Segelndes Klassenzimmer Wie eine Schülerin sieben Monate auf dem Meer verbrachte
Abwechslung vom Schulalltag hat die 17-jährige Rosa aus Mittelhessen gesucht. Gefunden hat sie ein See-Abenteuer, das sie quer über den Atlantik führte – und verändert zurückbrachte.
Es schaukelt nicht mehr. Wenn Rosa Ambrosius jetzt morgens aufsteht, ist der Boden unter ihren Füßen stabil. Und wenn sie zur Schule geht, hat ihr Klassenzimmer vier Wände. Noch vor wenigen Wochen war das anders. Da war Rosas Klassenzimmer die "Gulden Leeuw" – ein Großsegelschiff auf offenem Meer.
Die 17-Jährige aus Hünfelden (Limburg-Weilburg) ist eine von 44 Schülerinnen und Schülern, die mehr als ein halbes Jahr mit dem Dreimaster zur See gefahren sind. Unterricht gab es dort auch, aber gelernt hat Rosa viel mehr als nur Schulstoff.
44 Schüler, sieben Monate, ein Schiff
Schwerer Seegang im Ärmelkanal, zutrauliche Papageien in Panama und Kakaobäume in Costa Rica. In Rosas Kopf wirken die Eindrücke noch nach – von sieben Monaten Abenteuer.
"Ich wollte mal etwas Neues machen, nicht die ganze Zeit den langweiligen Schulalltag", sagt Rosa. Deshalb hat sie sich für das Segelprojekt der Herrmann-Lietz-Schule beworben, einem Internat auf der Nordsee-Insel Spiekeroog. "Immer das Meer sehen zu können und einen anderen Alltag zu haben als jeder andere in meinem Alter" – dieser Gedanke hat ihr gefallen.
Mit dem Schiff Baujahr 1937 segeln Rosa und die anderen quer über den Atlantik. "High Seas High School" heißt das Projekt. An Bord sind Schüler, Pädagogen, ein Schiffsarzt und Crew-Mitglieder. "Die Crew hat uns immer mehr Verantwortung übergeben", sagt Rosa.
Mal Schülerin, mal Steuerfrau
Der Tag an Bord ist aufgeteilt in Schulunterricht und "Watch" – also Arbeit auf dem Schiff: Segel prüfen, Schiff entrosten, navigieren – und steuern. "Am Anfang war es richtig ungewohnt", sagt Rosa. "Es liegt dann in deiner Verantwortung."
Seekrank wird sie nie, aber nicht alles fällt der Schülerin sofort leicht, erzählt sie. Die Handyzeit ist begrenzt, der Platz auch – alle Schüler schlafen in einem Raum. Schüchtern sei sie gewesen: "Am Anfang habe ich nie etwas geredet."
Zu Hause in Hünfelden muss sich auch Mutter Melanie an die Situation gewöhnen – obwohl sie selbst ihrer Tochter das Abenteuer vorgeschlagen hatte. "Ich habe von morgens bis abends aufs Handy geschaut", sagt sie. Mit der Zeit sei sie ruhiger geworden.
Leckere Schokolade direkt aus den Bohnen
Manchmal sind Rosa und die anderen wochenlang auf See, dann gibt es wieder mehrtägige Landgänge. Rosas Höhepunkt: Costa Rica, wo die Schüler in Gastfamilien leben, eine Kaffeeplantage besuchen und lernen, wie Schokolade entsteht.
"Eine Gastfamilie hatte einen Kakaobaum im Garten und wir haben einmal selbst Schokolade aus Kakaobohnen gemacht – das war so unglaublich lecker."
Landgang mit Skorpion
Und dann ist da noch eine Geschichte, die Rosa so schnell nicht vergessen wird. In Kleingruppen sollen sie mit einem gesetzten Budget auf selbst gewählten Wegen zurück zum Schiff finden – begleitet von einem Pädagogen. "Wir sind mit einem Viehwagen auf einen Berg gefahren", erinnert sich Rosa.
Nach einer Übernachtung in einer Hütte habe sie dann eine nervenaufreibende Entdeckung gemacht: "Da war ein Skorpion in meinem Schuh." Die Schülerin aus Mittelhessen warf den Schuh nach draußen, das Spinnentier suchte das Weite. Kleines Tier – große Aufregung.
Grenzen testen, den eigenen Kurs finden
Seit mehr als 32 Jahren schickt "High Seas High School" Schüler zur See. Ziel sei nicht nur praxisnahes Lernen, sondern auch die Persönlichkeitsentwicklung der 15- bis 17-Jährigen: Die Komfortzone verlassen, Verantwortung übernehmen, in einer großen Gemeinschaft Rücksicht aufeinander nehmen.
Die "High Seas High School" ist eine gemeinnützige Organisation und finanziert sich über Teilnahmebeiträge. Die Kosten für die sieben Monate lange Reise sowie die Ausrüstung, Anreise, Tauchkurs und SBF-See-Prüfung liegen bei knapp 30.000 Euro. Laut der Organisation bekommen viele Jugendliche das Geld über Fundraising oder Stipendien zusammen. Auch die Organisation selbst vergibt Teilstipendien.
Ein ähnliches Programm bietet die Uni Erlangen unter dem Namen "Klassenzimmer unter Segeln" an. Auch dort fahren Zehnt- und Elftklässler für ein halbes Jahr auf Expedition mit einem Großsegler.
Wir finanziert sich das?
Die "High Seas High School" ist eine gemeinnützige Organisation und finanziert sich über Teilnahmebeiträge. Die Kosten für die sieben Monate lange Reise sowie die Ausrüstung, Anreise, Tauchkurs und SBF-See-Prüfung liegen bei knapp 30.000 Euro. Laut der Organisation bekommen viele Jugendliche das Geld über Fundraising oder Stipendien zusammen. Auch die Organisation selbst vergibt Teilstipendien.
Ein ähnliches Programm bietet die Uni Erlangen unter dem Namen "Klassenzimmer unter Segeln" an. Auch dort fahren Zehnt- und Elftklässler für ein halbes Jahr auf Expedition mit einem Großsegler.
"Das Leben, Arbeiten und Unterrichten auf einem Segelschiff eignet sich hierfür besonders gut", sagt Projektmanagerin Victoria Effinghausen.
Mit "Seebeinen" nach Hause
Rosa merkt nach ihren sieben Monaten auf See, wie sie sich verändert hat. Nicht nur, dass sie jetzt ein Segelschiff steuern und sich darauf bewegen kann – "Seebeine haben", nennen Segler das. "Irgendwann bin ich gesprächiger geworden, habe mich mehr beteiligt und gesagt, was ich dachte." Auch ihre Mutter erlebt die 17-Jährige "stärker" und "innerlich gewachsen."
Was Rosa vermisst? "Dass es unter einem wackelt", sagt sie. "Dass man immer das Meer sehen kann, sich immer weiterbewegt und Neues sieht."