Heute Trainer des FC Gießen, früher Profi bei Eintracht Frankfurt: Daniyel Cimen an der Seitenauslinie.

Daniyel Cimen ist bei Eintracht Frankfurt die Karriereleiter vom Jugendspieler zum Profi-Fußballer hochgeklettert. Im Interview erklärt er, warum ihn selbst Manchester United nicht locken konnte, er beinahe bei Borussia Dortmund gelandet wäre und was den Talenten von heute teilweise fehlt.

Daniyel Cimen hat bei Eintracht Frankfurt lange Zeit einen Karriereweg genommen, der als positives Beispiel gelten kann. Er wechselte 1994 als Achtjähriger von der SG-Nieder-Roden zum Traditionsverein und feierte am 27. Oktober 2002 bei einem 4:1-Erfolg als Einwechselspieler sein Profi-Debüt. Heute ist der inzwischen 38 Jahre alte Cimen Trainer des Hessenligisten FC Gießen. Im Gespräch mit dem hr-sport blickt er auf seine aktive Zeit zurück - und benennt eine Gefahr für die derzeitige Generation der Jugend-Fußballer.

hessenschau.de: Daniyel Cimen, es gibt in Deutschland viele Diskussionen rund um die fehlenden Talente und die Art und Weise der Ausbildung. Wie war zu Beginn des Jahrtausends Ihr Weg in den Profi-Fußball?

Daniyel Cimen: Als ich mit acht Jahren zur Eintracht gewechselt bin, war ich noch der kleinste Spieler. Das war komplettes Neuland für mich. Mit elf oder zwölf Jahren habe ich dann einen körperlichen Schuss nach oben gemacht und bin 15 Zentimeter gewachsen. Das hatte Vorteile für mich, weil ich immer mit den älteren Spielern mitlaufen durfte. Das hat sich auch in der Nationalmannschaft fortgesetzt. Ich habe mit den Jungs aus dem 85er-Jahrgang Länderspiele bestritten und mit den 84ern an der Europameisterschaft teilgenommen. Da ist einiges relativ früh auf mich hereingeprasselt. Ich war innerhalb eines Jahres gefühlt bei vier verschiedenen Mannschaften unterwegs.

hessenschau.de: Wie bewerten Sie Ihre Entwicklung rückblickend?

Cimen: Ich weiß nicht, ob dieser Werdegang Fluch oder Segen war. Ich war damals 13 oder 14 Jahre alt und musste das alles verarbeiten. Dabei wollte ich eigentlich nur Fußball spielen. Auf einmal hießen meine Mitspieler bei der Nationalmannschaft Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski oder Mario Gomez. Auch mit Manuel Neuer habe ich zwei Partien in der U20 bestritten. Ich hatte gar keine Zeit, das alles zu verarbeiten, es gab viele Highlights. Und dann kamen auch Anrufe von Vereinen aus der Bundesliga und dem Ausland.

hessenschau.de: Welcher Anruf war denn der spektakulärste?

Cimen: Der von Manchester United. Da müsste ich 14 Jahre alt gewesen sein. Bei einem Länderpokal in Duisburg kam ein Scout zu mir und hat mir seine Visitenkarte gegeben. Er hat eine Woche später angerufen und gefragt, ob ich nach Manchester fliegen will.

hessenschau.de: Und dann sind Sie geflogen...?

Cimen: Tatsächlich nicht (lacht). Für mich war das surreal. Es war zu diesem Zeitpunkt keine Option, aus meinem Umfeld wegzuziehen und dann auch noch ins Ausland zu geben. Ich habe deshalb direkt am Telefon abgesagt. Ich hatte auch keine Betreuung, wie es bei den jungen Spielern heuzutage der Fall ist. Sicherlich würde ich heute genauer hinhören, aber damals ist so viel auf mich eingeprasselt. Ich habe auch reihenweise Bundesligisten am Telefon abgesagt. Auch der FC Bayern München wollte mich jedes Jahr haben, aber ich wollte in Frankfurt bleiben.

hessenschau.de: Gab es auch eine Offerte, die Sie zum Nachdenken brachte?

Daniyel Cimen hat einen großen Teil seines Fußballerlebens im Eintracht-Trikot verbracht.

Cimen: Ja. Das einzige, was ich mir wirklich angehört habe, ist das Angebot von Borussia Dortmund gewesen. Ich war damals 16 Jahre alt und bei der Nationalmannschaft haben drei Kollegen aus Dortmund auf mich eingeredet. Der Kontakt zum BVB war gut. ich war schon etwas reifer und hatte einen Berater. Edwin Boekamp, der damalige Jugendkoordinator, saß bei uns im Wohnzimmer, ich hatte ein gutes Gefühl bei den Gesprächen. Das war auch der einzige Verein, den wir zu uns nach Hause gelassen haben. Der BVB hat mich dann zu einem Spiel ins Stadion eingeladen. Sie hatten zuvor schon drei andere Spieler eingeladen und nie haben sie ihr Heimspiel gewonnen. Erst als ich kam, haben sie gewonnen und dann auch gesagt: 'Das ist doch ein Zeichen, jetzt musst du kommen!' Es war eigentlich schon alles fix. Ich habe mir ein Zimmer angeschaut, hatte einen Vertrag für den Jugendbereich und einen Anschlussvertrag vorliegen.

hessenschau.de: Warum kam es nicht zu diesem Wechsel?

Cimen: Die Eintracht hatte Wind von diesem Kontakt zu Borussia Dortmund bekommen und sich dann sehr um mich bemüht. Sie haben sich sehr gestreckt und mir einen Anschlussvertrag angeboten. Ich habe mich deshalb für einen Verbleib in der Heimat entschieden.

hessenschau.de: Sie sind in einer ganz anderen Zeit als die heutigen Jugendspieler groß geworden. Sind die Talente von heute zu verwöhnt?

Cimen: Ich bin der Meinung, dass jungen Spielern teilweise zu viel abgenommen wird. Wenn ich das mit meiner Zeit vergleiche, dann ist das einen Tick zu viel. Natürlich haben die Klubs den Anspruch, den Talenten das Optimum zu bieten. Trotzdem müssen die Jungs lernen, mit Rückschlägen und Widerständen umzugehen und diese zu überwinden. Das ist schwierig, wenn sie alles bekommen. Und dann kommt noch die Komponente Social Media hinzu...

hessenschau.de: Viele Talente nutzen die Plattformen wie Instagram oder TikTok für Vermarktungszwecke. Wie sehen Sie das?

Cimen: Nehmen wir das Beispiel Paris Brunner. Er ist jetzt U17-Weltmeister geworden. Es gibt jetzt viele Schlagzeilen und Bilder in den sozialen Netzwerken. Ich glaube, dass die Jungs durchaus wahrnehmen, was um sie herum passiert. Aber verarbeiten sie das richtig? Brunner wird plötzlich als König dargestellt und denkt, dass sein Weg nur noch steil nach oben geht. Wie geht er dann damit um, wenn einmal ein Widerstand aufkommt? Die Weltmeisterschaft ist ein großer Erfolg, der Gewinn tut dem deutschen Fußball in einer schwierigen Zeit gut. Aber es ist ein extremer Hype um die Spieler ausgebrochen. Ich möchte da gerne auf mich zurückkommen: Es ging in der Jugend immer steil nach oben und mit 17 Jahren bei den Profis gab es die ersten Widerstände. Da ist im Training ein anderer Zug drin und du bist zunächst eine kleine Nummer. Ich musste mir die Dinge hart erarbeiten.

hessenschau.de: Und Paris Brunner steht plötzlich im Kader der Profis...

Cimen: Ja, das geht schnell. Diese alte Schule, die ich hatte, gibt es in den Profiklubs beinahe nicht mehr. Die jungen Spieler werden gehyped und viel mehr als Produkt gesehen. Ich weiß nicht, auf welcher Grundlage Paris Brunner im BVB-Kader gegen Leipzig stand. Er war wegen der WM eigentlich fünf Wochen nicht da und ist davor auch suspendiert worden. Aus Trainersicht dürfte ich den Jungen nicht mit in den Kader nehmen, da andere Spieler in diesem Zeitraum mittrainiert haben. Aber die Talente werden eben auch als Produkt gesehen, die Kadernominierung bedeutet Marktwertsteigerung. Früher hat man gehofft, dass ein Talent durchbricht, er musste sich aber gegen die alten Hasen hart durchsetzen. Das hast du so in dieser Art und Weise heute nicht mehr.

hessenschau.de: Wäre Daniyel Cimen damals auch ein Social-Media-Star gewesen?

Cimen: Das weiß ich nicht (lacht). An solche Dinge habe ich nicht gedacht. Ich habe die Zeit einfach genossen und wollte Fußball spielen. Social-Media-Einflüsse gab es bei uns nicht. Mit 16 oder 17 Jahren kam langsam das Nokia 3210, dann hast du eine SMS geschrieben und Snake gespielt (lacht). Ansonsten war der Alltag: Schule, ab nach Hause und dann auf den Bolzplatz. Früher war der Fokus mehr auf den Fußball gerichtet. Aber ich will nicht alles schlecht reden. Ich hätte teilweise sehr gerne die heutigen Möglichkeiten gehabt. U10- oder U12-Spieler der Eintracht müssen nicht mehr auf Hartplatz oder einer Wiese spielen. Damals waren wir froh, wenn wir auswärts gespielt haben oder den Trainingsplatz der Profis, die auch am Riederwald trainiert haben, benutzen durften. Ich will deshalb nicht sagen, dass damals alles gut war und heute alles schlecht ist. Wenn man eine gute Balance findet, dann kann eine Karriere gut verlaufen. Dafür braucht ein junger Spieler eine gute Betreuung. Das Elternhaus muss ihn unterstützen und er benötigt einen Berater, der das Talent auch in Social-Media-Themen betreut. Dann ist vieles möglich.

hessenschau.de: Früher Profi, heute Fußballtrainer beim FC Gießen. Ihre Treue zu einem Klub ist so hoch, wie es früher schon der Fall war. Sie hatten aber durchaus schon andere Optionen und sind trotzdem in Gießen geblieben. Warum?

Cimen: Wenn ich etwas mache, dann muss dies aus Überzeugung passieren. Ich hatte dieses Bauchgefühl noch nicht. Und so lange ich das nicht habe, weiß ich zu schätzen, was ich am FC Gießen habe. Ich habe hier in sechs Jahren eine extreme Verbundenheit aufgebaut, es ist so etwas wie meine zweite Heimat geworden. Wenn wir die richtigen Strukturen schaffen, dann sehe ich weiterhin einen Verein mit Potenzial. Deswegen weiß ich sehr zu schätzen, was ich am Klub habe. Ich bin trotzdem nicht abgeneigt, mir anzuhören, wenn sich eine passende Möglichkeit eröffnet. Aber solange das nicht passiert, weiß ich ganz genau, was ich am FC Gießen habe.

hessenschau.de: Ließe sich diesmal ein Aufstieg in die Regionalliga realisieren? Im vergangenen Frühjahr haben Sie trotz gutem Platz die Teilnahme an der Relegation abgesagt...

Cimen: Kurz vor unserem letzten Vorrundenspiel war Notvorstand Michél Magel da. Er hat sich ein Thema auf die Fahne geschrieben: Er will sich nicht noch einmal vor die Mannschaft stellen und sagen müssen, dass man einen Aufstieg aus diesen oder jenen Gründen nicht durchziehen könnte. Er arbeitet im Hintergrund sehr hart daran, dass wir uns nicht zurückziehen, wenn wir die sportliche Chance auf den Aufstieg haben. Es gab positive Rückmeldungen von einigen Sponsoren und Zusagen für den Fall der Fälle. Ich kann noch nicht zu 100 Prozent sagen, dass wir einen Aufstieg durchziehen, aber wir befinden uns auf einem guten Weg.

Das Interview führte Christopher Michel.