Ortstermin in der Frankfurter Rechtsmedizin An oder mit Corona gestorben? Die Obduktion gibt die Antwort

Das Frankfurter Institut für Rechtsmedizin ist bundesweit führend in der Untersuchung von Corona-Toten. Der hr durfte der Obduktion eines Leichnams beiwohnen - das Ergebnis überraschte selbst die Experten.

Obduktion einer 80-jährigen Frau in der Frankfurter Rechtsmedizin
Mitarbeiter der Frankfurter Rechtsmedizin obduzieren den Leichnam einer 80-Jährigen. Bild © hr
Videobeitrag

Corona – Ortstermin in der Gerichtsmedizin

hessenschau vom 28.11.2022
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Bevor die Leichenbeschau beginnen kann, wird nochmal getestet. Die 80-Jährige hatte Corona. Das ergab ein Zufallsbefund nach ihrem Tod. Die Frage ist: Ist die Frau an Covid-19 gestorben oder an einer anderen Krankheit oder fiel sie gar einem Verbrechen zum Opfer? Sie wurde zu Hause vor ihrem Bett leblos aufgefunden. Wie das geschah, ist ungeklärt, deswegen die Obduktion in der Frankfurter Rechtsmedizin.

"Es gab Betreuungspersonen. Wurde die Aufsicht verletzt? Hier hegt die Polizei Restzweifel daran, dass das wirklich ein natürlicher Tod sein könnte", berichtet der Leiter der Rechtsmedizin, Marcel Verhoff. Sein Institut untersucht nicht jeden Corona-Toten. "Das sieht das Infektionsschutzgesetz nicht vor", sagt Verhoff.

Zweieinhalbstündige Obduktion

Fast zweieinhalb Stunden wird die Leichenbeschau an diesem Novembertag dauern. Routine für das Team mittlerweile: Mehr als 80 Corona-Leichen aller Altersgruppen erforschten die Frankfurter Rechtsmediziner seit Sommer 2020. Damit gehören sie mit den Kolleginnen und Kollegen aus Hamburg (mit den bundesweit meisten Untersuchungen) zu den wichtigsten Experten in Deutschland, die wissen, was uns Corona-Leichen erzählen. Die Frankfurter betreiben auf dem Gebiet eine Langzeitforschung.

Im Gebäude der Frankfurter Rechtsmedizin in der Kennedyallee gibt es für die Corona-Leichen einen gesonderten Saal. Darin: Stille und in der Mitte ein Seziertisch. Darauf liegt der Leichnam der 80-Jährigen nun. Gleich kommt das Team, das den Körper der älteren Dame untersucht. Alles ist steril hier, komplett desinfiziert. Ritzen und Ecken sind verklebt. Die Tür, die Regale, die Schränke, der Tisch, das alles ist aus Edelstahl, der sich besonders gut desinfizieren lässt.

Blick in einen Sektionssaal in der Frankfurter Rechtsmedizin, wo die Leichen von Corona-Toten untersucht werden
Blick in den Corona-Sektionssaal in der Frankfurter Rechtsmedizin. Bild © hr

Denn die alte Frau mag tot sein, die Coronaviren in ihr sind noch hochinfektiös. Diese Erkenntnis aus der Rechtsmedizin hilft der Arbeit von Bestattern: Corona-Viren in toten Körpern können bei vorsichtigem Umgang nicht leicht übertragen werden. Aber sie können in Leichen wochenlang überdauern. Der in Frankfurt festgestellte Rekord beträgt 19 Tage nach dem Tod.

Die Rechtsmediziner im Frankfurter Corona-Sektionssaal arbeiten mit FFP-3-Maske und in kompletter Schutzkleidung. Sie schneiden den Körper der Frau zunächst vom Hals abwärts auf, sehen sich die wichtigsten Organe genau an. Institutsleiter Verhoff spricht in sein Diktiergerät: "Das Gewebe schmutzig, dunkelrot trocken verfärbt, keine entzündlichen Veränderungen. Die Haut des unteren Rückens und über der Gesäßregion unregelmäßig gerötet, teils mit streifigen Krusten."

Dann wird's richtig blutig

Jetzt wird's richtig blutig. Für einen ungeübten Beobachter ist das Zuschauen kaum erträglich. Nahezu alles wird herausgeschnitten und beschrieben, etwa, welchen Zustand Gewebe und Organe noch haben. Im Detail betrachten, befühlen und bewerten die Rechtsmediziner Lunge, Herz, Leber und Gehirn.

Verhoff stellt fest: "Der Virusbefall ist hier erst einmal wenig sichtbar." Die Lunge ist nicht aufgebläht und schwer. Leber und Herz sind äußerlich nur leicht verändert. Gibt es Anzeichen von Gewalt, dunkle Einblutungen, verhärtete Stellen?

Vom Augenschein her kommt das Dreierteam zu einem ersten Eindruck: Die Frau ist wohl an Unterkühlung gestorben. "Da wäre eventuell eine Schuldfrage zu klären, weil die Frau betreut wurde. Liegt hier fahrlässige Tötung vor?", merkt Verhoff im Gespräch mit den anderen Medizinern an. Freilich erkennen sie für direkte Gewalteinwirkung keine Hinweise.

Auch die Frage, ob Sars-CoV-2 oder eine Vorerkrankung den Tod der Frau verschuldete, können die Rechtsmediziner nicht im Corona-Sektionssaal klären. "Um mehr zu wissen, müssen wir die Laborprüfung der Körperproben abwarten", sagt Verhoff. Die Prüfung kann wegen der Fülle der Aufträge im Institut erst einige Tage später stattfinden. "Das wird noch spannend!", sagt der erfahrene Rechtsmediziner.

Die allermeisten sterben an Covid-19

Auf die Frage, ob die Menschen, deren tote Körper bisher untersucht wurden, nicht sowieso bald verstorben wären, hat Verhoff eine eindeutige Antwort: "Ganz klar nein! Die Menschen sind alle an und nicht mit Covid gestorben." Das bestätigt eine Auswertung des deutschlandweiten Obduktionsregisters DeRegCovid: Demnach starben 86 Prozent der Patienten an Covid-19, 14 Prozent mit dieser Erkrankung. Nahezu alle Fälle, die sie auf dem Corona-Sektionstisch liegen gehabt hätten, hätten trotz Vorerkrankungen noch weiterleben können, manche auch noch längere Zeit, führt Verhoff aus.

Die Frankfurter Gerichtsmediziner haben noch mehr zu Covid-19 herausgefunden: etwa, dass nicht nur die Lunge, sondern viele Organe vom Coronavirus befallen werden. Und dass die Gefäße stark betroffen sind. Entzündungen dort verursachen Blutgerinnsel, die die Funktion von Organen massiv stören und letztlich zum schnellen Corona-Tod führen oder Schlaganfälle im Gehirn auslösen können. "Seit wir das wissen, geht die Medizintherapie dahin, zuallererst für Gerinnungshemmung im Blut zu sorgen", berichtet Verhoff.

Garderobe mit Kitteln in der Frankfurter Rechtsmedizin, wo die Leichen von Corona-Toten untersucht werden
Garderobe mit Kitteln in der Frankfurter Rechtsmedizin, wo die Leichen von Corona-Toten untersucht werden Bild © hr

Fast zwei Wochen nach der Obduktion berichten der Institutsleiter und die Rechtsmedizinerin Stefanie Plenzig von den Ergebnissen der Laborprüfung im Fall der toten 80-Jährigen. Plenzig und Verhoff betrachten die Gewebeproben der Leiche unter dem Mikroskop. Sie schauen auf kleinste Zellgruppen von Lunge, Niere und Herz. Sie sind sich nach wenigen Minuten sicher: Die alte Dame ist doch an Corona gestorben, nicht an der Unterkühlung.

Der Virus war der Killer

Auch für die Experten eine dicke Überraschung, wie Verhoff sagt: "Ein sehr beeindruckendes Bild. Die Lunge sieht unter dem Mikroskop ziemlich schlecht aus. Insgesamt stark verdickte Wände, viele Entzündungsstellen." Die erste These vom Tod durch Unterkühlung treffe zwar zu, aber die Unterkühlung sei nicht durch äußere Umstände gekommen.

Plenzig und Verhoff erklären, dass aufgrund der Corona-Infektion die Lunge und die Nieren der alten Frau so stark geschädigt worden seien, "dass sie dadurch in diese hilflose Situation gekommen ist. Angestoßen durch Corona kam es letztlich zum Unterkühlungstod."

Damit gebe es wohl kein Verbrechen aus Menschenhand, schließen die Rechtsmediziner. Der Virus war der Killer.

Weitere Informationen

Sendung: hessenschau, 28.11.2022, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de