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Opposition kritisiert Millionenkosten durch aufgeblähte Landesregierung

Die Regierungsbank im Landtag

CDU und SPD haben den Ministerien in der neuen hessischen Landesregierung einen frischen Zuschnitt verpasst. Für die Koalition ist das ein starkes politisches Signal. Ihre Kritiker tippen auf Etikettenschwindel und teures Postengeschacher.

Dass Journalisten und Opposition einer Regierung 100 Tage Schonzeit einräumen, mag man als Tradition betrachten oder als Gerücht. 54 Tage nach Amtsantritt des neuen schwarz-roten Kabinettes von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) führte am Mittwoch im Landtag in Wiesbaden ein nicht unwesentlicher Effekt des Regierungswechsels zu einem kurzen, aber kräftigen Disput.

Denn Union und SPD haben zwei neue eigenständige Ministerien geschaffen, vier zusätzliche Staatssekretäre berufen, einige Ressorts neu zugeschnitten und den Häusern neue Titel gegeben. Für sie ein Signal für eine moderne Ausrichtung "auf die zentralen Herausforderungen unserer Zeit", wie Staatskanzleichef Benedikt Kuhn (CDU) sagte.

Seine Gegner aus der Opposition fanden ganz andere Worte.

Staatskanzlei-Chef: "Klare politische Setzung"

"Kosten in Millionenhöhe", "dramatische Enttäuschung", "riesiger Etikettenschwindel" – am heftigsten teilte Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner in der frühabendlichen Debatte aus. Gebrochene Wahlkampfversprechen beklagte auch FDP-Fraktionschefin Wiebke Knell.

Und anders als Staatskanzleichef Kuhn, der von einer "klaren politischen Setzung" sprach, witterte der AfD-Abgeordnete Arno Enners hinter einer "kostenintensiven Aufblähung des Staatsapparates" niedere Motive: Das sei die Folge von Geschacher der neuen Koalitionäre um die Wahrung des Parteiproporzes in ihrem neuen Bündnis.

Die CDU war bei der Hessenwahl mit 34,6 Prozent mehr als doppelt so stark wie ihr neuer Partner SPD geworden (15,1 Prozent). Sie führt daher acht der elf Ministerien und stellt den Chef der Staatskanzlei. Die SPD erhielt drei Ministerposten.

Verfassung schreibt Bericht vor

Zu der Streitdebatte kam es nun, weil die hessische Verfassung jede neu gebildete Regierung verpflichtet, das Parlament über den detaillierten Zuschnitt der einzelnen Ressorts zu informieren. Die Erfüllung dieser Anforderung weckte diesmal besonders wilde Reaktionen. Mit dem Ende von zehn Jahren Schwarz-Grün hat sich einiges geändert.

Ministerpräsident Rhein hat in Abwendung von den Grünen eine "Rückkehr der Realpolitik" und einen "christlich-sozialen" Richtungswechsel angekündigt. Er soll sich auch in den Ressorts widerspiegeln.

Worüber vor diesem Hintergrund vor allem gestritten wurde:

  • Das bisherige Ministerium für Soziales und Integration teilen CDU und SPD in zwei Häuser und unter sich auf. CDU-Ministerin Diana Stolz ist unter anderem für Familie und Gesundheit zuständig, ihre SPD-Kollegin Heike Hofmann für Arbeit und Integration.
  • Anders als unter Grünen-Führung tauchen beim nun von CDU-Politiker Ingmar Jung geführten Umweltministerium die Begriffe Klima- und Verbraucherschutz nicht mehr im Titel auf. Dafür rückte der Begriff Landwirtschaft an erste Stelle - und Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat stehen neu auf dem Briefkasten.
  • Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef Kaweh Mansoori (SPD) soll laut dem Namen seines Superministeriums für den ländlichen Raum zuständig sein. Doch ob "Angelegenheiten des ländlichen Raums", "Tourismus im ländlichen Raum", "Akademie für den ländlichen Raum" oder die ressortübergreifende Koordinierung des "Aktionsprogramm ländlicher Raum" – für alles ist laut Zuständigkeitsbeschreibung CDU-Landwirtschaftsminister Jung verantwortlich.

Grüne: Kosten hoch, Ergebnisse minimal

Mansoori habe keine einzige Zuständigkeit für den ländlichen Raum, sagte Grünen-Fraktionschef Wagner. Obwohl es nun einen zweiten Umwelt-Staatssekretär gebe, seien die Ambitionen für Klimaschutz und Ökolandbau gesunken.

Und trotz einer zusätzlichen Ministerin für Soziales gebe es keinen einzigen neuen sozialpolitischen Ansatz im Koalitionsvertrag. Außerdem drohten Reibungsverluste. "Kosten in Millionenhöhe, Ergebnisse im Mikrobereich", fasste Wagner seine Bewertung zusammen. Dabei habe Finanzminister Alexander Lorz (CDU) gerade erst betont, dass die Lage ernster werde und die goldenen Zeiten vorbei seien.

Kürzlich hatte Lorz auch mitgeteilt: Die Kosten aus den Änderungen bei den Ressorts könne er noch nicht beziffern.

FDP: Viele Erwartungen enttäuscht

Den Vorwurf, beide Koalitionsparteien hätten zentrale Ankündigungen ihres Wahlkampfes nicht erfüllt, erhob auch FDP-Fraktionschefin Knell. Sie machte das vor allem am Umgang mit den Landwirten und den Regionen fest. Die SPD etwa habe doch versprochen, ein Ministerium in den ländlichen Raum zu verlegen.

Knell erinnerte außerdem daran, dass CDU-Ministerpräsident Rhein ein eigenständiges Landwirtschaftsministerium gründen wollte. So habe Schwarz-Rot große Erwartungen bei vielen Menschen geweckt, ohne sie zu erfüllen. Den nun oppositionellen Grünen verpasste sie bei der Gelegenheit einen Seitenhieb: Im Jahrzehnt ihrer Koalition mit der Union sei die Zahl der Beamten in den Ministerien um 40 Prozent gestiegen.

Sparen beim Staatskanzleichef

Staatskanzleichef Kuhn verteidigte die Kabinettsreform. Sie trage mit der Aufteilung des bisherigen Sozialministeriums unter anderem den Lehren aus der Corona-Pandemie Rechnung. Dass die Landwirtschaft im Titel des zuständigen Ministerium vor die Umwelt gerückt sei, "stellt die Bäuerinnen und Bauern in den Mittelpunkt, und da gehören sie hin."

Von den Änderungen ist Kuhn selbst auch betroffen: Zu der von ihm geführten Staatskanzlei zählte bislang Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU). Nun wird sie selbstständig und erhält ihre eigene Ministerialverwaltung.

Der Staatskanzleichef trägt persönlich dazu bei, dass die Zahl der Minister nicht noch weiter wuchs und die Kabinettsreform nicht noch mehr kostet. Kuhn hat den Posten lediglich im Rang eines Staatssekretärs erhalten. Sein Vorgänger Axel Wintermeyer (CDU) hatte noch Ministerrang.

Ausflug ins aggressive Märchenland?

In der Debatte erhielt Kuhn Rückendeckung von beiden Regierungsfraktionen. Ironisches Gelächter erntete dabei Lisa Gnadl, parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, für ein ungewöhnliches Bekenntnis: Sie verstehe die Aufregung nicht, denn in 16 Jahren als Abgeordnete habe die Geschäftsverteilung in der Regierung sie "nie wirklich interessiert".

Wichtig seien doch die Inhalte, meinte Gnadl. Und angesichts drängender Probleme von Integration bis Wohnraumschaffung habe die Koalition viel vor und werde vor allem auch liefern.

Angesichts der Vorwürfe der Opposition wähnte sich Ingo Schon, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, sogar "im Märchenland". Den Grünen hielt er die Ampelregierungen im Bund und im benachbarten Rheinland-Pfalz vor. Für die Aufgaben im Sozialen, die sich nun hierzulande zwei Ministerinnen teilten, gebe es dort vier beziehungsweise drei Ministerien.

Schon hat bei den Gegnern "Frust, Aggressivität und Unsachlichkeit" ausgemacht. Er konterte mit der Behauptung, Schwarz-Rot sei in blendender Aufbruchstimmung: "Wir setzen dem Lust und Freude entgegen."

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