Stadt Frankfurt ehrt Michel Friedman "Ich liebe es, meine Klappe aufzureißen"

Mit einem Jahr Verspätung erhält Michel Friedman die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt für sein kulturelles Schaffen. Im Interview erklärt er, warum er im Sinne der Kultur streitet – und wieso er dafür zuletzt die Bühne Landtag genutzt hat.

Michel Friedman
Michel Friedman wohnt seit Jahrzehnten in Frankfurt - und würde in Deutschland in keiner anderen Stadt wohnen wollen. Bild © Sina Philipps (hr)

Er scheint ein Multitalent zu sein: Michel Friedman ist Publizist, Jurist, Philosoph und Kulturschaffender. Für sein Engagement bekam er am Donnerstag die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt für das Jahr 2023 verliehen. Dass die feierliche Übergabe rund ein Jahr auf sich warten ließ, liegt an seinem vollen Terminkalender.

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Friedman sei "eine der stärksten Stimmen für Demokratie und Toleranz in unserem Land", begründete der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) die Wahl. Der 68-Jährige bemühe sich "voller Herzblut und Leidenschaft" um den demokratischen Streit. Das Streiten hebt auch Friedman im Interview mit hessenschau.de hervor.

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Das Gespräch führte Sina Philipps.

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hessenschau.de: Herr Friedman, Sie haben bereits einige Auszeichnungen erhalten, darunter auch das Bundesverdienstkreuz. Was bedeutet Ihnen die Goethe-Plakette, die Ihre Arbeit als Kulturschaffender würdigt?

Michel Friedman: Es ist eine Plakette, die mit der Überschrift kulturelles und gesellschaftliches Engagement zu tun hat. Für mich war Kultur schon als Kind – konkretisiert in Lesen, in Kinofilme schauen, anschließend Theater – der Sauerstoff meines Lebens. Und mir ist die Bedeutung der Kultur als ein Teil der Bildung außerordentlich bewusst.

Die Goethe-Plakette wird seit 1932 jährlich von der Stadt Frankfurt an Persönlichkeiten des kulturellen Lebens verliehen, die "die durch ihr schöpferisches Wirken einer dem Andenken Goethes gewidmeten Ehrung würdig sind". Sie ist nicht zu verwechseln mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt oder der Goethe-Plakette des Landes Hessen.

Zu den Preisträgern gehören unter anderem Thomas Mann, Sandra Mann, Hans Zimmer, Sven Väth und Liesel Christ. 2023 wurden die Performance-Künstlerin Anne Imhof und Michel Friedman ausgezeichnet, in diesem Jahr Opernintendant Bernd Loebe und Margareta Dillinger, Direktorin des Varieté "Tigerpalast".

Ich habe mich immer für Kultur engagiert. Seit Jahren schreibe ich auch, was die größte Herausforderung für mein Leben ist.

Und wenn ich dann dafür ausgezeichnet werde, dass ich mit Kultur, um Kultur und dank Kultur ein Leben leben durfte und das auch anderen Menschen ermöglicht habe, ist das schon etwas sehr Besonderes für mich.

hessenschau.de: Welche Rolle spielt die Stadt Frankfurt für Sie?

Friedman: Es ist die einzige Stadt, in der ich in Deutschland leben wollte, will und weiterleben will. Nicht, weil sie die schönste Stadt ist. Nicht, weil sie die coolste Stadt ist. Nicht, weil sie die Stadt der Hochhäuser ist.

Ich bin oft in New York und bei allem Respekt: Ich komme aus der schönsten Stadt Europas, Paris. Aber wenn in Deutschland, dann lebe ich in Frankfurt. Es ist die weltoffenste Stadt, die selbstverständlichste Stadt der vielen Kulturen, Staatsangehörigkeiten, Lebensformen.

hessenschau.de: Sie sind hier aufs Goethe-Gymnasium gegangen, erhalten jetzt die Goethe-Plakette. Welche Relevanz hat Goethe in Ihrem Leben?

Friedman: Na ja, Sie kommen in Frankfurt einfach nicht an ihm vorbei. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich natürlich im Theater einiges gesehen habe. Und natürlich habe ich Goethe auch gelesen. Ich habe viel mit und von ihm gelernt. Ich habe sehr oft Zitate von ihm nachdenklich aufgenommen, einige seiner Texte gerne gelesen.

Aber ich würde nie sagen: "Ich bin ein Goethe-Freak." Das ändert nichts daran, dass mir klar ist, dass Goethe einer der wichtigsten schriftlichen Sprachdenker und Schriftsteller im Deutschen ist.

Für einen Menschen wie mich, der erst mit zehn Jahren Deutsch gelernt hat, ist es so gesehen eine doppelte Auszeichnung, im Namen von Goethe eine Kulturauszeichnung zu bekommen.

hessenschau.de: Viele kennen Sie als streitlustigen Publizisten, erst vor kurzem haben Sie mit einer Rede gegen die AfD im Hessischen Landtag für Aufmerksamkeit gesorgt. Wie beschreiben Sie Ihre Rolle in der Gesellschaft?

Friedman: Ich bin ein außerordentlich neugieriger Mensch. Aber mir ist bewusst, dass das wirkliche Lernen darin besteht, nicht unbedingt die Antworten, sondern die Fragen zu finden. Und von da kann man sich wieder auf den Weg machen.

Die Kultur oder das, was ich in der Kultur versuche zu machen, sind Übersetzungsinstrumente. Ich bin eine strittige Persönlichkeit, denn der Streit ist die Voraussetzung für Erkenntnis. Ohne Streit bleibe ich stehen.

Michel Friedman wurde 1956 in Paris geboren. Mitte der 1960er Jahre zog er mit seinen Eltern nach Frankfurt, wo er heute noch lebt. Er ist aktives Mitglied der Jüdischen Gemeinde, war dort unter anderem Kulturdezernent.

Er arbeitet als Jurist und Publizist, hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Zwischen den 1990er Jahren bis in die frühen 2000er war er Moderator verschiedener Talk-Sendungen in Programmen der ARD, unter anderem dem hr. An der Oper Frankfurt ist er in der aktuellen Spielzeit Gastgeber einer Diskussionsreihe.

Ich konnte im Hessischen Landtag sagen, was ich will. Und ja, es kann Stress geben. Es kann Konflikte geben. Es kann Sanktionen geben. Na und? Ich betone und bestehe darauf, dass diese Kultur momentan so frei agieren kann wie noch nie.

Aber ich weiß, dass genau diese populistischen, auch antidemokratischen Kräfte als erstes an die Kultur gehen werden, wenn sie an die Macht kommen. Wir haben noch immer alle Möglichkeiten, diese Gesellschaft nach vorne zu bringen.

hessenschau.de: Zum Beispiel mit Ihrer Rede im Landtag?

Friedman: Ich hatte das gar nicht geplant. Ich bin eingeladen gewesen, zum 50. Todestag von Oskar Schindler eine Rede über ihn zu halten. Und dann stand ich da, sah, von mir aus gesehen auf der rechten Seite, die erheblich große Fraktion der AfD. Ich habe mich gefragt: Was sucht ihr eigentlich hier, ihr Heuchler?

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Michel Friedman am Rednerpult im Landtag
Michel Friedman am Rednerpult im Landtag Bild © hr
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Ich meine, wir loben jemanden, der Juden gerettet hat. Wir loben jemanden, der Deutschland als Deutscher Zeit seines Lebens verurteilt hat. Ich wollte direkt mit ihnen sprechen und habe mich dann entschieden, mit ihnen von Angesicht zu Angesicht den Dialog zu suchen und zu sagen, was ich darüber denke.

Auch weil das die einzige Möglichkeit war, Würde wiederherzustellen, sowohl für mich als Person als auch für die jüdische Gemeinschaft. Nur in der Demokratie kannst du Fragen an die Demokratie stellen. In der Diktatur nicht.

hessenschau.de: Welche Reaktionen hat die Rede hervorgerufen?

Friedman: Ich habe selten so viele Reaktion bekommen, die begonnen haben mit: "Eigentlich kann ich Sie nicht ausstehen, Herr Friedman. Aber diese Rede hat mir gefallen."

Das ist für mich der wichtigste Teil. Es imponiert mir, wenn es junge Leute sind, weil ich mich freue, sie zu motivieren.

hessenschau.de: Warum lassen Sie nicht locker?

Friedman: Ich möchte nicht von einer Diktatur überrannt werden. Was ist das für ein Leben in einer Diktatur? Ein Leben, in dem die individuelle Möglichkeit, sein Leben zu leben, auf ein Minimum reduziert wird?

Ein Leben in Angst, ein Leben in einem Spitzelsystem, ein Leben, in dem man Kunst nicht mehr genießen und durchführen kann, weil man dafür ins Gefängnis kommt und seine Klappe halten muss. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich liebe es, meine Klappe aufzureißen und ich liebe es, wenn auch andere es tun.

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Sendung: hr2 kultur,

Quelle: hessenschau.de