Gedenkfeier für die Opfer von Hanau im Congress-Park

Am Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau gedenken Politiker und Familien den Opfern. Bundespräsident Steinmeier ruft dazu auf, den Angehörigen Antworten auf alle offenen Fragen zu geben.

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Ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau

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Bei der zentralen Gedenkfeier für die neun Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verlangt, den Angehörigen Antworten auf alle offenen Fragen zu geben. "Aufklärung und Aufarbeitung stehen nicht in freiem Ermessen. Sie sind Bringschuld des Staates gegenüber der Öffentlichkeit und vor allem gegenüber den Angehörigen", sagte Steinmeier laut vorab veröffentlichtem Redemanuskript.

Wegen der Corona-Pandemie waren 50 Menschen zur Gedenkfeier in den Congress Park geladen worden - darunter auch Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und der frühere Fußballstürmer und Ehrenbürger von Hanau Rudi Völler. Erwartet wurden auch Videostatements der Familien der neun Opfer Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.

Rolle des Vaters unklar

Die Hinterbliebenen hatten immer wieder gefordert, die Umstände des Anschlags vollständig aufzuklären. Unklar ist bisher etwa die Rolle des Vaters von Tobias R. Die Angehörigen der Opfer haben ihn wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, die Staatsanwaltschaft Hanau außerdem wegen Beleidigung, weil er Überlebende des Anschlags und Angehörige der Opfer als "wilde Fremde" bezeichnet haben soll.

Außerdem ist ungeklärt, wieso der Polizeinotruf in der Nacht so schwer zu erreichen war. Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte eingeräumt, dass es in jener Nacht keine Weiterleitung zu einer übergeordneten Leitstelle gab. Die "Initiative 19. Februar Hanau", ein Zusammenschluss der Angehörigen, sprach von einem "Versagen der Behörden vor, während und nach der Tat".

Steinmeier: "Der Staat ist gefordert"

Steinmeier sagte in seiner Rede, er wisse, dass es Kritik und Fragen an das staatliche Handeln gegeben habe und weiter gebe. Auch der Staat sei nicht unfehlbar. Wo es Fehler oder Fehleinschätzungen gegeben habe, müsse aufgeklärt werden. "Nur in dem Maße, in dem Antworten auf offene Fragen gegeben werden, kann verlorenes Vertrauen wieder wachsen. Deshalb müssen wir uns so sehr darum bemühen. Der Staat ist gefordert."

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Bundespräsident Frank Walter Steinmeier: "Was kann unsere Antwort sein?"

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Keineswegs seien ein Jahr nach dem Anschlag vom 19. Februar 2020 die Trauer gewichen, der Schmerz geringer geworden oder die Wut verflogen, sagte Steinmeier. "Doch als Bundespräsident stehe ich hier und bitte uns: Lasst nicht zu, dass die böse Tat uns spaltet! Übersehen wir nicht die bösen Geister in unserer Mitte - den Hass, die Ausgrenzung, die Gleichgültigkeit. Aber lasst uns glauben an den besseren Geist unseres Landes, an unsere Kraft zum Miteinander, zum gemeinsamen Wir!"

Taten seien von Hass im Internet initiiert

Steinmeier dankte der Stadt Hanau und ihren Bürgern für ihr "mitbürgerliches Engagement" nach dem Anschlag. Den Angehörigen der Ermordeten sagte er: "Ich bin hier, weil mich zutiefst bedrückt, dass unser Staat sein Versprechen von Schutz, Sicherheit und Freiheit, das er allen gibt, die hier gemeinsam friedlich leben, gegenüber Ihren Angehörigen nicht hat einhalten können."

Wie der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Anschlag auf die Synagoge in Halle seien auch die Morde von Hanau kein Zufall gewesen. "Die Taten waren von gezielt gesteuertem Hass initiiert, die Täter davon ermutigt", sagte Steinmeier.

"Die bösartige Menschenfeindlichkeit, die sich im Netz oder anderswo zeigt, ist das gefährliche Gift einer kleinen Minderheit - aber ein Gift, das Wirkung hat. Das immer wieder Menschen glauben macht, sie dürften im Namen eines angeblichen Volkswillens andere Menschen demütigen, bedrohen, jagen oder gar ermorden."

Demonstrationen in mehreren Städten

In zahlreichen Städten hatte es vor Beginn der zentralen Gedenkfeier Demonstrationen und Kranzniederlegungen zur Erinnerung an die neun Opfer gegeben: In Hanau zählte die Polizei bis zum Mittag rund 80 Teilnehmer bei mehreren Veranstaltungen, weitere 300 bis 400 Menschen kamen am Nachmittag. An einer Trauerfeier auf dem Hanauer Hauptfriedhof, wo drei der Opfer - Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović - begraben sind, nahmen am Freitagmorgen fast 300 Menschen teil.

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Bürger und Verbände demonstrieren gegen Rassismus

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Auch in anderen Städten wie Kassel, Marburg, Wiesbaden, Offenbach und Darmstadt kamen Menschen zum Gedenken zusammen. Am Donnerstagabend hatte es bereits in Frankfurt eine Mahnwache mit 3.000 Teilnehmern gegeben.

Kirchen rufen zu Wachsamkeit auf

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, rief zu Wachsamkeit gegenüber Rassismus im Alltag auf. "Was in Hanau passiert ist, geht uns alle an", sagte auch die kurhessische Bischöfin Beate Hofmann am Freitag bei einem Friedensgebet in der Hanauer Marienkirche.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ließ über Twitter erklären, alle Menschen in Deutschland müssten sicher leben können. "Wir bieten denen die Stirn, die das Gift des Rechtsextremismus, des Rassismus und des Antisemitismus verbreiten und unsere freiheitliche Lebensweise bekämpfen."

Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) hatte zuvor ebenfalls die lückenlose Aufklärung der Geschehnisse in der Anschlagsnacht sowie der Umstände, die dazu führten, gefordert. Dies sei die einzige Chance für die Angehörigen der Opfer, das Geschehen verarbeiten zu können, sagte er im Inforadio des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB). "Es ist unsere verdammte Pflicht, alles was dieser Staat weiß, auch den Angehörigen zu vermitteln", sagte Kaminsky.

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