Das Rathaus in Kassel vor grauem Himmel.

Nach dem vorläufigen Ergebnis der Stadt vom Sonntagabend wurde Sven Schoeller mit 1.157 Stimmen Vorsprung zum Oberbürgermeister von Kassel gewählt. Inzwischen ist klar: Es waren deutlich weniger. Wie konnte es zu der Datenpanne kommen? Und wie belastbar sind die jetzigen Zahlen?

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Sven Schoeller knapp zum Oberbürgermeister gewählt

hs
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Die Grundschule Harleshausen ganz im Nordwesten von Kassel sieht so harmlos aus, wie eine Grundschule aussehen muss: ein freundliches, wuchtig-altmodisches Schulgebäude mit zartgelbem Anstrich und rotem Giebeldach.

Auch in seiner Wochenend-Funktion als Wahllokal strahlt der Bau nichts Böses aus - dabei sind hier scheinbar finstere Dinge passiert: Hier, im Stimmbezirk Grundschule Harleshausen (813), wurden Stimmen vernichtet.

Den 543 gemeldeten Ja-Stimmen standen nur 300 gültige Stimmen gegenüber - und da die gültigen Stimmen der Anzahl aller Ja- und Nein-Stimmen entsprachen, standen minus 243 Nein-Stimmen im Ergebnis. Mathematisch ausgedrückt: 300 - 543 = -243. Ein unmögliches Ergebnis bei einer Wahl.

"Votemanager"-Stimmauszählung für den Stimmbezirk Harleshausen (813): 543 Ja-Stimmen, -243 Nein-Stimmen, 300 gültige Stimmen.

Um es klar zu sagen: Nach allem, was wir wissen, ist in der Grundschule Harleshausen nichts Unredliches passiert. Dort, wie überall sonst in den Wahllokalen, haben engagierte Bürgerinnen und Bürger ihr Ehrenamt als Wahlhelfer nach bestem Wissen und Gewissen ausgeübt und alle Stimmen ordnungsgemäß ausgezählt.

Was anscheinend passiert ist: Die Zahl der Ja-Stimmen aus dem Stimmbezirk 813 lag in Wirklichkeit bei 143, nicht 543 - am späten Montagnachmittag korrigierte die Stadt das gemeldete vorläufige Endergebnis und damit auch die Daten aus der Grundschule Harleshausen. Eine 5 statt einer 1. Die neue - richtige - Rechnung lautet dann: 300 abgegebene Stimmen minus 143 Ja-Stimmen ergibt 157 Nein-Stimmen.

Nur: hätte das die Stadt nicht von Anfang an merken müssen, dass die Daten nicht zusammenpassen?

Offene Daten mit Widersprüchen

Tatsächlich waren Daten-Probleme schon am Sonntagabend aufgefallen. Die Stadt nutzt zum Stimmenzählen ein Programm namens "Votemanager", das in fast allen hessischen Gemeinden im Einsatz ist. Es ermöglicht, die Auszählungs-Ergebnisse schnell auszuwerten und zusammenzuzählen.

Die Daten, die so genannten "Schnellmeldungen" aus den Wahllokalen, werden dabei automatisch auf einer speziellen Internet-Seite veröffentlicht. Dort kann sich jede und jeder die Rohdaten als so genannte CSV-Datei herunterladen - eine Datentabelle für Kalkulations-Programme wie Excel. Auch die hessenschau nutzt diese Downloads für die Darstellung der Ergebnisse.

Je weiter die Auszählung voranschritt, desto klarer wurde: Diese Daten können nicht stimmen. Die Daten enthielten Zeilen, bei der die Summe aus Ja- und Nein-Stimmen größer war als die Zahl der gültigen Stimmen. Dies führte zunächst dazu, dass auf den hessenschau-Seiten mitunter von über 100 Prozent abgegebenen Stimmen die Rede war - so stand es in den publizierten Rohdaten.

Ja, nein, gesamt: Wenn die drei Stimmen-Zahlen nicht zusammenpassen, gibt es eine Möglichkeit, trotzdem zu einem stimmigen Ergebnis zu kommen - man lässt einen der drei Werte weg und rechnet. Das von der Stadt Kassel gemeldete Ergebnis hatte die Zahl der gemeldeten gültigen Stimmen, die gemeldete Ja-Stimmen-Zahl - und eine Nein-Stimmen-Zahl, die als Differenz der beiden errechnet wurde.

Stadt: Vorläufige Ergebnisse werden ohnehin noch geprüft

Als die ersten Unstimmigkeiten auffielen, hatte die Stadt zunächst abgewiegelt. Eine Sprecherin hatte dem hr am Sonntagabend gesagt, im "Votemanager" seien keine Unregelmäßigkeiten aufgefallen, und am Montag würden alle Wahlniederschriften geprüft.

Am Montagnachmittag antwortete die Stadt dann, es hätten automatische Überprüfungen der Daten auf Stimmigkeit nicht funktioniert. Der Wahlvorstand sei vom Programm einfach nicht benachrichtigt worden, wo er hätte nachprüfen und gegebenenfalls korrigieren müssen.

Zitat
„Eine automatische Prüfung eingetragener Werte [wurde] softwareseitig wider Erwarten nicht vorgenommen. “ Pressestelle der Stadt Kassel Pressestelle der Stadt Kassel
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Die Stadt Kassel sieht nun die Betreiberin der "Votemanager"-Software in der Verantwortung - die landeseigene IT-Betreibergesellschaft ekom21. Die Stadt schreib, sie habe ekom21 aufgefordert, "das Problem unverzüglich aufzuklären. Die ekom21 hat zugesagt, dafür zu sorgen, dass dem Wahlausschuss am Mittwoch korrekte Daten zur Feststellung des endgültigen Ergebnisses vorgelegt werden können.“

Vorsprung schmilzt auf 360 Stimmen

Tatsächlich ist ein Punkt wichtig: Die Daten, die die Stimmzähl-Software veröffentlicht, heißen nicht umsonst "Schnellmeldungen" - es sind vorläufige Daten, die erst nach der Prüfung als vorläufiges und schließlich als offizielles Endergebnis gelten dürfen.

Ohnehin ist in Deutschland vorgeschrieben, dass es zu Wahlen Papierdokumente gibt - Wahlzettel und Stimmlisten, die sich überprüfen lassen. Wahlmaschinen, in denen Stimmen womöglich nur als Bits und Bytes existieren, dürfen hier nicht benutzt werden - aus gutem Grund.

Am Montagabend publizierte die Stadt erneut ein vorläufiges Ergebnis - aus den 543 Ja-Stimmen aus Harleshausen (813) waren wieder 143 geworden. Es wurden aber auch andere Zahlen korrigiert. Insgesamt schmolz der Vorsprung des Ja-Lagers auf 360 Stimmen. Aber immer noch handelt es sich nur um ein vorläufiges Ergebnis.

Am Mittwoch verkündet die Stadt das offizielle Endergebnis.

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