsziel und Örtlichkeit für Feierlichkeiten - sei damals unbewohnbar gewesen. Und so machte es sich Ludwig VIII. auf seinem Landsitz hübsch.

Heimat-Forscher und Hobby-Historiker Gerhard Bing im Jägertal in Romrod-Zell

Luxuriöse Feste und Liebschaften im Jägertal

"Die Gebäude waren natürlich nicht so herrschaftlich wie in einem großen Schloss, aber es wurde schon Wert auf Komfort gelegt - mit pompösen Sälen und Mobiliar", hat Bing der Literatur entnommen.

"Ludwig lebte in Saus und Braus. Bei großen Hofgelagen brauchte es schon über 100 Bedienstete. Die Herrschaften feierten luxuriös, aßen und tranken reichlich nur vom Feinsten, während die Bevölkerung nur das Nötigste hatte. Zu den Festen musste auch immer der Stadtmusikus aus Alsfeld kommen und aufspielen."

Ludwig VIII. soll in der Gegend auch Liebschaften unterhalten haben. "Er ließ ihr in der Nähe ein Liebesschloss bauen. Es gibt in der Nähe noch eine nach der Dame benannten Helenen-Wiese."

Fachwerkhaus im Vogelsberg

Überreste des Jagdlagers finden sich noch heute in der Gegend wieder. Abgetragene Gebäudeteile und Baumaterialien wurden an anderer Stelle wiederverwendet - etwa Fachwerk und Balken in einem Wohnhaus in der Grünberger Straße in Alsfeld. Einst war in dem Gebäude ein Hotel untergebracht, wie Bing berichtet.

Auch in einer Kirche in der Nähe und in der ehemaligen Hessischen Staatsdomäne Neu-Ulrichstein in Homberg/Ohm finden sich Teile des Jagdlagers wieder. "Baumaterial wurde damals schon recycelt", sagt Bing, "das ist keine Erfindung der Neuzeit." In der Neuzeit kommen nun aber die Überreste deutlicher denn je im Jägertal zum Vorschein.

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