Jung, wohnungslos und ohne Perspektive. Fast die Hälfte aller Wohnungslosen in Hessen ist jünger als 30 Jahre. Eine 23-Jährige aus Frankfurt erzählt, warum sie fast auf der Straße gelandet wäre und wie Sozialarbeiter von Off Road Kids sie davor bewahrten.

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Wohnungslosigkeit: Sozialarbeiter helfen jungen Erwachsenen

Eine Frau schaut aus dem Fenster. Ihr Rücken ist zu sehen, sie trägt einen braunen Pulli.
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Katharinas* rechte Hand ist fast bis zu den Fingerkuppen tätowiert. Die 23-Jährige sitzt im Beratungszimmer der Jugendhilfeeinrichtung in Frankfurt und erzählt mit klarer Stimme von ihrer Vergangenheit. Sie sagt, wäre Offroad-Kids nicht gewesen, würde sie jetzt auf der Straße leben.

2020 trennte sich Katharina von ihrer damaligen Freundin und stand plötzlich ohne eine eigene Wohnung da. Zu ihren Eltern konnte sie nicht ziehen, da diese 400 Kilometer entfernt wohnten und sie keine Unterstützung erwarten konnte. "Die haben immer versucht mir eins reinzuwürgen", sagt Katharina. Ihre Mutter sei psychisch krank und habe ihr immer Steine in den Weg gelegt.

Infolge der Trennung ging es Katharina immer schlechter. Damals konsumierte sie regelmäßig Drogen, "Amphetamine und Ketamine". Katharina vernachlässigte ihre Arbeit als Malerin und Lackiererin, erschien anfangs immer seltener und irgendwann gar nicht mehr zur Arbeit. Ihrem Chef erzählte sie nicht von ihren Problemen. Er kündigte ihr. Mit 21 wurde sie arbeitlos und hatte kein Dach mehr über dem Kopf.

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Über Off Road Kids

Offroad Kids ist eine spendenfinanzierte und bundesweite Hilfsorganisation, die sich für Menschen bis 27 Jahre einsetzt, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Die Organisation hat fünf Standorte in Deutschland. (Berlin, Köln, Hamburg, Dortmund und Frankfurt) und bietet auch eine Online-Beratung an unter sofahopper.de.

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Fehlende familiäre Unterstützung

"Ich habe Panik bekommen", erinnert sich Katharina heute. Irgendwann sah sie nur noch das Leben auf der Straße als Option. In ihrer Not googelte sie nach Unterstützung und entdeckte Off Road Kids. Eine Stiftung, die jungen Erwachsenen hilft, wenn sie wohnungslos werden oder davon bedroht sind.

So kam es, dass sich Katharina und Dvora Leguy kennenlernten. Im Mai 2020 saß Katharina zum ersten Mal in der Frankfurter Beratungsstelle von Off Road Kids, im Büro von Sozialarbeiterin Dvora Leguy.

Dvora Leguy leitet die Frankfurter Niederlassung von Off Road Kids. Sie und ihr Team unterstützen seit 2019 Menschen, denen es ähnlich geht wie Katharina. Die Sozialarbeitenden führen Elterngespräche, arbeiten mit Jugendämtern zusammen und helfen, Betroffene unterzubringen - in Einzelwohnungen, Wohngemeinschaften oder Jugendwohnheimen.

Immer mehr Online-Beratungen

2.500 junge Erwachsene haben die Sozialarbeitenden von Off Road Kids in Frankfurt in diesem Jahr nach eigenen Angaben beraten, vor Ort und online. Besonders die Online-Beratung habe während Corona zugenommen. Der fehlende Wohnraum gehen oft einher mit vielen anderen Problematiken.

Schulden, Probleme mit der Justiz, Suchtmittelkonsum, fehlender familiärer Halt und fehlende soziale Strukturen seien auch häufige Themen. Dass in den Jugendämtern Personalmangel herrsche, das mache sich auch bei ihrer Arbeit bemerkbar, bestätigte Dvora Leguy.

12.000 Wohnungslose in Hessen

Die Zahl der Wohnunglosen ist laut Deutschem Jugendinstitut schwer zu erfassen. Das liegt an möglichen Doppelerfassungen und daran, dass Wohnungslosigkeit unterschiedlich definiert werde. Das Statistische Landesamt erfasste dieses Jahr zum ersten Mal Wohnungslose in Hessen.

Am 31. Januar diesen Jahres gab es über 12.000 Wohnungslose, die daraufhin in Notunterkünften oder Wohnheimen untergebracht wurden. Über 5.000 von ihnen waren jünger als 30 Jahre. Geflüchtete oder Obdachlose zählen laut der Definition nicht zu den Wohnungslosen.

Katharinas Fall wurde noch in keiner landesweiten Statistik erfasst. Von Dvora Leguy erhielt sie 2020 zum ersten Mal Unterstützung. Die Sozialarbeiterin organisierte ihr eine Notunterkunft und half ihr dabei, Arbeitslosengeld zu beantragen. Für die Unterstützung war Katharina dankbar: "Ich hatte die ganze Zeit gar keinen, der mir zuhört und der mir in irgendeiner Art und Weise hilft," sagt sie.

Betroffene häufig perspektivlos

Viele Betroffene seien nie nach ihren Wünschen gefragt worden, erklärte Leyguy. Bei ihrer Arbeit gehe es deswegen häufig darum "eine Vorstellung von einem Lebensweg aufzubauen", bei Bewerbungen zu helfen, Motivationsarbeit zu leisten oder die Betroffenen zum Jobcenter zu begleiten.

Katharina wurde fast zwei Jahr lang intensiv von Dvora Leguy betreut. "Obwohl ich irgendwann wusste, wie es vorwärts geht", erklärte Katharina, habe sie immer wieder drei Schritte rückwärts gemacht.

Nachdem sie drei Monate in der Notunterkunft lebte, lernte Katharina einen neuen Partner kennen. Sie wurde von ihm schwanger. Als sie hochschwanger war, musste sie allerdings ins Frauenhaus flüchten. Im November 2021 kam ihre Tochter zur Welt. Mit dem Vater des Kindes ist sie nicht mehr zusammen.

Den Kontakt zur Sozialarbeiterin Dvora Leguy von Offroad-Kids wird sie dagegen nicht verlieren. Sie vertraue ihr, sie sei ihre erste Ansprechpartnerin gewesen.

Sozialarbeiterin als Vertrauensperson

"Nachts bleibt mein Handy aus", sagt Dvora Leguy. Immer erreichbar sei sie nicht. Regeln zwischen den Sozialarbeitenden und den Betroffenen gelten trotzdem. An der Innenwand der Toilettentür von Off Road Kids hängen Verhaltensregeln. Neben dem Klopapier stehen Kondome. Zur Arbeit von Leguy und ihrem Team gehört manchmal auch Sexualkunde.

"Viele, die erfolgreich beraten werden, melden sich nicht mehr", sagt Dvora Leguy. Bei Katharina sei das anders. Beide halten den Kontakt. Katharina wohnt inzwischen in ihrer eigenen Wohnung mit ihrer Tochter. Ihr Kind dürfe bei ihr bleiben. "Das hat das Familiengericht entschieden", sagt Katharina erleichtert. Mental gehe es ihr endlich besser. An manchen Wochentag arbeite sie inzwischen auch wieder. Auch für ihre Tochter hat sie einen Wunsch: "Dass sie gebildet wird und sich immer auf ihre Eltern verlassen kann".

*Name von der Redaktion geändert

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