Zwei Cowboys, einer mit Waffe, stehen vor einer Tür.

In einer filmreifen und in Hessen einzigartigen Kulisse feiern Western-Fans ein großes Country-Fest im Vogelsberg. Uni-Forscher finden das mit Blick auf Rassismus und das Indianer-Schicksal fragwürdig. Die Veranstalter sehen nichts Schlimmes daran.

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Lingelcreek lädt ein zum großen Western-Fest

Eine Gruppe aus Frauen und Männern in historischen Kostüm gehen die Straße des Western Village entlang.
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Nicht weit von der Hauptstraße in Alsfeld-Lingelbach (Vogelsberg) kann man eine beeindruckende Parallelwelt betreten. Auf einer ehemaligen Kuhwiese haben Enthusiasten mit viel Tatkraft, Kreativität und Liebe fürs Detail eine stattliche Western-Stadt errichtet. Auf etwa 200 Metern Länge tut sich eine Kulisse auf, die das Herz von Wild-West-Fans höher schlagen lässt.

Saloon, Dancehall, Sheriff-Büro, Gefängnis, Bank, Kirche, Steakhouse, Fort, Goldschürfstelle und einiges mehr – mehrere Holzbauten reihen sich aneinander. Auch ein Totempfahl und eine Kanone sind vorhanden. Immer am zweiten Juni-Wochenende erwacht das sogenannte Lingelcreek – in Anlehnung an den Ortsnamen Lingelbach – zum Leben. An diesem Freitag und Samstag steigt ein großes Country-Fest auf dem 1,4 Hektar großen Gelände.

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Country-Fest im Western-Dorf "Linglecreek"

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Nach zwei Jahren Corona-Pause ist es mittlerweile die 17. Auflage. Bei freiem Eintritt wird viel Programm geboten, vor allem Country-Musik für begeisterte Line-, Square- und Paar-Tanzende. Für Familien bietet sich am Samstag besonders der bunte Festbetrieb an (ab 14 Uhr). Es gibt Stunt- und Reitshows und womöglich werden auch einige Laiendarsteller wieder spontan die Bank überfallen oder ein schießwütiges Duell aufführen. Etwa 1.200 Besucherinnen und Besucher werden erwartet.

Eine Reiterin schwingt sich auf ein laufendes Pferd. Hinter einer Absperrung die Gebäude des Western Village, z.B. ein "Glücks-Saloon".

Die Western-Fans schlüpfen in typische Kleidung aus dem 19. Jahrhundert des heutigen Amerikas. Einer von ihnen ist Stefan Quehl. Der 60-Jährige ist der Vorsitzende des zugehörigen Vereins in Lingelbach. Seine seit der Kindheit glühende Begeisterung für den Wilden Westen besteht bis heute.

"Ausflug aus dem Alltag"

"Karl May, Bonanza und Rauchende Colts - ich habe diese Geschichten früher verschlungen. In die Western-Welt einzutauchen, ist ein schöner Ausflug aus dem Alltag", sagt er. Er mag auch das Tanzen zur Country-Musik und kleidet sich entsprechend. Beim Treffen für das Interview trägt er Stiefel, gestreifte Hose, beige Weste, schwarzes Seidentuch, einen braunen Mantel und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Um sein "Oldstyle-Outfit" stilecht zu präsentieren, stellt er sich breitbeinig wie ein Revolverheld auf die Hauptstraße der Western-Stadt. Am Gürtel trägt er ein Jagdmesser.

Country-Fest in Western-Stadt Lingelcreek

Quehl ist klar, dass manch einer ihn vielleicht belächeln mag, weil er mit 60 Jahren noch Cowboy spielt. "Aber wer diese Gemeinschaft der Gleichgesinnten hier kennengelernt hat und sieht, was wir hier erschaffen haben, der wird staunen." Es ist in der Tat eine große Leistung der mehr als 100 Vereinsmitglieder, die in Tausenden von Arbeitsstunden die Western-Stadt aus dem Boden gestampft haben. Etliche Büro-Container dienten dafür als Grundlage. Seit 2006 steht die Western-Stadt nun schon. An vielen Ecken sind faszinierende, aber auch Klischees bedienende Details zu entdecken.

"Ein trauriges Kapitel der Geschichte"

Das Thema "Wilder Westen" ist nicht unbelastet. Wer es differenziert mit Feingefühl und vor allem historisch betrachtet, dem bleibt eine gewisse Problematik nicht verborgen. Schließlich geht es nicht nur um Folklore, sondern auch um Rassismus, Unterdrückung und Vertreibung der amerikanischen Ureinwohner.

Wenn man Vorstandsmitglieder des Vereins damit konfrontiert, blickt man in entgeisterte Gesichter. "Das ist ein trauriges Kapitel der Geschichte. Aber wir können die Vergangenheit nicht ändern", sagt Quehl. Man wolle hier keinen Kolonialismus nachspielen, sondern eher die romantische und unterhaltsame Seite des Wilden Westens zeigen.

Country-Fest in Western-Stadt Lingelcreek

Für Vorstandsmitglied Heike Wienefeld, die vor allem das Tanzen begeistert, gehen diese kritischen Gedanken über Moral und Zeitgeschehen zu weit: "Wir wollen eine harmlose Freizeit-Veranstaltung nicht unnötig politisieren." Gäste wolle man mit dieser Political-correctness-Debatte nicht behelligen oder gar verschrecken.

Markus Lindner, Ethnologe an der Universität Frankfurt, sagt: "Wenn man solche Western-Veranstaltungen heutzutage macht, dann sollte man die Sensibilität haben, dass diese romantisch erzeugten Bilder nicht der Realität des 19. Jahrhunderts entsprechen. Da geht es schließlich am Ende um die Ausrottung indigener Völker."

Forscher empfiehlt: "Man sollte sich mal Gedanken machen"

Lindner, dessen Forschungsschwerpunkt das indigene Nordamerika ist, sagt, es bestehe die Gefahr, dass unangebrachte Stereotype manifestiert werden. "Es ist ja nicht so, dass alle in friedlicher Eintracht am Lagerfeuer gesessen haben." Niemand wolle den Western-Fans ihren Spaß nehmen und sie verurteilen. "Aber mit der nicht schwer zu erlangenden Kenntnis um die historischen Zusammenhänge, sollte man das kritisch sehen und sich Gedanken machen, ob das alles zeitgemäß ist."

Ein Mann steht vor Bildern, die im Hintergund an eine Wand hängen.

Übertrieben, politisch überkorrekt und an der Lebenswirklichkeit vorbei? "Nein", findet auch die Amerikanistik-Professorin Carmen Birkle von der Uni Marburg. Man tue gut daran, das alles kritisch zu hinterfragen. "Hinter dem Bild von Cowboy und Indianer steckt Gewalt und Rassismus. Und die Botschaft: Rothäute verlieren und die weiße Gesellschaft triumphiert. Die Geschichte des Kolonialismus wird damit fortgeschrieben. Das sollte man nicht imitieren."

Selbst Kinder sollten trotz des spielerischen Zugangs aufgeklärt werden über diese kriegerischen Konflikte. "Und wenn Erwachsene als Vorbilder in dieser Szenerie aufgehen, ist das umso fragwürdiger."

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"Karl-May-Festspiele auch nicht besser"

Mit Blick auf Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) und Elspe (Nordrhein-Westfalen), zu denen jedes Jahr zehntausende Besucher strömen, sagt Birkle: "Dort geht es zumindest um fiktive Inhalte aus Büchern. Aber im Grunde genommen ist das genauso fragwürdig und auch nicht besser."

Die Western-Fans aus dem Vogelsberg und die teils von weither angereisten Gäste wollen sich durch diese Debatten ihren Spaß nicht nehmen lassen – dort wird gefeiert. Yee-haw!

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