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Fake-News-Verfahren vor Frankfurter Landgericht

Handy mit Twitter-Account vor Twitter-Logo

Vor dem Frankfurter Landgericht will ein Anwalt Twitter dazu bringen, Hassbotschaften konsequenter zu löschen. Zum Auftakt des Verfahrens deuten die Richter an: Antisemitismus-Vorwürfe gehen als Meinung durch, Pädophilie-Unterstellungen nicht.

Twitter muss eine Reihe von Nachrichten löschen, um juristischen Ärger in Deutschland zu entgehen. Eine Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts kündigte am Donnerstag an, deren Verbreitung untersagen zu wollen. Das Verfahren hatte der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung von Baden-Württemberg, Michael Blume, angestrengt. Er will erreichen, dass Behauptungen, die seine Persönlichkeitsrechte verletzen, bei Twitter nicht mehr verbreitet werden dürfen.

Ein inzwischen gesperrter User hatte Blume unter anderem eine Affäre mit einer Minderjährigen unterstellt. Das Frankfurter Gericht stellte klar, dass Twitter Nachrichten mit diesem oder einem im Kern identischen Inhalt nicht verbreiten darf.

Anders verhält es sich mit Tweets, in denen Blume Antisemitismus vorgeworfen wird. Sie können dem Gericht zufolge zugleich falsch und als Meinungsäußerung zulässig sein.

Gericht: Verfahren kein Muster für den Umgang mit Fake News

Blume zielt auch darauf, Twitter insgesamt zu einem konsequenten Vorgehen gegen Fake News und Hassbotschaften zu veranlassen. Das würde den Rahmen eines solchen Eilverfahrens aber sprengen, deuteten die Richter an. Die Frankfurter Zivilklammer will ihr Urteil am 14. Dezember verkünden.

Blume wirft dem Kurznachrichtendienst vor, für die Verbreitung von Verleumdungen mitverantwortlich zu sein. Das Unternehmen soll nach Angaben seines Anwalts Chan-jo Jun und der unterstützenden Organisation HateAid knapp 50 gemeldete Tweets nicht ordnungsgemäß auf deren Rechtswidrigkeit überprüft, sondern lediglich interne Richtlinien angewandt haben.

Michael Blume

Blume: Accounts sollen gelöscht bleiben

Blume sagte am Donnerstag kurz vor Beginn des Verfahrens: "Mir geht es nicht darum, dass Twitter den Betrieb einstellt." Vielmehr gehe es um die ganz grundsätzliche Frage, wie viel Hetze auf Twitter verbreitet werden dürfe und inwieweit Opfer von Verleumdungskampagnen allein gelassen würden. Der neue Twitter-Chef Elon Musk wolle massenhaft Accounts wieder zulassen von Menschen, die ihn und seine Familie "getrollt" hätten, sagte Blume. "Dann werden die nächsten Wochen für mich und meine Familie zur Tortur."

Der Kurznachrichtendienst solle dafür sorgen, dass die Accounts gelöscht bleiben. Blume war und ist auf Twitter immer wieder massiven Angriffen ausgesetzt. Es gehe darum, wie viel sich öffentliche Personen bieten lassen müssten, erläuterte er.

Twitter soll auch Screenshots löschen

Anwalt Chan-jo Jun argumentiert, Twitter müsse dafür Sorge tragen, dass solche Inhalte nicht nur gelöscht werden, sondern auch weiterhin nicht mehr dort auftauchen - etwa in Screenshots. Es müssten also alle Tweets mit "kerngleichen Aussagen" gelöscht werden. Dies verlange das deutsche Recht (NetzDG), wie Jun in einem Video auf seinem Youtube-Kanal erläutert.

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Die Anwälte des Unternehmens hätten ihm mitgeteilt, die von ihm verlangten Anforderungen gefährdeten das Geschäftsmodell von Twitter und seien nicht zumutbar, berichtet Jun weiter. Die genauen Ausführungen der Anwälte vor Gericht erwarte er mit Spannung. Die von Twitter beauftragte Frankfurter Dependance einer New Yorker Wirtschaftskanzlei erklärte auf hr-Anfrage, dass sie sich vor dem Verfahren nicht äußern werde.

Gerichte haben schon Server stilllegen lassen

Hinzu kommt, dass laut Jun eine grundsätzliche Lösung des Problems Eingriffe in die Programmierung und den Twitter-Algorithmus erfordern würde. Nach den Entlassungen und der personellen Unterbesetzung in vielen Bereichen dürfte das Unternehmen dazu kaum in der Lage sein, spekuliert der Medienanwalt. Die Klage richtet sich gegen Twitter International mit Sitz in Dublin, ein europäisches Tochterunternehmen, das auch für den deutschen Betrieb zuständig ist. Es handelt sich um eine Musterklage, deren Kosten die Organisation HateAid trägt.

Der Würzburger Anwalt selbst hält es für unwahrscheinlich, dass der Betrieb eingestellt werden muss, schließt es aber nicht aus, wie er erläutert: "Wenn man ein Portal nicht betreiben kann, da man die Mitarbeiter dafür nicht hat, muss man es abschalten." Personelle Engpässe seien kein Grund dafür, eine Rechtsverletzung weiterzuführen. In ähnlichen Fällen hätten Gerichte etwa bei Verstößen gegen das Urheberrecht Server stilllegen lassen.

Musk-Tweet als Beweis angeführt

Bisher setzt der Kurznachrichtendienst oft sogenanntes Geoblocking ein, wenn in einem Land Inhalte untersagt wurden. Dann sind dort bestimmte Tweets nicht mehr abrufbar. Im Fall von Blume hält Jun die Technik aber für ungeeignet, da es um eine Person gehe, die international tätig sei.

Für seine Beweisführung in Frankfurt wollte Jun auch einen Tweet des Neueigentümers selbst verwenden: In der vergangenen Woche erklärte Musk, auf seiner Plattform herrsche Meinungsfreiheit, aber keine "Reichweitenfreiheit". Hass-Postings sollen demnach die Reichweite entzogen werden. Twitter werde mit solchen Tweets kein Geld über Werbung einnehmen und sie würden nicht mehr über die Suchfunktion zu finden sein. Für Jun beweist das, dass illegale Inhalte auf Twitter sichtbar bleiben würden.

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Das Gericht könnte zunächst auch ein Ordnungsgeld verhängen. Wie hoch dieses sein müsste, damit es Twitter überhaupt trifft, ist eine offene Frage. Für Jun ist die Verhandlung in Frankfurt ein Musterverfahren für ähnliche Fälle. "Das Gericht hat die Chance, ganz viele grundlegende Fragen zu klären", sagt der Anwalt.

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Renate Künast gegen Facebook

Chan-jo Jun vertrat Renate Künast rund drei Jahre lang gegen Facebook. Die Grünen-Politikerin hatte sich gegen Beleidigungen gewehrt - und Anfang November 2022 gewonnen. In diesem Fall muss Facebook nun Daten mehrerer Nutzer herausgeben, damit Künast gegen sie vorgehen kann (Az.: 10 W 13/20). Künast verlangte außerdem von Facebook, falsche Posts über sie zu löschen, was das Netzwerk als unzumutbar ablehnte. Hier entschied das Landgericht Frankfurt, dass der Betreiber eines sozialen Netzwerks (also Facebook, heute Meta) bei ehrverletzenden Inhalten auch "kerngleiche Inhalte" und Memes automatisch löschen muss (Az.: 2-03 O 188/21). Das Verfahren geht in die nächste Instanz.

Das deutsche Netzwerkdurchsuchungsgesetz (NetzDG) verpflichtet Social-Media-Plattformen dazu, umgehend auf Meldungen von Hassrede zu reagieren. Illegale Äußerungen müssen innerhalb von 24 Stunden, nachdem diese der Plattform gemeldet wurden, entfernt werden.

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