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Jugendgewalt in Marburg

Schatten einer Person, die von zwei anderen geschlagen wird.

Im Sommer 2022 prügelten zwei Jugendliche in Marburg einen Studenten fast tot - weil sie ihn für schwul hielten. Die Täter wurden dafür zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das Opfer kämpft noch immer mit den Ereignissen jener Nacht.

Er habe nichts falsch gemacht. Das sei ihm wichtig, sagt Saral Koirala. Er habe die beiden Jugendlichen nicht "angemacht", die ihn fast totgeprügelt haben. "Das hat das Gericht bestätigt", betont er. "Ich habe nicht versucht, mein T-Shirt hochzuziehen, um ihnen körperlich näher zu kommen."

"Ihnen", das sind ein heute 15-Jähriger und ein heute 17-Jähriger. "Du hast uns angemacht", schimpfen sie, während sie mit zwei Eisenstangen an einer Baustelle nahe des Marburger Rudolphsplatzes auf ihn einprügeln. "Wir schlagen dich, bis du aufhörst, schwul zu sein. Danach bist du geheilt."

Zufällige Begegnung mit dramatischen Folgen

Es ist die Nacht vom 16. auf den 17. Juni 2022. Der Mathe-Student Koirala ist auf dem Weg von der Bar "Shooters" in Richtung Rudolphsplatz. Er trifft auf die beiden Jugendlichen, mit denen er zwei Tage vorher schon etwas Gras geraucht hat.

Eine zufällige Begegnung am selben Ort, wo an warmen Sommerabenden immer etwas los ist – und wo die Polizei in der Nach-Corona-Zeit eine starke Zunahme von Straftaten durch Menschen im Alter zwischen 12 und 21 Jahren registriert.

Beide Arme gebrochen

Tanzen soll Koirala in der Nacht für das Duo, er tut es, ohne darüber nachzudenken. Sie filmen den damals 21-Jährigen unwissentlich, lachen: "Du bist schwul." Schon da ist die Stimmung angespannt. In der Nacht des Angriffs lotsen sie ihn auf die Baustelle. Als er in die Hocke geht, um eine Zigarette zu drehen, trifft ihn der erste Schlag von hinten.

Koirala geht zu Boden, versucht seinen Kopf zu schützen, die Schläge brechen ihm beide Arme, eine Kopfwunde muss später genäht werden. Zwischendurch verliert er das Bewusstsein, wacht allein wieder auf, ruft um Hilfe. Die beiden kommen zurück, prügeln weiter. Irgendwann lassen sie von ihm ab, rufen, er soll wegrennen.

Gefängnisstrafen für Täter

Am 31. März dieses Jahres verurteilt das Landgericht Marburg die beiden Jugendlichen unter anderem wegen schwerer Körperverletzung zu Gefängnisstrafen. Der 15-Jährige muss für drei Jahre und zehn Monate ins Jugendgefängnis, der 17-Jährige für vier Jahre und zehn Monate.

Ursprünglich war das Duo sogar wegen versuchten Mordes angeklagt. Weil sie jedoch von sich aus vom Opfer abgelassen hätten, obwohl sie Koirala hätten umbringen können, zog die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen versuchten Mordes zurück.

Opfer weist sich selbst ein

Saral Koirala rennt nach dem Angriff weg, versteckt sich bis um 5 Uhr morgens hinter einem Gebäude. Er blutet stark, wird fast ohnmächtig. Dann schafft er es nach Hause. Erst hier merkt er, dass seine Arme gebrochen sind. Er kann sie nicht heben, um die Tür zu öffnen.

Sein Mitbewohner bringt ihn später ins Krankenhaus, dann weist er sich selbst in die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie ein. Danach sei er drei Wochen ambulant behandelt worden, noch immer nehme er Medikamente.

Mit dem Urteil ist Saral Koirala zufrieden, wie er sagt. Zum einen, weil es so aussehe, als hätten sich die beiden Jugendlichen verändert. Zumindest einer habe sich entschuldigt.

"Bin jetzt vorsichtiger, wenn ich rausgehe"

Zum anderen ist er zufrieden, weil bestätigt sei, dass er keine "Mitschuld" trage, das Duo eben nicht "angemacht" habe. Das sei wichtig, denn seine Familie in Nepal würde mit ihm brechen, wenn er schwul sei, fürchtet er.

Ob er homosexuell sei, wisse er gar nicht, er sei in keiner Beziehung. "Ich habe aber keine Lust auf Sex mit Männern." Dass die Schuldfrage Koirala nicht loslässt, ist an der Antwort zu sehen, die er auf die Frage gibt, was der Angriff mit ihm gemacht hat: "Das ist passiert, weil ich Alkohol getrunken habe", sagt er. "Wenn ich nicht ausgegangen wäre, dann wäre das nicht passiert." Darüber denke er noch oft nach.

In Marburg, wo er seit 2019 lebt, will er aber bleiben, auch wenn er sein Studienfach wechseln und sich in Gießen für Elektrotechnik einschreiben will. "Ich bin nicht mehr so wie früher, als ich Menschen einfach angesprochen habe", sagt er. "Ich bin jetzt vorsichtiger, wenn ich raus gehe."

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