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Wählen ab 16 bei der Europawahl

Schülerinnen und Schüler auf einem Schulhof, an der Schule hängt eine Europaflagge.

Am 9. Juni dürfen in Hessen rund 100.000 Menschen unter 18 Jahren bei der Europawahl zum ersten Mal mitstimmen. Wie blicken junge Wahlberechtigte auf die Wahl? Wie gut informiert fühlen sie sich? Zu Besuch am "Europatag" einer Schule in Offenbach.

Über 15 Forderungen stehen aufgelistet auf einer Plane, die wie ein Teppich auf dem Schulhof der Theodor-Heuss-Schule in Offenbach ausgerollt ist. Eine Schülerin malt mit einem Folienstift einen dicken Strich hinter den Schriftzug "Keine Waffen, keine Kriege". Mit einigen Freundinnen fängt sie an zu diskutieren: "Wohin noch ein Strich?"

An der Berufsschule in Offenbach ist an diesem Vormittag im April "Europatag". Neben der Plane mit den Forderungen ist eine Meme-Wand aufgestellt, direkt daneben ein Quiz zur Europäischen Union und eine Box mit Stimmzetteln, auf denen die Parteien stehen, die im Juni bei der Europawahl antreten werden.

Eine Schülerin markiert auf der Liste, welche Themen ihr für die Wahl wichtig sind.

Erste Wahl ab 16

Es ist das erste Mal, dass das EU-Informationsnetzwerk Europe Direct zusammen mit der Evangelischen Akademie Frankfurt diese Pausenhof-Aktion durchführt - denn bei der Wahl zum neuen Europaparlament am 9. Juni sind in Hessen erstmals rund 100.000 Menschen wahlberechtigt, die größtenteils noch zur Schule gehen.

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Mindestwahlalter auf 16 Jahre gesenkt

  • 2022 hat der Bundestag ein Bundesgesetz geändert, dass das Mindestalter für die Teilnahme an der Europawahl regelt.
  • Bei der Europawahl wird in jedem Mitgliedsstaat nach den eigenen Regeln gewählt. Während in Deutschland nun Menschen ab 16 Jahren wahlberechtigt sind, darf in vielen anderen Staaten nach wie vor erst ab 18 gewählt werden.
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"Eine Riesen-Chance für den politischen Willensbildungsprozess" nennt das Politiklehrer Christian Dörge. Er ist Teil des "Europa-Teams" der Schule, das den Projekttag organisiert hat.

Normalerweise gingen die meisten Menschen nicht mehr zur Schule, wenn sie das erste Mal wählen dürften, erläutert Dörge. "Wenn Wahlen dann Thema im Unterricht waren, hieß es immer: Warum sollte mich das jetzt interessieren, wenn ich sowieso nicht mitmachen darf?"

Schülerinnen wollen sich nicht allein an Eltern oder Tiktok orientieren

Für die Schülerinnen, die an diesem Morgen an der beschreibbaren Plane ihre Forderungen diskutieren, scheint das nun tatsächlich anders zu sein. Sie tauschen sich darüber aus, was ihnen wichtig ist, was sie stört - aber auch darüber, was sie nicht verstehen. Viele berichten von dem Gefühl, sich nicht gut genug mit der EU auszukennen.

Hin und wieder würden ihr zwar durch den Algorithmus bei Tiktok oder Instagram politische Inhalte vorgeschlagen, erzählt etwa die 17 Jahre alte Patrycja Bojdo. "Aber man merkt nicht so richtig, was die EU eigentlich für uns junge Menschen tut", sagt sie.

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Welche Themen sind Erstwählerinnen und Erstwählern bei der Europwahl wichtig?

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Die 18-jährige Aziza Benaddi sagt, dass sie sich bei wichtigen Fragen meist an ihren Eltern orientiere. "Aber die wählen nur zu ihrem eigenen Vorteil - und mir ist es eigentlich wichtig, für den Vorteil der Allgemeinheit zu wählen." Gerade jetzt, gerade wegen der vielen Dinge, die sie in der Welt momentan als ungerecht wahrnehme.

"Ich fänd’s cool, wenn man in der Schule darüber spricht und mehr davon mitbekommt, aber das haben wir leider nicht, abgesehen von Aktionstagen wie heute", sagt ihre Freundin Ceyda Yildirim. "Manchmal hat man das Gefühl, die Lehrer wollen darüber nicht sprechen, aus Angst, ihre politische Meinung zu sagen", ergänzt Benaddi.

Thema "Europa" in den Lehrplänen

In Hessens Lehrplänen, den "Kerncurricula", ist das Thema "Europa" nach Angaben des Kultusministeriums mehrfach vorgesehen: in allen Schulformen einmal im Fachbereich Politik und Wirtschaft in der Sekundarstufe I, also bis zur Jahrgangsstufe 10, und dann für die gymnasiale Oberstufe noch einmal in jedem Halbjahr der 11. und 12. Klasse.

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Europawahl 2024 auf hessenschau.de

Wer genau wird am 9. Juni gewählt, wofür ist das Europäische Parlament zuständig und wie ging die vorige Wahl aus? Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie in unserem Europawahl-FAQ. Am Sonntag berichten wir im Ticker zur Europawahl 2024.

In dieser Übersicht haben wir die Parteien, die zur Wahl stehen, und ihre Programme zusammengefasst. Mit dem Wahl-O-Mat können Sie außerdem die Positionen der Parteien miteinander vergleichen.

Ab 18 Uhr bieten wir alle Ergebnisse der Europawahl 2024 aus Hessen im Überblick. Über aktuelle Meldungen aus Hessen zur Europawahl bleiben Sie in unserem Dossier auf dem Laufenden.

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"Auf der Grundlage der Kerncurricula sind die Schulen verpflichtet, schuleigene Curricula zu entwickeln und dabei die Komponenten des Kerncurriculums weiter zu konkretisieren", heißt es vom Ministerium. Der hessische Bildungsserver biete Lehrkräften dafür "ein umfangreiches Angebot an Unterrichtsmaterialien" zu Europa und zur Europawahl.

Politiklehrer Christian Dörge berichtet, in der Praxis gebe es dennoch "wenig Spielraum" für Lehrkräfte, aktuelle Wahlen ausführlicher unterzubringen. Er persönlich wolle versuchen, noch vor der Wahl am 9. Juni Raum dafür in seinem Unterricht zu schaffen.

Podiumsdiskussionen, Workshops, Projekttage

"Die EU ist für die jungen Menschen in ihrem Alltag sehr schlecht greifbar und komplex", sagt er. Das mache das Thema zusätzlich schwierig. Daher seien Aktionen wie die Europatage, spezielle Workshops und Podiumsdiskussionen an der Schule – aber außerhalb des regulären Unterrichts – jetzt besonders gefragt.

Auch die hessische Staatskanzlei bietet solche Workshops zur Europawahl an. Außerdem verweist das Kultursministerium auf die sogenannte Juniorwahl, die von der Landeszentrale für politische Bildung organisiert wird und an der hessenweit hunderte Schulen teilnehmen. Letzten Endes bleibe die Teilnahme an solchen Angeboten aber abhängig vom Engagement der Lehrkräfte, sagt Dörge.

Besonderes Engagement an der Theodor-Heuss-Schule

An der Theodor-Heuss-Schule ist dies mit einem sechsköpfigen "Europa-Team" nicht ohne Grund besonders ausgeprägt: Die Schule möchte eine der 33 Europaschulen des Landes Hessen werden, die spezielle Fördergelder für entsprechende Projekte bekommen.

Schaut man sich auf dem Schulhof um, ist die Begeisterung für die EU auf einige Schülerinnen und Schüler ganz besonders übergesprungen: Ein Mädchen ist von oben bis unten mit "I love Europe"-Stickern beklebt. Bei anderen zeigt sich das Interesse subtiler: Immer wieder bleiben Gruppen am Stehtisch mit dem EU-Quiz stehen und immer wieder landen ausgefüllte Stimmzettel in einer Papp-Wahlurne.

Mädchen mit vielen "I love Europe" Stickern auf ihrer Kleidung steht auf dem Schulhof.

Rechtsruck unter jungen Menschen?

Als das Team von Europe Direkt die Stimmen der Wahl-Simulation am Ende des Tages auszählt, ist die AfD dabei nach CDU und SPD drittstärkste Kraft – angesichts aktueller Umfragen wenig überraschend. So rief der jüngst veröffentlichte Bericht "Jugend in Deutschland 2024" Schlagzeilen zu einem Rechtsruck unter jungen Leuten hervor.

Die Pausenhof-Wahl sei alles andere als repräsentativ, betont Politiklehrer Dörge. Er sagt aber auch: "Die jungen Menschen sind ein Teil der Gesamtgesellschaft und natürlich spiegeln sich dort auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen".

Jasmin Abu Sukhen, die Schülerin, die von ihren Freunden mit "I love Europe"-Stickern beklebt wurde, sieht das anders. Zwar finde sie gut, dass das Wahlalter ab 16 ihrer Generation mehr Gewicht gebe, sich mit Themen einzubringen, die für ihre Zukunft wichtig seien.

Sie habe aber die Sorge, dass viele junge Menschen "aus Spaß" rechts wählen würden. "Dabei wissen sie gar nicht, was die Partei eigentlich machen will." Fast, als hätte sie es sich bei Politikern abgeschaut, sagt sie dann, ein kleines Europa-Fähnchen schwenkend: "Aber hoffentlich kommt es gut und unsere Gesellschaft wächst daran."

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