Fünf farbige Schattenrisse von Menschen vor einem blauen Hintergrund

An Schulen gilt seit Kurzem ein Genderverbot, auferlegt von der Landesregierung. Was bedeutet das für diejenigen, die sich bisher um gendersensible Sprache bemüht haben und denen jetzt Sanktionen drohen? Drei Lehrerinnen und eine Abiturientin berichten.

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Schlechtere Noten wegen Gendern? Lehrerinnen kritisieren Gender-Verbot

Eine bunte Grafik mit der Illustration einer Lehrerin und im Huntergrund Laptop, Globus, Lineal und Stift
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Am Mittwoch starten in Hessen die Abiturprüfungen und vieles wird sein wie jedes Jahr, eine Regel ist aber neu: Sonderzeichen wie das Gendersternchen, der Doppelpunkt oder Unterstriche werden als Fehler gewertet. Das hat die Landesregierung im März verkündet.

Vielen wird die neue Regel egal sein: Bei denen, die nie ein "*" benutzt haben, bleibt alles beim Alten. Aber was halten Lehrerinnen und Schülerinnen von der Regel, die sich um eine gendersensible Sprache bemühen - und jetzt mit Konsequenzen rechnen müssen?

Der hr hat mit drei Lehrerinnen und einer Abiturientin darüber gesprochen. Die Lehrerinnen wollen alle anonym bleiben, weil sie als Beamtinnen Sanktionen fürchten, wenn sie sich öffentlich zum Genderverbot und damit zu einer Entscheidung der Landesregierung äußern.

Gesamtschul-Lehrerin in Mittelhessen: "Das ist doch schockierend"

"Ich habe irgendwann für mich entschieden, zu gendern. Andere im Kollegium haben nicht gegendert, das ist eine freie Entscheidung. Es soll natürlich keinen Zwang geben zu gendern. Bei den Schüler*innen, die nach den Sommerferien zurück kamen, habe ich gemerkt, dass manche genervt waren, als ich wieder gegendert habe.

Sechs Wochen im Elternhaus, da merkt man bei manchen schon eine negative Einstellung bei dem Thema. Das Gendern trifft einen Nerv, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Das irritiert mich, was stört denn genau? Es ist meine Entscheidung. Ich will einen Safe Space schaffen für meine Schüler*innen, damit sie wissen: Sie werden gehört, wenn sie zum Beispiel queer sind.

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Meinen Schüler*innen habe ich das Gendern natürlich nicht aufgezwungen, das würde ich nie tun. Aktuell begleite ich eine Hauptschulklasse in den Abschlussprüfungen. Eine der Schülerinnen wurde früher inklusiv beschult, sie gendert manchmal. Sie wird jetzt die normale Hauptschulprüfung mitmachen können, weil sie sich sehr verbessert hat – soll ich ihr das Gendern jetzt als Fehler anstreichen? Das ist doch schockierend.

Vergangenes Jahr hatte ich eine 10. Klasse, da haben einige Schülerinnen entschieden, dass sie gendern wollen. Künftig muss ich mich an die neuen Regeln halten, aber ich finde, sie widersprechen unserem Auftrag als Lehrer*innen. Und: Seit Jahrzehnten hoffen wir auf dringende Reformen im Schulsystem – jetzt so ein Genderverbot durchzusetzen, ist nur Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulist*innen. Sehr problematisch! Es gibt tausend andere Baustellen in Schulen."

Emilia, 19, Abiturientin in Frankfurt: "Bin enttäuscht vom Kultusministerium"

"Ich finde, man müsste erstmal das ganze Curriculum ändern, bevor man sich um sowas wie Gendern kümmert. Wir haben, so weit ich mich zurückerinnern kann, nur ein Buch von einer Frau in der Schule gelesen. Das war von Juli Zeh. Ich finde, gleiche Förderung für alle, egal welchen Hintergrund Schüler*innen haben, das wäre sehr wichtig an deutschen Schulen.

Ich finde es extrem schade, dass es keine Diskussion an unserer Schule zum Genderverbot gab. Ich bin enttäuscht vom Kultusministerium, dass gleich ein Verbot ausgesprochen wird. Damit wird Gendern auf eine Ebene gestellt mit Spicken zum Beispiel. Man sollte Schüler*innen doch den Freiraum lassen, es zu machen, wie man will und selbst zu entscheiden. Ich will niemanden zum Gendern zwingen – aber dann lasst mir doch auch die Entscheidung, es zu tun.

Vom Genderverbot habe ich zuerst in der Presse gelesen und dachte, das sei ein Witz. Bisher hat mich keines der Argumente gegen das Gendern überzeugt. Ich habe ein oder zweimal in Klausuren gegendert, ohne dafür einen Abzug zu bekommen.

Über Sexismus, Gender-Themen und gesellschaftlichen Wandel haben wir manchmal im Unterricht schon diskutiert. Aber privat beschäftigt es mich mehr. Ich suche die Diskussion, für mich sind Sexismus und Feminismus wichtige Themen. Meine Erfahrung ist, dass Jungs und Männer anders behandelt und gefördert werden. Das Genderverbot finde ich das falsche Signal."

Gesamtschul-Lehrerin in Frankfurt: "Das Genderverbot lässt mich ratlos zurück"

"Ich finde den Fokus auf dieses Thema als eine der ersten Aktionen der neuen Landesregierung sehr überraschend, weil uns aktuell eigentlich so viele andere Themen beschäftigen. Wir haben viele zugewanderte Schüler, eine Überlastung der Lehrkräfte – ich habe so viele Themen, mit denen ich mich im Schulalltag beschäftige, zu denen ich gerne von einer Landesregierung konstruktive Vorschläge hören würde.

Für mich ist die Berücksichtigung von allen Geschlechtern in meiner eigenen Sprache wichtig. Ich möchte, dass alle mit denen ich zu tun habe, das Gefühl haben, sie werden angesprochen – im Sprechen und Schreiben. Mich hat das Genderverbot ratlos zurückgelassen: Außer dem Verbot gibt es keinen Handlungshinweis, wie ich jetzt mit diesen Menschen sprechen kann. Im Schreiben werde ich das Sternchen nicht mehr nutzen können, im Sprechen ist es eine Grauzone.

Schulleitungen müssen jetzt auch ihre Homepages oder Elternbriefe prüfen, dass dort keine Sonderzeichen vorkommen. Bisher war es so, dass es in unserem Kollegium ganz unterschiedliche Vorgehensweisen gab. Manche haben gegendert, andere nicht. Darüber haben wir uns auch ausgetauscht, konstruktiv und ohne Gegeneinander. Einen Klärungs- oder Handlungsbedarf sah ich da nicht.

Jetzt gibt es eine Verunsicherung, die gab es vorher nicht. Wenn ich doch Sonderzeichen nutzen sollte, würde ich wahrscheinlich ein Gespräch mit der Schulleitung bekommen oder einen Vermerk in der Personalakte. Das kann etwa in einem Bewerbungsprozess schon zu einem Problem werden."

Gesamtschul-Lehrerin im Rhein-Main-Gebiet: "Genderverbot ist rückschrittlich"

"Ich unterrichte nur bis zur 10. Klasse und auch bei meinen Fächern hat das Genderverbot keinen Einfluss auf die Note. Ich muss Sonderzeichen anstreichen in Arbeiten, aber es muss nicht sofort als Fehler gewertet werden. Wir sind bisher nicht von der Schulleitung darüber informiert worden, welche Regeln jetzt gelten. Gendern war in meiner Schule wenig Thema, wir haben eine sehr konservative Schülerschaft. Die Schüler*innen würde ich als nicht sehr gendersensibel beschreiben, ich habe selbst gegendert, aber natürlich niemanden dazu verpflichtet.

Ich empfinde das Genderverbot als rückschrittlich. Denn es gibt auch Schüler*innen, die zwischen zwei Geschlechtern stehen, nicht genau wissen, wo sie sich verorten. Denen hilft es, wenn ich als Lehrkraft gendere. Und für diese Kinder tut es mir sehr leid. Das sind Schüler*innen, die oft am Rand sind, sich rausziehen. Ich werde weiterhin das '*innen' sprechen, im Schriftlichen kann ich auf Schüler und Schülerinnen ausweichen.

Ich diskutiere das Thema Gendern nicht in den Klassen, weil das Thema nicht aus der Schülerschaft kommt – andere Themen sind da wichtiger. Wofür die Landesregierung mal sorgen könnte: Wir brauchen dringend eine Entlastung für alle. Damit Lehrer*innen mehr Zeit hätten für Schüler*innen. Diese haben oft das Gefühl, sie werden nicht wahrgenommen und gehen unter. Sie kämpfen um Aufmerksamkeit. Ihnen das zu bieten, wäre schön. Aber es fehlt an Zeit und Strukturen. Das Genderverbot ist ein kleinlicher Schritt, der aber eine deutliche Haltung zeigt: Konservativ und rückschrittlich."

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Protokolliert von Sonja Süß. Die Namen der Lehrerinnen liegen der Redaktion vor.

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