Dutzende Menschen stehen auf Straße und Bürgersteige bei einer Demo, einzelne Schilder werden in die Höhe gehalten.

Überall im Lande fehlen Kita-Plätze. Doch im Kasseler Stadtteil Kirchditmold demonstrieren die Anwohner gegen die Eröffnung einer Kindertagesstätte. Es geht um ganz drastische Befürchtungen.

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Kita versus Einzelhandel in Kassel

hs
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Die Botschaft der mehr als 60 Demonstranten, die sich am Mittwochmorgen versammelt haben, ist klar - und sie ist drastisch. "Riesen-Kita ruiniert Kirchditmold" steht auf dem Pappschild, das eine der Teilnehmerinnen bei sich trägt. "Die XXL-Kitazeile verhindert Vielfalt und zerstört einen lebendigen Ortskern" ist auf einem anderen zu lesen. Dazu ihr Protestruf: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Mitte raubt".

Die Demonstration richtet sich gegen eine Kindertagesstätte, die in Kirchditmold, einem Ortsteil von Kassel, geplant ist. Angesichts des hessenweiten Mangels an Kita-Plätzen ist es ein eher ungewöhnlicher Protest. Doch für die neue Kita, die ein privater Träger eröffnen will, sollen den aktuellen Planungen zufolge drei Geschäfte in dem kleinen Ortskern weichen: eine Buch- und Schreibwarenhandlung, ein Geschäft für Kinder-Second-Hand-Kleidung und ein Laden für ökologische Lebensmittel. Für viele Kirchditmolder käme das einem Todesstoß für das Zentrum gleich.

"Dann ist der Ortskern tot"

"Wenn wir diese ganze Geschäftszeile nicht mehr haben, dann ist der Ortskern tot - und zwar unwiderbringlich", ist sich Anwohnerin Annette Ulbricht sicher. Unter den Demonstranten ist an diesem Morgen auch Ortsvorsteherin Elisabeth König (Grüne). Sie teilt die Sorge, dass die Verdrängung der Läden durch die Kita den Ortskern zerstören könnte.

"Seit Jahren arbeiten wir daran, den historischen Ortskern aufzuwerten", erklärt die Ortsvorsteherin. Man habe Gelder eingesammelt aus dem Programm "Zukunft Innenstadt" des Landes, 220.000 Euro seien genehmigt worden. Auch eine Konzeptstudie sei aufgelegt worden, zur Stärkung und Verschönerung des Ortskerns. "Was die Leute ärgert ist, dass die Geschäfte vertrieben werden sollen und alle Räume für eine große Kita genommen werden sollen."

Die Kirchditmolder Ortsvorstehern Elisabeth König (Grüne) auf der Demo.

Persönlich mit am meisten betroffen wäre davon Sibylle Walz, die Inhaberin der Zentgrafen Buchhandlung. Für sie sei das existenziell. "Was mich in Rage bringt: Dass ein vermeintlich sozialer Träger eine Kindertagesstätte baut, die hier den Ortskern kaputt macht", sagt die 58-Jährige. In ihrem Laden mache sie momentan kaum etwas anderes als mit den Kundinnen und Kunden über dieses Thema zu sprechen. "Es gibt so gut wie niemanden, den das nicht empört."

Neubau als Lösung?

Dabei gäbe es eine verträgliche Lösung, darin sind sich die Teilnehmer des Protests und Ortsvorsteherin König einig: Denn der ursprüngliche Plan für die Kita des privaten Trägers AKGG war ein anderer, die Läden hätten nicht weichen müssen. Demnach hätte der Anbau auf der Rückseite der Ladenzeile abgerissen werden sollen, ein Neubau hätte Platz für die Kinder gebracht - zusätzlich zu den angrenzenden Räumen einer leerstehenden Bankfiliale. "Das wäre dann die Kita gewesen für drei Gruppen, wie wir sie auch unterstützen würden", erklärt König. Diesem Vorschlag hatte der Ortsbeirat vor zwei Jahren zugestimmt.

Laut dem neuen Eigentümer der Immobilie, der Coco Real Firmengruppe aus Bayern, sind diese Pläne des Vorbesitzers aber keine Option mehr. Auf Anfrage teilte ein Sprecher mit, der geplante Neubau sei "in der Praxis so nicht umsetzbar und musste sowohl aus funktionalen Gründen im Betriebsablauf als auch wegen allgemeiner behördlicher Vorgaben angepasst und um zusätzliche Flächen erweitert werden". Der private Kita-Träger wollte sich auf hr-Anfrage nicht äußern.

König: "Investor will billigere Lösung"

Ortsvorsteherin König vermutet ganz andere Gründe hinter der Abkehr. "Nach meinen Informationen ist der ursprüngliche Plan beerdigt worden, weil der jetzige Investor es scheut, die Kosten in die Hand zu nehmen und weil er eine billigere Lösung möchte." Für einen Ortskern, der für einen so großen Stadtteil eine so hohe Bedeutung habe, müsse aber genügend Geld in die Hand genommen werden.

Noch laufen Gespräche zwischen allen Beteiligten, doch ein erster runder Tisch hat keine Einigung gebracht. Einen Interessenskonflikt nennt es der Kasseler Stadtbaurat Christof Nolda (Grüne). Mit dem Einzelhandel und der Kita stünden zwei gute Nutzungen in Konkurrenz. "Wir sind jetzt im Vermittlungsvorgang," sagt Nolda, weist aber auch auf den begrenzten Handlungsspielraum der Stadt hin: "Das sind Investoren- und individuelle Entscheidungen."

Anderer Laden für Walz keine Option

Der Mietvertrag der Buchhändlerin Walz läuft noch bis zum nächsten Sommer, ihre Ladennachbarin muss ihr Geschäft für Kinderkleidung schon Ende des Jahres schließen. Laut Nolda ist im Gespräch, den Einzelhändlern Ersatzflächen an anderer Stelle anzubieten. Walz kann dieser Lösung nicht viel abgewinnen - Leerstand gebe es in Kirchditmold kaum, ein Umzug wäre außerdem aufwendig und teuer.

Buchhändlerin Sibylle Walz in ihrem Geschäft.

Der Besitzer des dritten betroffenen Ladens hat schon zugemacht – für ihn ein verkraftbarer Schritt, wie er der Zeitung HNA sagte, weil Mieten und Nebenkosten gestiegen sind, sein Umsatz aber gleichzeitig gesunken sei.

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