Anstecker mit Aufschrift CDU und SPD

Schwarz-Grün war gestern, klar. Aber wofür steht die neue "christlich-soziale" Regierung in Hessen eigentlich? Der Frankfurter Politikprofessor Thomas Biebricher über die Zukunft des Konservativen und die Gefahr, populistisch zu werden.

Videobeitrag

Video

Regierungserklärung mit Schlagabtausch

hs
Ende des Videobeitrags

In einer Regierungserklärung stellt der wiedergewählte Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) am Mittwoch die Grundzüge seiner Politik zur Diskussion. Die erste unionsgeführte CDU/SPD-Regierung Hessens will laut Koalitionsvertrag einem Klima der Angst vor wirtschaftlichem Abstieg und der verbreiteten Sorgen vor den Folgen von Migration und Energiewende begegnen.

Aber ist der Kurs nach dem Ende von Schwarz-Grün damit wirklich klar? In Büchern über die Krise konservativer Parteien in Europa kommt der Frankfurter Politik-Professor Thomas Biebricher zum Befund: Am gemäßigten Konservatismus entscheide sich das Schicksal der liberalen Demokratie. Doch zwischen sozialökologischer, transformationsbereiter Mitte und rechtspopulistischen Anfechtungen müsse die CDU ihre Linie noch finden.

Vor diesem Hintergrund vermisst Biebricher in Rheins Programm eine "ehrliche Ansprache" an die Bürgerinnen und Bürger.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen

hessenschau.de: Herr Biebricher, der wiedergewählte Ministerpräsident Rhein spricht von einem "neuen Kapitel", das er aufschlagen will. Die FAZ hat die Eckpunkte des CDU/SPD-Regierungsprogramm mit "Gendern war gestern, jetzt wird abgeschoben" überschrieben. Klingt ein bisschen nach geistig-moralischer Wende 2.0, oder?

Thomas Biebricher: Dafür steht in dem Koalitionsvertrag doch zu wenig, was ein neuer, konservativer Entwurf wäre. Starker Staat, mehr Polizei, eine Begrenzung der Einwanderung, die Betonung des Heimatbegriffs: Das ist ja typisch für CDU-Programme.

Aber es ist auf jeden Fall eine Regierung mit Signalwirkung. Die CDU hebt damit in Hessen eine für sie unglückliche Konstellation auf. Sie hat sich die Grünen als Hauptgegner ausgeguckt, während es gleichzeitig eine Reihe erfolgreicher schwarz-grüner Landesregierungen gab.

Jetzt kann sie sich zumindest in Hessen weiter an den Grünen abarbeiten, ohne mit diesem latenten Widerspruch leben zu müssen. Das Signal aus Hessen lautet: Schwarz-Grün als Zukunftsmodell ist mit dieser Regierung erst einmal abgeräumt.

hessenschau.de: Die Koalition nennt sich progressiv-pragmatisch. Wenn Rhein "schonende Erneuerung" verspricht, ist das aber doch eindeutig konservativ.

Biebricher: Ja, das Versprechen entspricht genuin einem gemäßigten Konservatismus. Aber damit ist diese Koalition ja nicht alleine. Das Bekenntnis, die erforderlichen Erneuerungsprozesse so zu gestalten, dass sie nicht zu disruptiv ausfallen, haben die Grünen auch formuliert.

hessenschau.de: Der Wahl-Slogan ihres Spitzenkandidaten Tarek Al-Wazir war sogar: "Wir müssen etwas verändern, damit es bleibt wie es ist".

Biebricher: Und das ist ja eigentlich zutiefst konservativ. Dass die hessischen Grünen in der letzten Legislaturperiode durch übermäßige Radikalität aufgefallen sind, wäre mir ohnehin entgangen. Es gibt über die Parteigrenzen hinweg den Eindruck, man habe es mit einem Wahlvolk zu tun, das missmutig und skeptisch mit Blick auf die Zukunft ist. Dabei gibt es aber eine auffällige Diskrepanz: Viele Menschen sehen die Gesamtverhältnisse wesentlich skeptischer, als die eigene Situation, die oft gar nicht so negativ eingeschätzt wird.

Weitere Informationen

Die erschöpften Konservativen

Thomas Biebricher, Jahrgang 1974, ist Politik-Professor und Fachmann für Politische Theorie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Große Resonanz erzielte sein Buch: "Geistig moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus". Zuletzt erschien 2023 bei Suhrkamp: "Mitte/Rechts. Die internationale Krise des Konservatismus". Er ist als Wissenschaftler Mitglied der Akademie der Heinrich Böll Stiftung.

Ende der weiteren Informationen
 Politikwissenschaftler Thomas Biebricher

hessenschau.de: Wenn Rhein bei all den Abstiegsängsten und der Aufregung um das Energiewendegesetz einen Gang zurückschaltet, ist das vielleicht gar nicht so schlecht. In jedem Fall hat er für seinen Kurs einen eindeutigen Wählerauftrag.

Biebricher: Man muss aber aufpassen, dass man nicht zu sehr vor den Beharrungskräften einknickt, wenn Veränderungen nötig sind. Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist ja kein Projekt enthalten, das nach einer wirklich wichtigen Veränderung klingt, vielleicht sogar nach ein wenig Zumutung. Ganz ohne wird es aber vermutlich nicht gehen.

Die konservative Formel der schonenden Erneuerung ist im Übrigen nicht ganz neu. Der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat sie mit dem Begriff "sanfter Bruch" geprägt. Die Frage ist, ob das richtig austariert ist. Anhand des Koalitionsvertrags alleine kann man das nicht beurteilen, das werden wir abwarten müssen.

hessenschau.de: Das Regierungsprogramm beginnt ja gleich mit der Feststellung, die Krisen hätten sich historisch einmalig geballt. Überzeugt Sie die Schlussfolgerung, deshalb sei der Schulterschluss der beiden verbliebenen Volksparteien nötig, eine große Koalition für eine breite Mehrheit?

Biebricher: Diese Koalition ist zwar die größtmögliche lagerübergreifende Verbindung. Aber so groß ist sie nun auch nicht mehr. Der Anspruch, den sie erhebt, scheint mir jedenfalls zu hoch gegriffen.

Wenn CDU und SPD aufrufen, dass sie großen Parteien der Mitte zusammenstehen müssen, hat man doch den Eindruck, es geht um eine wirklich ambitionierte Agenda, wo man alle Kräfte mobilisieren muss. So ambitioniert scheint mir der Koalitionsvertrag aber gerade nicht zu sein. Es kann sogar etwas verzagt wirken, wenn man das Signal setzt: Die Lage ist so schlimm, dass nur noch solche Koalitionen helfen. Große Koalitionen führen außerdem typischerweise dazu, dass die Ränder gestärkt werden.

hessenschau.de: Die Koalition nennt sich "christlich-sozial“" Von konservativ ist gar nicht die Rede, obwohl ja auch Ziele wie ein Verbot von Gender-Sonderzeichen oder eine Blockflöteninitiative genau dafür stehen. Dürfen Konservative nicht sagen, dass sie konservativ sind, wenn sie Wahlen gewinnen wollen?

Biebricher: Mir ist aufgefallen, dass der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz am Ende der Klausurtagung gesagt hat, die CDU sei auch eine konservative Partei und man habe kein Problem, das auch auszusprechen. In Hessen ist es vermutlich auch für die SPD angenehmer, wenn der Begriff konservativ nicht so prominent vorkommt. Das christlich-soziale funktioniert als Formel für beide Parteien gut.

Christdemokraten sind aber auch insgesamt eher zurückhaltend, wenn es um den Begriff geht, der etwas provokanter ist. Es war schon immer Teil des Erfolgsgeheimnisses der CDU, dass man sich offener und nicht als rein konservativ verstanden hat.

hessenschau.de: Sich christlich zu nennen, ist aber auch so eine Sache, oder? Immer weniger sind gläubig, den Kirchen laufen die Mitglieder weg. Und es hebt die Messlatte moralisch doch sehr hoch.

Biebricher: Deshalb gibt es inzwischen ja auch immer wieder Meinungsverschiedenheiten der CDU mit den beiden großen Kirchen. Da ist vor allem die Frage der Migrationspolitik sehr prominent. Wenn die Landesregierung jetzt vermehrt Menschen abschieben will, wird der Widerstand unter anderem verstärkt von den Kirchen kommen. Dann wird sich die CDU fragen lassen müssen, wo sich das christliche Menschenbild wiederfindet, das immer wieder angeführt wird.

hessenschau.de: Natur und Klima zu schützen könnte man auch als klassische christlich-konservative Aufgabe betrachten. Als er 2022 bei seiner ersten Wahl die Stimmen der Grünen brauchte, hat Rhein den Klimaschutz auch noch die wichtigste Aufgabe genannt. Wie passt es damit zusammen, dass er dann die Landtagswahl mit Anti-Grünen-Botschaften wie "Auto verbieten verboten" geführt hat?

Biebricher: Ein entscheidender Faktor dürfte gewesen sein, dass die CDU da für sich ein potentes und mobilisierungskräftiges Feindbild entdeckt und im Grunde auch geschaffen hat. Ein solches Feindbild ist auch deshalb so wichtig, weil die CDU derzeit nicht gerade in eigenen spannenden Ideen ertrinkt.

Dabei waren die Grünen gerade in Hessen ein sehr geschmeidiger Koalitionspartner und alles andere als eine Verbotspartei. Die größte Ironie dabei ist, dass jetzt die neue CDU/SPD-Regierung insgesamt für eine repressivere Politik steht und ja auch das Gendern verbieten will.

hessenschau.de: Wo verläuft die Grenze zwischen einem etwas konservativeren Kurs zum Populismus?

Biebricher: Beim Thema Gendern ist das Problem gut erkennbar. Denn die CDU macht sich mit der Position und mit dem Eifer, mit dem sie das verfolgt, komplett mit der AfD gemein. Sie lässt sogar den Eindruck zu, dass man sich von ihr hat treiben lassen.

Die Gefahr für die CDU, sehr nahe an AfD-Positionen zu rücken, ist bei vielen solcher kulturkämpferischen Themen groß.

hessenschau.de: Die AfD hat das bisher beste Landtagswahlergebnis in Westdeutschland geholt und ist sogar Oppositionsführerin. Es könnte doch ein guter Dreh von Herrn Rhein sein, bei einem insgesamt gemäßigten Kurs ab und zu symbolträchtig rechts zu blinken, ohne gleich die Spur zu wechseln.

Biebricher: Vor einer solchen Taktik kann man nur warnen. In anderen Ländern lässt sich beobachten, dass sie nicht sehr erfolgreich ist. In dem Moment, da die Rhetorik übernommen wird, ohne dass ein rechtsgerichteter Kurs folgt, hat es den gemäßigt Konservativen bei Wahlen geschadet. Viele Wähler aus eher rechtsorientierten Milieus sind dann enttäuscht, weil Worten keine Taten folgen.

hessenschau.de: Die Konservativen hierzulande scheinen doch sehr gewappnet gegen rechtspopulistische Anwandlungen. Die CDU und Rhein halten weiten Abstand zur AfD.

Biebricher: Es gibt hier natürlich Strukturen in der Christdemokratie, die sie gefestigt erscheinen lassen. Aber wenn man sich in Europa umschaut, würde ich meine Hand dafür nicht ins Feuer halten. Was die Wähler betrifft: Es hängt entscheidend vom Angebot der Parteien ab, wie sich das Wahlverhalten entwickelt.

Von der Symbolpolitik des Genderverbots abgesehen, kann ich da im Regierungsprogramm für Hessen keine eindeutigen Fehler identifizieren. Aber wenn man schon als große Koalition antritt und von einer historischen Krisensituation spricht, dann hätte man sich doch mit einer ganz anderen, ehrlichen Ansprache an die Menschen richten müssen.

hessenschau.de: Eine Art Blut-, Schweiß- und Tränenrede?

Biebricher: Es gibt da kein Patentrezept. Aber man muss schon deutlich machen, dass es etwa in der Energie- und Klimapolitik nicht immer so weiter geht und dass auch bestimmte Zumutungen nicht ganz vermieden werden können. Es gibt in der Bevölkerung sehr wohl die Bereitschaft zu Veränderungen, wenn es mit einer Perspektive verbunden ist.

Formular

hessenschau update - Der Newsletter für Hessen

Hier können Sie sich für das hessenschau update anmelden. Der Newsletter erscheint von Montag bis Freitag und hält Sie über alles Wichtige, was in Hessen passiert, auf dem Laufenden. Sie können den Newsletter jederzeit wieder abbstellen. Hier erfahren Sie mehr.

* Pflichtfeld

Ende des Formulars

 

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen