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Marco Giacopuzzi im Interview über die Reihe "Queertopia"

Eine blonde Frau in Rocker-Kluft steht auf einem schneebedeckten Feld.

Gibt es die eine queere Community? Wer oder was ist überhaupt queer? Eine vierteilige Doku des mehrfach ausgezeichneten Filmemachers Marco Giacopuzzi nähert sich diesen Fragen an. Über 20 Menschen erzählen in "Queertopia" von ihren Erfahrungen.

Ältere Schwule und Lesben haben oft ihr Leben lang gegen Diskriminierung gekämpft. Und auch heute ringen queere Menschen um Anerkennung ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Doch die "Struggles unterm Regenbogen" werden auch innerhalb der LGBTIQ-Community ausgefochten: alt gegen jung, Identitätspolitik gegen Anti-Wokeness, Leder gegen Puppy, Feminismus gegen Trans.

Wer muss gerade in welche Schublade – wer ist Mann, wer Frau, wer nichts von allem? Der Dokumentarfilmer Marco Giacopuzzi zeichnet für die hr-Serie "Queertopia" ein sensibles Portrait der Szene und ihrer Kämpfe. Im Interview plädiert er dafür, die Debatte gelassener zu führen.

hessenschau.de: Die Serie beginnt mit älteren schwulen und lesbischen Pärchen, die mit dem Begriff "queer" gar nichts anfangen können. Warum finden sie sich in diesem Begriff nicht wieder?

Marco Giacopuzzi: Es gibt ältere Menschen, die empfinden es so, dass man sich wieder hinter einem Begriff versteckt. Man ist dann nicht mehr schwul, nicht mehr lesbisch, sondern man ist queer. Man outet sich nicht wirklich. Dabei hat gerade diese ältere Generation für die Emanzipation von schwulem und lesbischem Dasein gekämpft.

hessenschau.de: Ist der Begriff "queer" trotzdem ein Fortschritt in dem Sinne, dass er eine Solidarität von verschiedenen Gruppen zum Ausdruck bringt, die man unter diesem Begriff zusammenfasst?

Giacopuzzi: Ich glaube schon. Es gibt diese Buchstaben-Aneinanderreihung LGBTIQ und was da alles noch dazukommt, weil es auch immer mehr Geschlechtskategorien gibt. Wobei man sagen muss, dass sich in der Community nicht alle von diesen Kategorien gleich wertgeschätzt fühlen.

Für die einen ist es ein Kampfbegriff, eine Solidarität unter queeren Menschen, die irgendwie entgegen der Norm leben, fühlen, lieben, sprechen oder was auch immer. Und für andere ist es eine Zumutung geworden, weil sie plötzlich sich zu wenig definiert fühlen. 

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LGBTIQ

Die Buchstabenkombination steht für die englischen Begriffe lesbian, gay, bisexual, transgender, intersexual, queer. Zu deutsch: lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell, queer.

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hessenschau.de: Die intensivste Debatte wird gerade um die Anerkennung von Transmenschen geführt. Was ist die neue Qualität an dieser Auseinandersetzung?

Giacopuzzi: Ich glaube, dass das für betroffene Transmenschen ein wahnsinniger Kampf ist. In den sozialen Medien bekommt man mit, was für ein Schlachtfeld das inzwischen geworden ist zwischen Transpersonen und Feministinnen, die Angst um ihren Safe Space haben.

Ich finde, man kann beiden Seiten zuhören. Die Idee von "Queertopia" war es von Anfang an, diesen Streit oder diese Debatte mal ein bisschen gelassener auszutragen. Deshalb habe ich geguckt, dass wir nicht Leute aussuchen, die nur polarisieren. Vielmehr erzählen sie von sich selbst, von ihrem Gefühl, von ihrem Leben, von ihren Struggles, die sie innerhalb der queeren Community haben.

Zwei Männer, einer sitzt im Rollstuhl, auf einer Theaterbühne.

Denn das ist ja das Verrückte, dass die queere Community aufeinander losgeht. Als ob es nicht reichen würde, wenn rechte Parteien ein Problem haben mit Transpersonen oder mit Gendern oder mit was auch immer.

hessenschau.de: Für Ihre Dokumentationen haben Sie viele Preise bekommen, unter anderem den Grimme-Preis. Und auch "Queertopia" ist große Kunst, weil Sie es wieder schaffen, uns Menschen sehr, sehr nahe zu bringen. Sie erzählen auch intimste Dinge aus ihrer Sicht, zeigen sich zuhause in ihrem Ambiente. Wie gelingt Ihnen das?

Giacopuzzi: Wenn ich die Leute ernst nehmen will und sie meine Neugier ernst nehmen, dann klappt das. Ich kann mich immer nur verneigen vor Leuten, die uns das erzählen und irgendwie Vertrauen haben.

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Marco Giacopuzzi

Der Offenbacher Dokumentarfilmer und Autor arbeitet seit 2000 vorwiegend für den Hessischen Rundfunk. Als Autor der KiKa-Reihe "Schau in meine Welt" erhielt er 2017 den Robert-Geißendörfer-Preis und 2019 einen Grimme-Preis.

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Das Gespräch führte Christoph Scheffer.

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