Zwei eritreische Fahnen flattern im Wind. Im Hintergrund ist strahlend blauer Himmel zu sehen.

Die Polizei spricht von einem "Gewaltexzess". Bei Protesten gegen ein eritreisches Konzert sind in Gießen Besucher, Organisatoren und Polizisten verletzt worden. Dessen Gegner verteidigen die Angriffe.

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Demo gegen Eritrea-Festival eskaliert

hessenschau vom 22.08.2022
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Es gibt Sätze, die möchte man aus dem Mund eines Polizeisprechers eigentlich nicht hören. "Man muss hier von Glück sprechen, dass nicht mehr passiert ist", lautet das ebenso klare wie erschreckende Resümee, das Jörg Reinemer am Montag zieht - zwei Tage nachdem es im Vorfeld eines eritreischen Konzerts in den Gießener Hessenhallen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen war.

Die Bilanz in Zahlen: 33 Verletzte, darunter sieben Polizistinnen und Polizisten. Die Folge von Angriffen mit Steinen, Schlagstöcken und Messern. Das Konzert wurde schließlich von der Polizei untersagt.

Mindestens 100 Angreifer

Der Polizeisprecher spricht von einem "Gewaltexzess". Doch was war passiert? In der Hessenhalle sollten am Samstag Musiker und Redner aus dem ostafrikanischen Staat Eritrea auftreten. Das Land am Horn von Afrika wird seit Jahrzehnten von einer autoritären Militär-Junta regiert, die dafür verantwortlich ist, dass Eritrea inzwischen der Ruf anhaftet, das "Nordkorea Afrikas" zu sein.

Kritiker der Veranstaltung hatten die Befürchtung geäußert, dass das Konzert dazu dienen soll, Spenden für das Regime zu sammeln und Soldaten für den Krieg in der äthiopischen Region Tigray - an dem auch eritreische Truppen beteiligt sind - zu werben.

Bereits in der Vergangenheit hatte es gegen ähnliche Veranstaltungen Proteste von Exil-Eritreern gegeben. In Gießen versammelten sich am Samstagnachmittag mehrere hundert Menschen zu einem Protestzug. Zuvor war eine Klage auf Verbot des Konzerts vor dem Verwaltungsgericht Gießen gescheitert.

Aus der Demonstration habe sich schließlich eine Gruppe von "mindestens 100 Personen gelöst", die Absperrungen an den Hessenhallen durchbrochen und Aufbauhelfer attackiert hätten, teilte die Polizei mit. Die Einsatzkräfte hätten mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen die Angreifer vorgehen müssen, um der Lage Herr zu werden.

Im Anschluss sei es auch außerhalb der Halle den ganzen Abend über immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen, erklärt Polizeisprecher Reinemer. Da zeitgleich das Gießener Stadtfest mit mehreren zehntausend Besuchern stattfand, habe sich die Polizei gezwungen gesehen, das Konzert zu unterbinden. Bei etwa 75 Angreifern seien die Personalien festgestellt worden.

Messe sieht Verantwortung bei grünem Stadtverordneten

Die Veranstalter des Konzerts übten am Montag scharfe Kritik an der Polizei. Konzertbesucher und Organisatoren seien der Gewalt der Gegendemonstrantinnen und -demonstranten "schutzlos ausgeliefert" gewesen, hieß es in einer Stellungnahme des Zentralrats der Eritreer in Deutschland. Die Absage der Veranstaltung habe dazu geführt, dass die Angegriffenen sich "auf der Straße" wieder gefunden hätten, statt Schutz in der Halle suchen zu können.

Die privat geführte, nicht-städtische Messe Gießen kritisierte im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen die Rolle des Stadtverordneten Klaus-Dieter Grothe (Grüne), der seit Jahren an Protesten gegen Veranstaltungen, die das eritreische Regime unterstützen, teilnimmt.

"Während der grüne Lokalpolitiker Grothe das Auftreten seines herbeigerufenen Schlägertrupps als Sieg der Gerechtigkeit und Demokratie feiert, ist die Messegesellschaft entsetzt über die Ereignisse auf ihrem Gelände", hieß es in einer Pressemitteilung. Die Messegesellschaft nimmt dabei Bezug auf einen Facebook-Eintrag Grothes, in dem dieser sich erfreut über die Absage des Konzerts zeigt.

Grothes Parteikollege, Bürgermeister Alexander Wright, verurteilte am Montag die Angriffe "aufs Schärfste". Nachdem es bereits 2019 bei einem eritreischen Kulturfestival zu Auseinandersetzungen gekommen war, habe man in diesem Jahr auf einer erhöhten Zahl von Sicherheitsmitarbeitern bestanden. Dennoch sei man von der Intensität der Gewalt überrascht worden.

Grothe kritisiert Messe und verurteilt Übergriffe

Am Montagabend nahm auch Grothe in einer Mail an den hr Stellung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Darin übte er seinerseits Kritik an der Messe Gießen, die die Veranstaltung zugelassen habe. Gleichzeitig erklärte er, dass er die Gegendemonstration zwar unterstützt und an ihr teilgenommen, sie aber weder angemeldet noch organisiert habe. Aus dem von ihm begleiteten Demonstrationszug seien nachweislich keine Menschen auf das Festivalgelände gestürmt.

Auch Grothe verurteilte die gewalttätigen Ausschreitungen. Dass der Auftritt eines "Hasspredigers" nicht habe stattfinden können, wertete er als "Sieg der Gerechtigkeit und Demokratie", über den er sich freue. In seinem Facebook-Post sei seine Ablehnung der Mittel, die dazu führten, nicht deutlich genug geworden, so der Stadtverordnete. Deshalb habe er den Eintrag gelöscht.

Anmelderin distanziert sich nicht von Gewalt

Die Anmelderin der Gegendemonstration, Tsehainesh Kiros, wollte sich im Gespräch mit dem hr nicht von den Angriffen am Samstag distanzieren. Bei dem Konzert habe es sich um "Propaganda für den diktatorischen Präsidenten Eritreas" gehandelt, bei dem "Werbung für den Krieg" gemacht werden sollte. Bei den Randalierern habe es sich um vorwiegend junge Menschen gehandelt, die vor dem Regime geflohen seien.

"Die Jugendlichen haben nicht akzeptiert, dass wir immer friedlich demonstrieren und mit nichts nach Hause gehen", so Kiros. Daher hätten sie sich aus der eigentlichen Demonstration gelöst, um das regimefreundliche Konzert zu verhindern.

"Ich hätte ihnen, was sie gemacht haben, nicht durchgehen lassen. Aber ich habe auch nichts dagegen", sagte Kiros. Die Jugendlichen hätten an einem Tag mehr erreicht als sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter in Jahren des Protests.

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