Petition in Bensheim geht nach hinten los Das Ortsschild, das in die falsche Richtung wanderte
Das nennt man wohl einen waschechten Schildbürgerstreich: Um einen Fußgängerübergang an der B3 in Bensheim sicherer zu machen, fordern Anwohner die Versetzung eines Ortsschilds. Mit einer Petition schalten sie den Landtag ein. Schneller als gedacht wird die Politik tätig - mit einem fatalen Ergebnis.
Martin Türck steht unter dem neuen Ortsschild von Bensheim und schüttelt den Kopf: "Ich kann es einfach nicht glauben", sagt der Bensheimer Politiklehrer. Anlass für seinen Ärger ist jenes gelbe Schild, das den Eintritt in das Stadtgebiet signalisiert. Seit einigen Tagen ist es näher an die Stadt herangerückt - das genaue Gegenteil dessen, was Türck erreichen wollte.
Doch von vorne: Türck wohnt, wie so viele andere Familien mit Kindern auch, in einem Wohngebiet am südlichen Stadtausgang, nicht weit entfernt von der B3. Dort gibt es eine Bushaltestelle, die auch von Schülerinnen und Schülern genutzt wird. Um zu dieser Haltestelle zu kommen, müssen die Anwohnerinnen und Anwohner die Bundesstraße an einem kleinen Übergang queren – ganz ohne Ampel oder Zebrastreifen.
Gefährlicher Fußgängerübergang
"Hier über die Straße zu kommen, ist sehr schwer und gefährlich", klagt Türck. Besonders im Berufsverkehr müssten Fußgänger oft lange warten und dann eine Lücke abpassen, um vor dem nächsten Auto über die Straße zu laufen. "Meist sind die Autos hier auch noch sehr schnell unterwegs." Wer sich vor Ort ein Bild macht, dürfte feststellen, dass der Anwohner nicht übertreibt. Die Verkehrssituation ist für Fußgänger tatsächlich unvorteilhaft.
Vergangenes Jahr verunglückte an dieser Stelle ein Motorradfahrer tödlich, weil er mit einem Auto zusammenstieß. Diese Tragödie nahm Türck zusammen mit dem pensionierten Realschullehrer Detlef Römer zum Anlass, aktiv zu werden. Sie starteten eine Petition mit dem Ziel, diesen Übergang sicherer zu machen und den Verkehr zu beruhigen. "Wir wollen einfach, dass man hier sicher über die Straße kommt, ohne totgefahren zu werden", erklärt Türck.
Sie sammelten dutzende Unterschriften und schickten die Petition an den Landtag. Darin forderten sie unter anderem die Errichtung eines Zebrastreifens, einer Bedarfsampel und - jetzt kommt wieder das gelbe Schild ins Spiel - die Versetzung des Ortschildes weiter in Richtung des benachbarten Heppenheims. "Die Autofahrer sollen einfach schon früher anfangen, runterzubremsen", sagt Römer.
Der Übergang sei zwar auch schon zuvor innerhalb des Stadtgebiets und somit in der Tempo-50-Zone gewesen, aber so nah am Ortsschild, dass die meisten Verkehrsteilnehmer ihre Geschwindigkeit noch nicht ausreichend gedrosselt hatten. "Wir wollten den Abstand einfach erhöhen."
Ortsschild wandert näher an Gefahrenstelle
Als sich Türck kürzlich noch einmal ein Bild von der Situation machen wollte, fielen ihm nach eigenen Angaben fast die Augen aus dem Kopf. Statt weiter weg stand das Schild plötzlich näher dran an der Gefahrenstelle. "Sie haben einfach das Gegenteil gemacht, ohne es anzukündigen", sagt Türck.
Mit "sie" meint Türck das Straßenverkehrsamt des Kreises Bergstraße. Und nicht nur das Ortsschild wurde versetzt. Dort, wo es vorher stand, weist jetzt ein zusätzliches Schild Tempo 70 aus. Sprich: Die Autos dürfen jetzt noch länger schnell fahren als zuvor. "Statt den Verkehr zu beruhigen, wurde die Straße hier zum Rennstreifen gemacht", fasst Türck zusammen. Römer spricht passenderweise von einem "Schildbürgerstreich".
"Sind wir überhaupt noch Bensheimer?"
Durch die Verlegung des Ortsschilds liegen plötzlich auch einige Häuser vermeintlich außerhalb der Stadt. "Mich haben schon Leute gefragt, ob sie jetzt überhaupt noch Bensheimer sind oder schon als Aussiedler gelten", sagt Römer mit hörbar sarkastischem Unterton. Manche fürchten sogar, sie könnten jetzt als Heppenheimer gelten. Eine für Bensheimer kaum zu ertragende Vorstellung.
Dabei waren Türck und Römer sowie die restlichen Unterzeichner und Unterzeichnerinnen der Petition eigentlich guter Dinge, denn ihr Anliegen wurde im Landtag gehört. "Es gab im Oktober sogar eine Ortsbesichtigung, bei der wir den Abgeordneten unsere Wünsche vortragen durften", sagt Römer. Dass es am Ende aus Sicht der Anwohner und Anwohnerinnen noch schlimmer werden würde, konnte niemand ahnen.
Behörden schaffen Tatsachen
Was den Vorgang noch kurioser erscheinen lässt: Die neuen Schilder wurden aufgestellt, bevor der Petitionsausschuss überhaupt zu einem Ergebnis gekommen war. Das bestätigt auch der Kreisbeigeordnete und Verkehrsdezernent Matthias Schimpf: "Die neue Beschilderung wurde vor Abschluss der Petition umgesetzt." Angeregt habe dies das Verkehrsministerium.
Offenbar kamen die Vor-Ort-Experten nach der Begehung zu dem Schluss, das Ortschild habe schon seit Jahren "nicht StVO-konform" gestanden, wie es Schimpf formuliert. Durch die neue Beschilderung entstehe "Rechtskonformität", ganz im Sinne der Straßenverkehrsordnung.
Aber nicht im Sinne der Menschen, die dort wohnen. Sicherer ist der Fußgängerübergang über die B3 dadurch nämlich nicht geworden, eher im Gegenteil. Nicht nur deswegen ist der Vorgang für Lehrer Türck vollkommen unverständlich: "Wie kann es sein, dass hier Behörden Fakten schaffen, während der Landtag noch überhaupt nicht darüber befunden hat?"
"Wir hätten besser nichts gesagt"
Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen, tatsächlich sendet die Politik kleine Signale der Hoffnung: "Die Petition befindet sich weiterhin in Bearbeitung", bestätigt Oliver Ulloth (SPD), Vorsitzender des Petionsausschusses. Der Kreis prüft zudem die Installation einer Fußgängerampel.
So recht freuen mag das den engagierten Politiklehrer Türck nicht: "Im Nachhinein muss ich sagen: Wir hätten besser gar nichts gemacht, dann wäre die Situation besser als heute."