Der Kopf eines Wolfes

Landwirtschaftschaftsminister Jung hat den Wölfen den Kampf angesagt und will Nutztierhalter stärker unterstützen. Schäfer in der Rhön fragen sich allerdings, ob mit den Maßnahmen aus Wiesbaden die Trendwende gelingt.

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Angst vorm Wolf: Minister besucht Weidetierhalter in der Rhön

Landwirtschaftsminister Jung bei Landwirten in der Rhön wegen Wolfsrissen
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Der neue Landwirtschaftsminister Ingmar Jung (CDU) erlebte am Donnerstag eine eisige und ungemütliche Dienstreise in die Rhön - nicht nur des Wetters wegen. In hellen Turnschuhen stapfte er am Morgen bei winterlicher Kälte durch den Schneematsch auf einer Weide in Ehrenberg (Fulda). Das Wetter hatte es nicht gut gemeint. Dabei wollte sein Ministerium zur 100-Tage-Bilanz der Landesregierung für schöne Bilder und gute Botschaften sorgen.

Und auch die Mienen der erschienenen Landwirte waren frostig - vor allem des Themas wegen - und passten sich dem grauen Himmel und nass-kaltem Wetter an. Der anberaumte Austausch und die Diskussion drehten sich um die auch in Hessen angewachsene Wolfspopulation. Und daraus erwachsen immer mehr Probleme mit gerissenen Nutztieren wie etwa Schafen.

Sorgen, Kritik und Zweifel von Landwirten

Was der Minister aus dem Alltag der Landwirte zu hören bekam: existenzielle Sorgen, Kritik und auch Zweifel, dass die Politik die Probleme in den Griff bekommt. Einer der betroffenen Landwirte ist Moritz Weckbach. Der Schäfer aus Ehrenberg machte bereits seine Erfahrungen mit Wölfen. Im September waren sechs seiner Schafe bei Übergriffen getötet worden, obwohl die Tiere den Vorschriften gemäß eingezäunt gewesen seien.

"Das waren unschöne Bilder, die man so schnell nicht aus dem Kopf bekommt", betonte Weckbach. Es sei hart zu verdauen gewesen. Die Gefahr sei omnipräsent. Erst im Februar habe es wieder Risse in der Nachbarschaft gegeben. 200 Meter von seinem Haus entfernt. "Der Wolf kommt immer näher. Wir haben Angst, dass er die Scheu verliert."

"Fühlen uns allein gelassen"

Wie einfach Wölfe die mobilen, unter Strom gesetzten Weidezäune überwinden können, zeigt sich immer wieder. "Wir fühlen uns mit der Aufgabe des Herdenschutzes alleingelassen", sagte Weckbach. Er fordert: "Problemwölfe", die sich wiederholt an Nutztieren vergriffen, müssten schneller zur Jagd freigegeben werden.

Der Minister sagte: "Ich verstehe, dass Sie frustriert sind." Und: "Wir tun mit Nachdruck alles, was uns als Land möglich ist." Wiederholt kündigte er an, dass der Wolf ins Jagdrecht aufgenommen werden solle. Wölfe, die Nutztiere reißen statt sich Wild aus dem Wald zu schnappen, sollen dann schneller zum Abschuss freigegeben werden. Bislang gilt das nur mit einer amtlichen Sondergenehmigung.

Minister hofft auf Anpassung von Richtlinie

Doch Wölfe einfach zum Abschuss freigeben, ist verboten: Die Wildtiere sind streng geschützt. Das ist europarechtlich und durch ein Bundesgesetz geregelt. Eine Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sichert den besonderen Schutzstatus des Wolfs. Hessen kann davon nicht einfach abweichen. Die Richtlinie dient dem Erhalt natürlicher Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen.

Doch Minister Jung ist zuversichtlich, dass diese aus dem Jahr 1992 stammende Richtlinie angepasst wird. "Die politische Situation ist in Europa überall vergleichbar. Die von Wolfsrissen betroffenen Weidetierhalter fordern, den Schutz für den Wolf zu reduzieren und Hilfe für ihre Tiere."

In den Regierungen setzt sich laut Jung die Meinung durch, dass der geltende Schutzstatus nicht mehr angemessen sei. Ziel sei es, den Status von "streng geschützt" auf "geschützt" zu ändern. Diese Entscheidung auf EU-Ebene würde lokalen Behörden mehr Flexibilität beim Umgang mit kritischen Wolfspopulationen ermöglichen.

Doch wie schnell die Änderungen auf EU-Ebene umsetzbar sind und sich Jagd-Möglichkeiten in Hessen ergeben - dazu wollte Jung keine Prognose abgeben.

NABU-Vorwurf: "kontraproduktive Scheinlösung"

Der NABU-Landesvorsitzende Maik Sommerhage sprach am Donnerstag als Reaktion auf die Jagd-Ankündigung von einer "kontraproduktiven Scheinlösung, die niemandem hilft". Damit werde den Weidetierhaltern eine Sicherheit vorgetäuscht, die es draußen vor Ort nicht gebe. "Wenn dadurch Herdenschutzmaßnahmen unterlassen werden, komme es durch neu zuwandernde Wölfe immer wieder zu Nutztierrissen."

Bis der Wolf in Hessen von Jägern womöglich ins Visier genommen werden darf, will das hessische Ministerium noch mit anderen Maßnahmen helfen. Die finanzielle Unterstützung für die Anschaffung und den Unterhalt von wolfsabwehrenden Zäunen sowie von Herdenschutzhunden solle verbessert werden, sagte Jung, ohne konkrete Zahlen zu nennen.

Und: Wenn es zu Wolfsrissen komme, solle die Dokumentation des Schadens vereinfacht werden, um Bürokratie abzubauen. Die bisher obligatorische Gen-Probe solle nur noch in Ausnahmen erforderlich sein. Zudem werden die 500 Schaf- und Ziegenbetriebe in Hessen mit mehr als 600.000 Euro bei der Grundförderung unterstützt, wie das Ministerium erklärte.

Einige Regelungen müssen im Einzelnen noch erarbeitet werden. "Wir werden jetzt im nächsten Schritt in den Dialog mit den Tierhaltungsverbänden treten und die Verbesserung der Förderrichtlinien im Detail besprechen", sagte Jung, der auch ankündigte, dass das hessische Wolfszentrum vom Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) zur Forstverwaltung bei Hessen Forst wechsele.

Schafhalter sehen statt Lösung nur positive Signale

Die Schafhalter in der Rhön konnten die Ankündigungen des Ministers nicht wirklich beruhigen. Sie sprachen von einem "positiven Signal", doch eine richtige Lösung sei das noch nicht - so der Tenor.

Schäfer Norbert Werner aus Mittelkalbach (Fulda) konnte der Minister mit den Maßnahmen nicht überzeugen: "Weidewirtschaft und Wolf haben noch nie zusammengepasst und werden es auch nie. Wenn der Wolf sich weiter ausbreitet, wird die Weidetierhaltung sterben. Das tut sich dann niemand mehr an."

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Wölfe in Hessen

Der Druck für die Weidetierhalter durch den Wolf nimmt immer weiter zu. Denn sie verbreiten sich immer mehr in Hessen. Im Jahr 2023 wurden nach Angaben des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) 26 Individuen nachgewiesen. 2022 waren es 19 Tiere, 2021 erst 13 und in den beiden Jahren davor jeweils acht Wölfe. 2018 gab es keinen Wolfsnachweis. Aktuell gibt es in Hessen sechs Wolfsterritorien. Jeweils ein Rudel ist in Rüdesheim (Rheingau-Taunus) und Wildflecken im bayerischen Teil der Rhön nahe der Landesgrenze heimisch.

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"Kulturlandschaft wegen Wölfen gefährdet"

Kritik kam auch von Klaus Knacker. Der Landwirt aus der Rhön bedauert: Der Wolf werde so schnell nicht mehr aus dem Mittelgebirge verschwinden. Die Population sei bereits zu hoch. Und so sichere Zäune ließen sich gar nicht bauen, als dass sie von cleveren Wölfen nicht überwunden werden könnten.

Landwirtschaftsminister Jung bei Landwirten in der Rhön wegen Wolfsrissen

Der Landwirt gab auch zu bedenken: Die Weidewirtschaft sei überlebenswichtig für die Region. Sonst sei die Kulturlandschaft in der Rhön gefährdet. Denn zur dortigen Landschaftspflege sind Weidetiere als "Rasenmäher auf vier Beinen" seit jeher unerlässlich.

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