Als Werkzeug der "Gefahrenabwehr" Ansprechen verboten: Darmstadt verteidigt harten Kurs gegen Bettler

Bettler dürfen hier nicht mehr aktiv nach Geld fragen: Darmstadt will eine "respektvollere Atmosphäre" schaffen – und hat den Umgang mit mittellosen Menschen neuerdings unter der Gefahrenabwehr verbucht. Das steht nach Einschätzung eines Verfassungsrechtlers auf tönernen Füßen.

Darmstadt Luisenplatz
Blick auf den Luisenplatz in Darmstadt. Bild © Pixabay (Latting)

Zwischen Straßenbahnen, Radfahrern und Passanten sitzt Riza auf dem Darmstädter Luisenplatz. Den Hut hat er tief ins Gesicht gezogen. Der 53-Jährige ist wohnsitzlos und auf das Betteln angewiesen, wie er erzählt. Doch das sei inzwischen schwieriger.

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Darmstadt streitet über verschärftes Bettel-Verbot

Ordnungsdezernent im Interview
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"Vor zwei Wochen stand ich in der Sparkasse, hab meinen Hut aufgehalten, da kam die Stadtpolizei und wollte 50 Euro von mir haben", sagt Riza. Am Ende hätten die Beamten die 24,40 Euro von ihm bekommen, die er bei sich hatte. Der Bußgeldbescheid liegt dem hr vor. Darauf steht: "Aggressives Betteln".

Bettler Riza sitzt vor der Kamera
Bettler Riza bat um Geld - und wurde von der Stadt selbst zur Kasse gebeten. Bild © hr

Keine andere Möglichkeit mehr?

Dem Darmstädter Ordnungsdezernenten Paul Georg Wandrey ist dieser konkrete Fall nach eigener Aussage nicht bekannt. Doch Betteln mit Bechern oder Schildern sei weiterhin erlaubt, stellt er im Gespräch mit dem hr klar.

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Was in Darmstadt seit einer Verfügung von Anfang April nicht mehr erlaubt ist: "Aktiv auf Menschen zuzugehen und sie anzusprechen", sagt Wandrey. Zu diesem Schritt habe sich die Stadt entschieden, nachdem sich immer mehr Menschen über eine Zunahme der Bettler in Darmstadt beschwert hätten, die Stadt aber keine ausreichende Möglichkeit zum Durchgreifen gesehen habe.

Darmstadt will die "öffentliche Ordnung wahren"

Deshalb regelt seit Kurzem die Gefahrenabwehrverordnung die erlaubten Formen des Bettelns, ebenso wie zum Beispiel den Konsum von Lachgas und ein Alkoholverbot in bestimmten Bereichen der Darmstädter Innenstadt. Alles im Sinne einer "respektvollen Atmosphäre" im öffentlichen Raum.

In der Mitteilung zur neuen Verordnung wird Wandrey wie folgt zitiert: "Wenn präventive Maßnahmen nicht mehr ausreichen, müssen repressive Maßnahmen folgen, um die öffentliche Ordnung zu wahren und das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger zu stärken."

Ansprech-Verbot rechtswidrig?

Schießt die Stadt da nicht mit Kanonen auf Spatzen? Für den Darmstädter Verfassungsrechtler Wolfgang Hecker jedenfalls ist die neue Regelung nicht haltbar: Denn Betteln könne nur verboten werden, wenn es die Rechte anderer berühre.

Zur Argumentation der Stadt Darmstadt sagt der Verfassungsrechtler: "Die gehen davon aus, dass bereits die Ansprache zu einer Einschränkung meiner Bewegungsfreiheit führt. Und das, so meine ich, geht zu weit."

Einzelhändler sollen sich beschwert haben

Hecker sieht deshalb das Ansprechverbot als rechtswidrig und sogar als Verstoß gegen das Grundgesetz an. Ordnungsdezernent Wandrey hingegen hält es für verhältnismäßig. Er verweist unter anderem auf Rückmeldungen der Einzelhändler in der Stadt.

Vonseiten der Gewerbetreibenden habe es zuletzt vermehrt Beschwerden zur Situation der Bettler in der Innenstadt gegeben, sagt Anke Jansen, die Darmstädter "Citymanagerin": "Das Thema Betteln lag den Einzelhändlern am meisten am Herzen – dass sich da etwas ändern muss."

Bundesweiter Präzedenzfall

Das bisherige, undefinierte Verbot von "aggressivem Betteln", wie es das auch in vielen anderen Städten gibt, habe an der Stelle nicht ausgereicht, so Ordnungsdezernent Wandrey: "Der Nachweis war kompliziert. Mit der Regelung jetzt können wir Situationen wesentlich klarer erfassen und entsprechend auch ahnden."

Dass es leichter ist, festzustellen, ob ein Bettler jemanden angesprochen hat, als ob er in aggressiver Form gebettelt hat, kann Verfassungsrechtler Hecker nachvollziehen. "Aber es reicht nicht aus, zu sagen: Das ist für uns einfacher in der Handhabung." Schließlich gehe es um einen Eingriff in die Grundrechte.

Da Darmstadt als bisher erste Stadt ein solches Ansprechverbot beim Betteln erlassen habe, rechnet er mit einem bundesweiten Interesse daran, wie etwa mit Einsprüchen gegen solche Bußgeldbescheide vor dem Darmstädter Amtsgericht umgegangen wird.

Am Ende die Falschen getroffen?

Unter den Wohnsitzlosen in Darmstadt ist das Ansprechverbot inzwischen Thema. Zwei Männer berichten, dass sie zuletzt deutlich häufiger von der Polizei kontrolliert worden seien. Riza ergänzt, er finde es "unverschämt", den Leuten, die das Betteln nötig hätten, genau das zu erschweren. Er verweist stattdessen auf professionelle Bettlergruppen, die teils bis zu 300 Euro am Tag bekommen würden.

In diesem Punkt unterstützt ihn Petra Bier, die sich ehrenamtlich um Wohnsitzlose in Darmstadt kümmert. Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung fühle sie sich durch die Art dieser Gruppen auch unter Druck gesetzt. Die Wohnsitzlosen, die sie regelmäßig trifft, würden dagegen gar nicht aktiv betteln: "Aber die werden jetzt mehr kontrolliert. Mit diesem aggressiven Betteln sind andere gemeint." Bier ruft deshalb Passanten dazu auf, genau hinzusehen. Und jenen, bei denen die Not tatsächlich groß erscheint, weiter zu helfen.

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Quelle: hessenschau.de