"Passionsspiele der Demokratie" Frankfurt feiert einzigartiges Theater-Spektakel in Schwarz, Rot und Gold
In diesen Passionsspielen geht es nicht um Jesus Christus, sondern um die Demokratie - als Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt. Eine Reportage von den ersten "Passionsspielen der Demokratie" in Frankfurt.
Am Ende bin ich ziemlich erschöpft und sehr beseelt. Mit einem großen Gedanken im Kopf fahre ich gegen Viertel vor Elf Uhr nachts in der U-Bahn nach Hause: Es lohnt sich immer, für Demokratie zu kämpfen!
Hinter mir liegen fast zehn Stunden Theater: die ersten Frankfurter "Passionsspiele der Demokratie". Ich habe viel gesehen und gehört, habe abgestimmt, mitgesungen und mit zahlreichen anderen Menschen gesprochen und diskutiert. Viele im Publikum schienen ebenso bewegt worden zu sein wie ich. Insofern waren die ersten "Passionsspiele der Demokratie" ein Erfolg.
Fahnen und Volkstänze vor der Paulskirche
Los ging es schon um 12 Uhr am Produktionshaus Naxos, mit einem "Abendmahl zu Mittag": Bei Apfelwein, Handkäs und einer Lese-Performance konnten sich Interessierte einstimmen. Doch donnerstagmittags unter der Woche war der Andrang überschaubar.
Weiter ging es mit einer "Prozession" um 14 Uhr von Naxos zur Paulskirche. Sie geriet deutlich kleiner als von den Veranstaltern geplant. Schätzungsweise unter hundert Menschen, junge wie alte, liefen mit, angeführt von den blau, gelb und weiß flatternden Fahnen der Folkloregruppe Linsengericht.
Der Zug war klein und leise, obwohl ein Trommler mitlief. Ein bisschen Aufmerksamkeit und neugierige Blicke bekam er trotzdem, vor allem in der Innenstadt. Auf dem Vorplatz der Paulskirche legte der Trommler dann los, die Folkloregruppe schwenkte ihre Fahnen und bot zur Freude der umstehenden Interessierten und einiger asiatischer Touristen ein paar Volkstänze.
Was für eine Wahl: Freiheit oder Demokratie?
Dann der Höhepunkt: Die Passionsspiele in der Frankfurter Paulskirche begannen. Jede Besucherin und jeder Besucher musste sich schon am Eingang entscheiden und einen Stein in eine entsprechende Kiste links oder rechts legen: Freiheit oder Demokratie? Ich fragte mich, wie es wohl ausgeht - doch das würde ich erst am Ende erfahren.
Die Ränge im Saal der Paulskirche waren nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt, obwohl alle Karten im Vorfeld schon vergeben waren - womöglich, weil sie umsonst waren. Schade, aber gleichzeitig auch bemerkenswert, dass doch so viele Menschen sich donnerstagsmittags in einem Theater-Marathon der Demokratie widmeten. Viele von ihnen blieben bis zum Ende um 22.30 Uhr.
Ein einzigartiges Spektakel: ein freies Theaterprojekt, ins Leben gerufen vom Schriftsteller Peter Michalzik, und gemeinsam realisiert von rund 200 Mitwirkenden, prominenten Schauspielern wie Constanze Becker und Wolfram Koch ebenso wie Eintracht-Fans, Bahnschaffnerinnen und Schulklassen aus Langen und Rodgau.
Milliardäre, Verschwörungstheorien, Klimawandel
Sie alle führten in der Paulskirche Stücke auf, hatten monatelang Texte, Gesänge und Choreografien entwickelt. Mit ihren jeweils eigenen Perspektiven blickten sie auf Demokratie, Freiheit, deutsche Milliardäre, Verschwörungstheorien, Klimawandel, deutsches Beharren auf der Sitzplatzreservierung und entscheidende Tore zum Klassenerhalt.
Die Beiträge waren sehr unterschiedlich, doch alle waren lebendig und authentisch, dabei so nachdenklich wie witzig. Das Publikum quittierte sie mit Lachen und Raunen, Klatschen und Mitsingen. Am Anfang noch verhalten, doch je weiter die Theaterstunden voranschritten, desto engagierter wurde abgestimmt und mitgeklatscht, etwa im Takt der Barrikadenlieder von 1848.
Forderungen nach "Pressefreiheit"
Dreh und Angelpunkt der Aufführung in der Paulskirche war ein historisches Stück über die Revolution von 1848/49, die letztlich scheiterte, aber den Grundstein für unsere heutige Verfassung legte. Es konnte keinen besseren Ort dafür geben, als die Frankfurter Paulskirche: Hier hatten sich die Revolutionäre und Politiker, allesamt Männer, mit Backenbart und Gehrock, tatsächlich auch 1848 versammelt, diskutiert und um eine erste Verfassung gerungen.
An diesem Donnerstag stürmten die Revolutionäre wieder die Ränge und füllten den Saal der Paulskirche. Die Menschen im Publikum: sichtlich überrascht, reckten die Köpfe. Lächelten. Nickten und bekräftigten die Forderungen nach "Pressefreiheit" und der "Gleichheit aller vor dem Gesetz". Bei mir: Gänsehaut.
Es war ein mitreißendes Spektakel. Zur Stimmung trug maßgeblich auch die Musik bei: eine kleine Band mit Tuba, Gitarre und Geigen und ein glänzender Chor (Mainvokal) stimmten die historischen Barrikadenlieder an.
"Schwarz ist das Pulver, rot ist das Blut, golden flackert die Flamme"
Am Ende dann ein überraschende Abstimmungsergebnis der Steinwahl vom Anfang: 182 Steine wurden für die Demokratie abgegeben, für 140 Gäste allerdings war Freiheit ein höheres Gut.
"Pulver ist schwarz, Blut ist rot, Golden flackert die Flamme!" Diese revolutionären Liedzeilen gehen mir donnerstagnachts in der U-Bahn nach Hause nicht mehr aus dem Kopf: Es erscheint heute so wichtig, den Verschwörungstheorien und Narrativen von Demokratiefeinden mit eigenen Geschichten zu begegnen, die die demokratische und plurale Gesellschaft stark machen.
Die Frankfurter "Passionsspiele der Demokratie" haben das Zeug dazu.