Ministerpräsident Boris Rhein (CDU, l.) und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) am Montag in Frankfurt

Eigentlich endet die Amtsperiode von Schwarz-Grün erst im Januar 2024. Weil aber jetzt der Landtagswahlkampf startet, ist die Bilanz trotzdem schon fertig. Zwei Koalitionspartner legten sie vor, die in den kommenden Wochen zu Gegnern werden.

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Landesregierung zieht positive Bilanz

hessenschau vom 08.05.2023
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Auf den Tag genau fünf Monate vor der hessischen Landtagswahl am 8. Oktober hat die amtierende schwarz-grüne Landesregierung am Montag Bilanz ihrer Arbeit gezogen. Das fiel, was nicht überrascht, äußerst positiv aus.

Und doch war einiges bemerkenswert. Ganz nebenbei ist der Wahlkampf nun endgültig eröffnet.

Was der Bilanz das gewisse Etwas gab

In ihrem Outfit - marineblauer Anzug, keine Krawatte - ähnelten sich die beiden bei ihrem Auftritt auffallend. Aber mit Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und seinem Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) traten zum Wochenbeginn zwei Koalitionspartner vor die Presse, von denen der eine Regierungschef bleiben und der andere ihn ablösen will.

Seit 2014 regieren die ehemals geradezu verfeindeten Parteien das Land gemeinsam, seit knapp einem Jahr mit Rhein als Regierungschef. Trotz erheblicher Unterschiede in Fragen der inneren Sicherheit, der Sozial- und Klimapolitik lief das ohne öffentlichen Streit. Nun aber haben die Grünen erstmals offiziell angekündigt, mit Al-Wazir selbst den nächsten Ministerpräsidenten stellen zu wollen.

Warum es die Regierung so auffällig eilig hat

Erst in acht Monaten, am 18. Januar 2024, endet die Legislaturperiode. Jetzt zu bilanzieren ist ungefähr so, als gäbe Eintracht Frankfurts Trainer Oliver Glasner in der 78. Spielminute Interviews darüber, wie er die Partie und ihren Ausgang so fand. Das schon gedruckte 72-Seiten-Büchlein “Die Bilanz. Basis für Hessens gute Zukunft“ muss Schwarz-Grün also vielleicht noch mal überarbeiten.

Aber schon am 8. Oktober treten CDU und Grüne eben zur Landtagswahl an - gegeneinander. Al-Wazir, noch Vize, will Rhein als Ministerpräsident ablösen. Die gemeinsame Bilanz schafft frühzeitig Spielraum, im gerade beginnenden Wahlkampf die Differenzen mehr als bisher auch öffentlich zu betonen.

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CDU und Grüne ziehen Bilanz

Boris Rhein (CDU, l), Ministerpräsident von Hessen, und sein Stellvertreter Tarek Al-Wazir (Grüne) in der Frankfurter Goethe-Universität bei der Vorstellung ihrer Regierungsbilanz.
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Warum der Ort der Inszenierung auffällig ist

Für das IG-Farben-Haus in Frankfurt sprachen laut Rhein am 8. Mai als Tag der Befreiung von der Nazi-Herrschaft historische Gründe: Hier hatten die Alliierten 1945 ein Hauptquartier, hier wurde Wiesbaden zur Landeshauptstadt gemacht.

Da es gar nicht um den 8. Mai ging, spielte vielleicht auch die Suche nach neutralem Boden eine Rolle: Die Staatskanzlei in Wiesbaden wäre naheliegender gewesen – aber eben auch ein Heimspiel für Rhein, das seine Chefrolle unterstrichen hätte.

Was Union und Grüne an ihrer Arbeit besonders gut finden

Zwei Botschaften standen im Mittelpunkt: Man habe als klarsten Beweis von Regierungskunst das Land stabil durch ungewöhnlich schwere Zeiten mit einer Pandemie und den Folgen eines Krieges in Europa geführt. Und Hessen stehe sogar "in fast allen Bereichen besser da" als vor fünf Jahren, wie Rhein befand. Das Wort "Rekord" fiel dabei rekordverdächtig oft.

Das Land leide unter weniger Straftaten, habe aber mehr Erwerbstätige und mehr Lehrer als je zuvor. In Hochschulen und Krankenhäusern seien Rekordinvestitionen geflossen. Bemüht wurde wiederholt auch der Ländervergleich, in dem Hessen oft ganz vorne liege. "Das Flatrate-Ticket ist in Hessen erfunden worden", meinte Al-Wazir zum älteren Hessen-Ticket und dem neuen Deutschlandticket.

Wie weit die Selbstkritik geht

Das Kapitel "Unsere Misserfolge" fehlte in der Bilanz, es wurde auch auf Nachfragen von Journalisten am Montag nicht wirklich nachgeschrieben. Gerade die Pandemie habe bei der Digitalisierung der Schulen oder im Gesundheitswesen "gewisse Probleme" aufgedeckt, sagte Al-Wazir.

Es sei aber auffällig, dass der Opposition im Grunde nur übrigbleibe, von allem mehr zu fordern, was die Regierung ohnehin angestoßen habe. Wo sich Probleme auftaten, etwa bei der Ausstattung der Justiz, habe man schnell gehandelt, meinte Rhein.

Was die Opposition an dem Auftritt stört

Bei den Misserfolgen half die Landtagsopposition im Nachhinein gerne nach. "Marodes Schulsystem", "darbende Krankenhäuser", "zahlreiche Skandale und Affären bei den hessischen Sicherheitsbehörden" – solche Bestandsaufnahmen reihte SPD-Fraktionschef Günter Rudolph aneinander.

Außerdem hätten schon vier Minister von Rheins Kabinett ihren Rückzug nach der Wahl angekündigt. "Diese Koalition bröckelt und steht nur noch auf einem wackeligen Fundament", befand auch FDP-Fraktionschef René Rock.

Eine "Bilanz der Halbwahrheiten" machte AfD -Fraktionschef Robert Lambrou aus. Die Not der Kommunen mit der Unterbringung von Flüchtlingen werde verschwiegen, Verfassungsbrüche wie der beim vom Staatsgerichtshof gekippten Corona-Sondervermögen ebenfalls.

Die Linken-Fraktionsvorsitzenden Elisabeth Kula und Jan Schalauske diagnostizierten Rhein und Al-Wazir "peinliche Selbstbeweihräucherung als Politikersatz". Das mute angesichts einer zunehmenden Armut, hohen Mieten und fehlender Chancengleichheit an Schulen "reichlich kurios an."

Unterstützung für diese Sichtweise leisten die Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sprach von einer mageren Bilanz, die Bildungsgewerkschaft GEW von "viel Schatten und wenig Licht". So habe die Koalition das angekündigte Investitionsprogramm zur Sanierung der Schulen nicht umgesetzt.

Warum es keine Treueschwüre gab

Wenn alles dagegen so erfolgreich war, wie Rhein und Al-Wazir es darstellten: Warum sagte am Montag keiner, dass man nach der Hessen-Wahl liebend gerne gemeinsam weitermachen will? Rhein schwelgte zwar von einer "wirklich guten Zusammenarbeit, über die ich sehr glücklich bin". Der Regierungschef verwies aber auf die Notwendigkeit, "in aller Demut" die Entscheidung der Wähler abwarten zu müssen.

Inhaltlich trennt CDU und Grüne eben noch immer einiges. Vor allem aber: Im jüngsten hr-Hessentrend lag die Union zwar weit vorne. Mit wem sie überhaupt regieren kann oder ob nicht sogar gegen sie eine Koalition möglich wird – das ist völlig offen.

Auch wenn es Rhein und Al-Wazir jetzt nicht zu früh für eine Bilanz ihres bisherigen Regierens war und auch nicht dafür, sich gegenseitig einen Wahlkampf ohne harte Bandagen zu versprechen: Ansagen über ihre Wunschkoalition sind von Ihnen vor der Schließung der Wahllokale am 8. Oktober nicht zu erwarten.

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