Drei Menschen in Polizeiuniformen knien auf einer Person, die auf dem Boden liegt. Ein vierter steht daneben.

Hat ein Polizist in Idstein auf einen liegenden Mann eingeschlagen? Rekonstruierte Videos belasten den Beamten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Und im Landtag dürften auf Innenminister Beuth unangenehme Fragen zukommen.

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Mutmaßliche Polizeigewalt in Idstein?

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Mehr als zwei Jahre hat es gedauert, bis die Bilder von zwei Überwachungskameras vor der Polizeiwache in Idstein (Rheingau-Taunus) wiederhergestellt waren: Zwei Männer und eine Frau in Polizeiuniformen kommen im Gerangel mit einem Mann in rotem T-Shirt aus dem Gebäude, ein weiterer mutmaßlicher Polizist kommt hinzu. Sie bringen den Mann zu Boden. Der Mann wehrt sich, immer wieder ändern die Beamten ihre Positionen und versuchen, Arme, Beine und Kopf des Mannes zu Boden zu drücken.

Dann schlägt ein Polizist einmal deutlich erkennbar mit der Faust auf den Hinterkopf des liegenden Mannes, danach noch einmal mit der flachen Hand. Anschließend drückt er sein Knie auf den Nacken des Mannes, sodass dessen Gesicht zu Boden gepresst wird. Die beiden Überwachungsvideos, die den Vorfall aus verschiedenen Perspektiven zeigen, liegen dem hr vor, zuerst hatte die Frankfurter Rundschau (FR) über die Aufnahmen berichtet.

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Schläge des Polizisten in Idstein

Drei Menschen in Polizeiuniformen knien auf einer Person, die auf dem Boden liegt. Ein vierter steht daneben.
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Polizeibericht: "Er war verbal hoch aggressiv"

Bei dem Mann im roten T-Shirt handelt es sich um Liam Conway, einen damals 38 Jahre alten Kickboxer. In einer Meldung vom 9. September 2020 schrieb das zuständige Polizeipräsidium Westhessen, der 38-Jährige habe das Dienstgebäude am Vorabend betreten, weil sein 74 Jahre alter Vater dort nach einem Verkehrsunfall eine Blutprobe für einen Alkoholtest abgeben sollte.

"Er war verbal hoch aggressiv und versuchte, eine die Situation beruhigende Polizeibeamtin zu schlagen", hieß es damals im Polizeibericht. Als drei Beamte den Mann durch die Tür nach draußen gebracht hätten, habe dieser versucht, nach dem Pfefferspray eines Polizisten zu greifen.

Aufnahmen überschrieben

Liam Conway schilderte die Situation anders: Weder habe er die Polizistin geschubst noch habe er nach dem Pfefferspray eines Beamten gegriffen. Bislang stand in dem Fall Aussage gegen Aussage, denn die Videos der Überwachungskameras waren nicht mehr vorhanden.

Wie die Frankfurter Rundschau im Jahr 2021 die Polizei zitierte, waren die Aufnahmen damals nicht rechtzeitig gesichert und deshalb überschrieben worden. Die Staatsanwaltschaft hatte in den Ermittlungen gegen die drei beteiligten Beamten und die Beamtin trotzdem eine aufwändige Rekonstruktion der Videos beauftragt. Dies ist inzwischen geschehen, wie die Staatsanwaltschaft Wiesbaden dem hr bestätigte.

Conways Verletzungen

Für Liam Conway sind die Aufnahmen eine Bestätigung dessen, wie er die Situation wahrgenommen und in den Ermittlungen geschildert habe. "Das ist enorm erleichternd für mich", sagte er dem hr am Mittwoch. Als Kickboxer sei er auch als Anti-Aggressionstrainer an Schulen im Einsatz, sogar Polizistinnen und Polizisten schule er manchmal. "Dementsprechend hatten mich die Vorwürfe sehr geärgert", sagte er.

Gegen einen Polizisten wird weiter ermittelt

Die Staatsanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, sie ermittle weiter gegen einen der Polizisten. Die Ermittlungen gegen die anderen beiden Polizisten und die Polizistin seien hingegen im November nach Sichtung der wiederhergestellten Aufnahmen eingestellt worden.

Aus Sicht Conways und der seines Anwalts belasten die Videos die Polizei in Idstein jedoch erneut. Es stelle sich die Frage der Mittäterschaft der beiden Beamten und der Beamtin, die Conway nicht geschlagen haben sollen. Außerdem hätten die Polizisten in der Vergangenheit Aussagen abgegeben, die dem Tathergang, so wie er im Video zu erkennen ist, widersprechen würden. "Da stellt sich die Frage, ob es Strafvereitelung gegeben hat", so der Anwalt Michael Heuchemer.

Polizeipräsident: "Polizei zur Anwendung körperlicher Gewalt berechtigt"

"Wir nehmen jeden Vorwurf von Fehlverhalten von Polizeibediensteten sehr ernst", sagte Felix Paschek, Präsident des Polizeipräsidiums Westhessen. Aber auch für Polizeibeamte gelte die Unschuldsvermutung. Die Polizei sei zur Anwendung von körperlicher Gewalt berechtigt. Solche Situationen sähen "nie schön" aus, auch wenn sie rechtmäßig und unvermeidlich seien.

Drei Menschen in Polizeiuniformen knien auf einer Person, die auf dem Boden liegt. Ein vierter steht daneben.

Im Hinblick auf das laufende Verfahren könne zu dem Sachverhalt keine weitere Angabe gemacht werden, teilte das Polizeipräsidium weiter mit. Nach Abschluss des Strafverfahrens werde man mögliche Disziplinarmaßnahmen prüfen. Die Frage, wieso die Überwachungsvideos nicht rechtzeitig gesichert wurden, obwohl die Vorwürfe gegen die Beamten bereits bekannt waren, ließ das Präsidium auf Nachfrage des hr am Mittwoch unbeantwortet.

Viele Fragen an Beuth: Opposition wittert nächsten Polizei-Skandal

Damit dürfte sich neben der Staatsanwaltschaft nun auch der Landtag befassen. Auf Innenminister Peter Beuth (CDU) kommen nach den "NSU 2.0"-Drohmails und den rechten Chatgruppen unter Polizisten, unter anderem beim Frankfurter Spezialeinsatzkommando, erneut unbequeme Fragen zu. Die SPD hat bereits einen dringlichen Berichtsantrag für die kommende Sitzung des Innenausschusses am nächsten Donnerstag gestellt. Ihre innenpolitische Sprecherin Heike Hofmann kündigte an, sie wolle von Beuth wissen, warum die Videos "trotz ihrer Brisanz" gelöscht wurden und wer hierfür die Verantwortung trug.

Auch die Linksfraktion teilte am Donnerstag mit, dass sie in der Sitzung einen dringlichen Berichtsantrag einbringen werde. Es sei unverständlich, weshalb die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die weiteren Polizisten und die Polizistin eingestellt worden seien. Die Fraktion hatte sich zuvor bereits "entsetzt" über mögliche abgestimmte falsche Aussagen der beteiligten Polizisten nach dem Vorfall gezeigt. Ausschussmitglied Torsten Felstehausen forderte angesichts gelöschter Beweismittel eine Reform der Sicherheitsbehörden: Das zeige erneut, wie gefährlich der Korpsgeist in der Polizei werden könne und wie dringend die Polizei in Hessen reformiert werden müsse. 

"Das Vorgehen der Polizei legt es leider nahe, dass hier etwas vertuscht werden sollte", kommentierte der innenpolitische Sprecher der FDP, Jörg-Uwe Hahn, die zwischenzeitlich gelöschten Aufnahmen. Der Fall in Idstein habe ein "besonderes Geschmäckle", so Hahn, weil es sich um den Wahlkreis des Innenministers handele.

Auch die Innenpolitikerin Eva Goldbach (Grüne) zeigte sich besorgt, sollte die Auswertung der Videos bestätigen, dass die Polizisten unangemessene Gewalt angewendet haben: "Wir erwarten von unseren Polizistinnen und Polizisten ein absolut korrektes Verhalten." Die Polizei dürfe nie gewalttätig werden, sagte Goldbach. "Das erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei."

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