Hanauer OB Kaminsky über seinen Rückzug Ein Akt der Befreiung

Mit Claus Kaminsky tritt im Herbst 2026 der dienstälteste Oberbürgermeister Hessens zurück. In Hanau wird sein Name untrennbar mit dem rassistischen Anschlag von 2020 verbunden bleiben. Doch Kaminsky steht in seiner Heimat für viel mehr.

Kaminsky spricht auf einer Gedenkfeier in der Hanauer Innenstadt
Claus Kaminsky, hier auf einer Gedenkfeier für die Opfer des Terroranschlags von 2020, tritt im kommenden Herbst als Hanauer OB zurück. Bild © Imago / Patrick Schreiber
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Hanauer OB Kaminsky beantragt Versetzung in den Ruhestand

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Selbst politische Kontrahenten mussten über die Jahre zugeben, dass Claus Kaminsky "zugegeben nicht alles falsch gemacht hat". Das Zitat stammt von Joachim Stamm (CDU), der 2015 zur Wahl des Oberbürgermeisters gegen den Dauer-OB der SPD antrat und wie viele andere über zwei Jahrzehnte das Nachsehen hatte.

Am 30. September 2026 endet das, was man getrost als Kaminsky-Ära in Hanau bezeichnen kann. Er werde sich in den Ruhestand versetzen lassen, bekräftigte der 65-Jährige auf einer Pressekonferenz an diesem Montag. Der richtige Zeitpunkt sei gekommen, die Verantwortung der Stadt in jüngere Hände zu legen.

Dem hr sagte Kaminsky, er sehe seinem politischen Ruhestand mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Wehmut auf der einen Seite und der Vorfreude auf eine Menge Freiheit sowie Freizeit auf der anderen Seite entgegen. "Die Aussicht, nicht mehr Sklave des eigenen, nicht wirklich selbstbestimmten Terminkalenders zu sein", sei durchaus verlockend.

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Vertrauen in die potenziellen Nachfolger

Kaminskys Nachfolge soll im Frühjahr geklärt werden: Bürgermeister Maximilian Bieri (SPD) und Stadträtin Isabelle Hemsley (CDU), die am Montag beide an Kaminskys Seite saßen, wollen zu einer vorgezogenen OB-Wahl am 15. März kommenden Jahres gegeneinander antreten.

Zutrauen würde er es beiden vorbehaltlos, sagte der Noch-Oberbürgermeister. "Sie haben das Zeug und die Fähigkeit." Wahlkampf für seinen Parteigenossen Bieri sei von ihm höchstens dosiert zu erwarten. Schließlich gibt es bis zum Herbst 2026 auch noch einen Job zu erledigen.

Von links nach rechts an einem Tisch: Bürgermeister Maximilian Bieri, OB Claus Kaminksy (beide SPD) und Stadträtin Isabell Hemsley (CDU)
Gut gelaunt präsentierten sich OB Claus Kaminsky (Mitte) und seine möglichen Nachfolger, Bürgermeister Maximilian Bieri (SPD) und Stadträtin Isabell Hemsley (CDU), am Montag der Presse. Bild © Stefan Pommerenke (hr)

"Die bittersten, traurigsten Stunden"

In seinen bislang 22 Jahren als Stadtoberhaupt – Bürgermeister wurde er sogar schon 1995 – hat Kaminsky Hanau geprägt: als Entwickler, Krisenmanager und Demokrat sowie zuletzt in seiner schwersten Rolle als Trauernder und Versöhner, aber auch als Verantwortlicher nach dem Terrorangriff, als Tobias R. aus rassistischen Motiven neun Menschen erschoss, ehe er seine Mutter und sich selbst tötete.

Kaminsky bezeichnete den späten Abend des 19. Februar 2020 und die Zeit danach als die "bittersten, traurigsten Stunden, die diese Stadt in Friedenszeiten jemals erlebt hat". Sie beschäftigen Hanau bis heute.

Der 65-Jährige, der mit den Angehörigen der Opfer trauerte, wurde deutschlandweit bekannt und auch bewundert für seinen Umgang mit der Tragödie, die wohl für immer mit der Stadt und seinem Namen verknüpft sein wird. "Diese Opfer waren keine Fremden", sagte Kaminsky, der selbst in Hanau geboren wurde.

Hanaus Oberbürgermeister Kaminsky beim Gedenken an die Opfer des Hanauer Anschlags.
Einer seiner schwersten Gänge: Kaminsky beim Gedenken an die Opfer des Hanauer Anschlags im Jahr 2020. Bild © Maijic, hr

Der Terror wird Kaminsky immer begleiten

Neben seiner Anteilnahme fordern einige der Opferfamilien von Kaminsky bis heute noch etwas: Verantwortung zu übernehmen für das, was falsch lief. Dem sei die Stadt immer noch nicht gerecht geworden, kritisierte etwa die Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz auf einer Gedenkveranstaltung im Februar dieses Jahres. Solchen Vorwürfen stellte sich der 65-Jährige.

Kaminsky sagte damals, er bringe Verständnis für die Wut der Angehörigen auf. Daher lasse er sich auch beschimpfen in einer Art und Weise, die er anderen nicht durchgehen lasse – etwa wie geschehen als Nazi. Zugleich könne er Anschuldigungen gegen sich und andere Vertreter der Stadt nicht kommentarlos stehen lassen, wenn es sich um unwahre Unterstellungen handele. Dieser Spagat zwischen Mitgefühl und Abgrenzung kostete Kraft.

"Der 19. Februar 2020 wird mich bis zu meinem Lebensende begleiten", sagt Kaminsky heute. "Aber wer bin ich? Diejenigen, die dramatisch mehr zu arbeiten haben, sind die Familien, das sind die Angehörigen." Dieses einschneidende Erlebnis habe nicht nur ihn, sondern die gesamte Stadtgesellschaft kalt erwischt, mit einem solchen Akt rechten Terrors habe er im multikulturellen Hanau in seinen schlimmsten Vorstellungen nicht gerechnet.

Innenstadt-Umbau als Herzensprojekt

Als Kaminsky 2003 erstmals zum Oberbürgermeister gewählt wurde, stand der Abzug der US-Streitkräfte aus Hanau bevor. Zu seinen ersten großen Aufgaben zählte die Neugestaltung der ehemaligen Militärflächen im Stadtteil Wolfgang. Unter anderem entstanden neue, moderne Wohnungen.

Prägend war für ihn vor allem die Entwicklung der Innenstadt, die zuletzt durch die Eröffnung des sogenannten Stadthofs anstelle der geschlossenen Kaufhof-Filiale neue Impulse erfuhr. Der Nahverkehr wurde ausgebaut, auch visuell mit der Neugestaltung des Busbahnhofs am Freiheitsplatz.

Kämpfer für "die kleine Großstadt Hessens"

Ein weiteres Großprojekt, das Kaminsky zuletzt vorantrieb, war die Erlangung der Kreisfreiheit. Auf langes Betreiben der Stadt entschied der Landtag Ende Februar, dass Hanau den Main-Kinzig-Kreis zum 1. Januar 2026 verlassen darf, und zwar als erste Stadt in Hessen.

Einen Image- und Bedeutungsgewinn für die "kleinste Großstadt Hessens" verspricht sich Kaminsky davon. Für die Bewohnerinnen und Bewohner sollen Behördengänge unkomplizierter werden.

Einher geht der Schritt auch mit einer Menge Arbeit. Ab dem kommenden Jahr soll die Stadt zusätzlich für den Katastrophenschutz und das Sozialwesen zuständig sein. Den Rettungsdienst will Hanau gemeinsam mit dem Main-Kinzig-Kreis organisieren. Kaminsky wird diese Schritte noch begleiten.

Im Home-Management warten neue Aufgaben

Und wenn die Zeit rum ist? Was macht der langjährige OB, wenn er plötzlich nur noch Claus Kaminsky ist? "Ich werde mich ein Stück sammeln und ein Stück stärker ins Home-Management einsteigen", scherzt er und meint damit Einkaufen, Kochen, Reisen und vor allem Lesen. Eine Frage, die ihn umtreibt: "Wie lange hält mein Nachttisch noch die vielen Bücher aus, bevor er zusammenbricht?"

Ganz ausschließen, dass er doch noch einmal ein öffentliches Amt bekleidet, will Kaminsky nicht. Doch solche Gedankenspiele seien noch weit entfernt. "Ich freue mich auf die Freiheit und auf manches, von dem ich jetzt noch nicht erahne, dass es mich ereilen wird", sagt er.

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD, M) hält am Montag (12.03.2012) in der Abflughalle des Flughafens von Frankfurt am Main während der wöchentlichen Montags-Demonstration ein Protestplakat.
OB in Action: 2012 nahm Kaminsky an den Montagsdemos gegen Fluglärm am Frankfurter Airport teil. Bild © picture alliance / dpa | Arne Dedert

Ein Abschied mit fünf Jahren Verspätung

Es ist ein Zustand der Freiheit, den Kaminsky mit einigen Jahren Verspätung genießen wird. Ursprünglich habe er schon 2021 nicht mehr zur Wahl antreten wollen, sagte er jüngst der Offenbach Post. "Dann kamen der 19. Februar und Corona und ich war der Auffassung, dass ich den Hanauern aus meinem Verantwortungsgefühl mindestens das Angebot machen sollte, es noch mal weiterzumachen für ein paar Jahre."

Rückblickend auf mehr als zwei Jahrzehnte im Hanauer Rathaus, in denen die positiven Aspekte und Möglichkeiten zur Gestaltung seiner Heimat überwogen hätten, gesteht Kaminsky ein: "Ich habe die Verantwortung immer auch als ein Stück Last empfunden."

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de; Stefan Pommerenke, Roman Janik