Ein Spielzeug-Zug steht im Aufenthaltsraum einer Kita in Offenbach.

Kitafachkräfte sind rar - und klagen oft über eine hohe Arbeitsbelastung. Die Stadt Gießen setzt deswegen seit diesem Sommer in den Kitas nicht-pädagogische Zusatzkräfte ein. Und kann dadurch sogar neue Erzieher gewinnen.

In der Gießener Kita Lotte Lemke spielen die Kita-Kinder an diesem Mittag gerade im Sandkasten. "Kuchen" aus Sand backen ist angesagt. Und mitten dabei: die 33-jährige Jessica Bellof. Die Kinder strahlen sie an, plaudern fröhlich mit ihr. Sie scheinen sie zu mögen.

Dabei ist Bellof keine Erzieherin, sondern eine nicht-pädagogische Zusatzkraft. Bis vor kurzem hat sie noch als Trainerin in einem Fitnessstudio gearbeitet. Seit August hat sie umgesattelt und unterstützt die Fachkräfte der Kita bei Alltagsarbeiten.

Zusatzkräfteprojekt nach guten Erfahrungen ausgeweitet

Die Stadt Gießen setzt seit August Zusatzkräfte wie Bellof in all ihren Kitas im Bereich der Über-Dreijährigen ein. Pro Gruppe wird eine Viertelstelle bezahlt. Schon 2019 war man mit den Unter-Dreijährigen gestartet – und hat das Projekt, weil man damit so zufrieden war nun ausgeweitet.

Diese alltagsunterstützenden Zusatzkräfte, wie sie genau heißen, sollen den ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher den Rücken freihalten. Damit die mehr Zeit für ihre eigentliche pädagogische Arbeit haben, erklärt die Stadt Gießen auf hr-Anfrage. Sie helfen beim Aufräumen, decken die Tische, teilen Essen aus, ziehen Jacken und Schuhe an. Helfen also bei allem, was keine pädagogische Arbeit ist. Natürlich gehört auch mal mit den Kindern spielen dazu. Zumindest, wenn die Fachkraft dabei ist. Allein dürfen die Zusatzkräfte nämlich keine Kinder betreuen.

Erzieher beklagen hohe Belastung

Und die Entlastung scheint auch nötig: Vor wenigen Monaten kam eine bundesweite Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zum Ergebnis, dass 69 Prozent der Erzieher sich durch hohen Zeitdruck belastet fühlen. Immer wieder weisen Studien zudem auf Mehrbelastungen durch fehlendes Personal in Kitas hin.  

Für Jessica Bellof kam das Programm der Stadt Gießen genau zur richtigen Zeit. Sie wusste zwar, dass sie gerne mit Kindern arbeitet, und hatte mal ein Praktikum im Bereich der Kinderbetreuung gemacht, besitzt aber keine Ausbildung in dem Bereich. Als Zusatzkraft kann sie dennoch in der Kita arbeiten. "Ich habe gemerkt, dass Fitnesstrainerin keine langfristige Perspektive für mich ist. Ich habe etwas gesucht, mit dem ich alt werden kann", schildert sie.

"Unheimlich viel Herzblut"

Ihre Chefin, Kita-Leiterin Jeanette Lubbadeh, findet nur anerkennende Worte für Bellof und die zweite Zusatzkraft der Kita. Die beiden unterstützen die Kita mit 80 Kindern und rund 20 Erzieherinnen und Erziehern seit der Öffnung nach den Sommerferien: "Die beiden bringen unheimlich viel Herzblut mit. Sie freuen sich jeden Tag, wenn die Kinder sie anlächeln. Sie sind eine echte Bereicherung für unsere Einrichtung."

Auch Jens Dapper, der Geschäftsführer der AWO Gießen, die viele Kitas in der Stadt, wie auch die Kita Lotte Lemke betreibt, lobt die Initiative: "Wir erleben, dass die Erzieherinnen und Erzieher das wirklich gebrauchen und nutzen können." Das Konzept schaffe eine echte Perspektive zur Entlastung der Fachkräfte.

Neben Gießen experimentieren auch andere Kommunen in Hessen mit Zusatzkräften. Was diese Zusatzkräfte machen, variiert aber stark. Neben Hilfen bei Alltagsarbeiten wie in Gießen weiß der Hessische Städte- und Gemeindebund auch von Logopäden und Grafikdesignern, die in den Kitas zum Einsatz kommen. Die Erfahrungen damit seien gut.

AWO Gießen: Investition lohnt sich

Allerdings: Zusatzkräfte bedeuten für die Kommunen auch Zusatzausgaben. Denn sie sind freiwillige Leistungen.

Doch es sind Investitionen, die sich lohnen, findet Jens Dapper von der Gießener AWO. Zumindest in Gießen habe das Zusatzkräfteprogramm nämlich noch den Nebeneffekt: Es werden niedrigschwellig neue Fachkräfte gewonnen, beobachtet er: "Da gibt es nun schon die ersten, die festgestellt haben: Das ist genau mein Beruf. Und die sich noch einmal zum richtigen Erzieher ausbilden lassen", sagt Dapper.

Auch für Jessica Bellof ist das eine Perspektive. Erst wenige Wochen dabei, weiß sie, dass sie hier in der Kita ihre Zukunft sieht. Sie überlegt, auch sich zur Fachkraft ausbilden zu lassen. "Man muss natürlich eine hohe Belastbarkeit mitbringen und hohe Flexibilität. Aber das bin ich gewohnt. Und so strahlende Kinderaugen, die machen das alles wett."

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen