Auf dem Frankfurter Römerberg fand eine Kundgebung gegen rechts statt.

Politikwissenschafter Claus Leggewie von der Universität Gießen begrüßt die Massenproteste gegen Rechtsextremisten. Von einem AfD-Verbot hält er zum jetzigen Zeitpunkt wenig: "Das würde viele AfD-Anhänger noch zu einer Märtyrerrolle inspirieren."

Audiobeitrag

Audio

Interview mit Claus Leggewie: "Brandmauer jetzt mal wirklich hochziehen"

Claus Leggewie
Ende des Audiobeitrags

Breite Teile der Gesellschaft sind am Wochenende für die Demokratie auf die Straße gegangen, in Hessen waren es mehr als 70.000 Menschen. Auch in dieser Woche wird wieder gegen Rechtsextremisten demonstriert: am Dienstag zum Beispiel auf dem Karolinenplatz in Darmstadt, am Donnerstag in Wiesbaden und am Samstag in Michelstadt.

Nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche über ein Geheimtreffen der AfD mit Neonazis und Unternehmern in Potsdam entbrannte eine neue Diskussion über den Umgang mit der Partei. Politikwissenschafter Claus Leggewie, Inhaber der Ludwig-Börne-Professur an der Universität Gießen, spricht im Interview von "einer demokratischen Reaktion der Mitte auf die Pläne der AfD". Von CDU und CSU erwartet er, dass sie "die Brandmauer jetzt wirklich mal hochziehen."

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen

hessenschau.de: Herr Leggewie, Sie haben nach Bekanntwerden der Correctiv-Recherche eine Massenmobilisierung gegen die AfD gefordert. Hat diese Ihrer Ansicht nach stattgefunden?

Claus Leggewie: Ja, unbedingt. Ich bin sehr erfreut und auch überrascht über die Größe der Demonstrationen. Und ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass viele aufgewacht sind und den wahren Charakter der AfD erkannt haben: Sie also weder verharmlosen, noch als Protestpartei nutzen.

Ich glaube, hier ist tatsächlich ein Schalter umgelegt worden. Und wir sind an einen gewissen politischen Kipppunkt gekommen. Auf der einen Seite, und das sieht man schon in den Umfragen, kann die AfD in einer Art Trotzreaktion erst mal noch weiter gewinnen. Sie kann aber auch mittelfristig bis zu den anstehenden Wahlen verlieren.

hessenschau.de: Viele Menschen aus unterschiedlichen politischen Lager haben gegen rechts demonstriert. Meinen Sie, dass wird diejenigen beeindrucken, die die AfD wählen?

Leggewie: Das kommt darauf an. Es gibt natürlich eingefleischte AfD-Mitglieder und Funktionäre. Ich erinnere daran, dass allein im letzten Jahr 10.000 neu in die Partei eingetreten sind. Die werden das nicht revidieren, bloß weil jetzt andere auf der Straße sind. Und es gibt auch eingefleischte AfD-Sympathisanten, die für keinerlei rationales Argument überhaupt noch zugänglich sind.

Aber es gibt auch eine große Masse von Menschen in Deutschland, die nach Orientierung sucht. Und für diese Menschen ist es jetzt weniger bedeutsam, dass man etwas gegen die AfD tut, sondern dass sich hier eine Demokratie gegen einen antidemokratischen Versuch von rechts wehrt.

Das heißt, es geht nicht nur darum, die AfD als Gegner noch einmal deutlich zu machen. Sondern es geht darum, sich schützend vor unsere Lebensformen namens Demokratie zu stellen. Es gibt hier eine große demokratische Reaktion der Mitte auf das, was die AfD vorhat.

Bildergalerie

Bildergalerie

Tausende demonstrieren gegen rechts

Ende der Bildergalerie

hessenschau.de: Ein Wochenende voller Demonstrationen kann auch schnell wieder in Vergessenheit geraten. Was sollte denn Ihrer Ansicht nach jetzt passieren?

Leggewie: Ich fange mal mit der CDU/CSU an. Die CDU/CSU hat in den letzten Wochen und Monaten der AfD sehr viel nach dem Mund geredet. Und sie muss die Brandmauer, die sie selbst immer wieder hochzuziehen meint, jetzt wirklich mal hochziehen. In der CDU-Fraktion im Bundestag, aber vor allen Dingen in den Landtagen und Kommunalparlamenten sind viele, die notfalls auch mit der AfD koalieren könnten.

Es gibt in der CDU aber auch sehr viele Leute, die den etwas nachgiebigen Stil des Parteivorsitzenden Friedrich Merz sehr stark kritisieren: Sie wissen, was in Europa passiert ist, dass viele christdemokratische und konservative Parteien von der extremen Rechten regelrecht aufgesaugt worden sind.

Nehmen Sie Forza Italia und die Christdemokraten in Italien, die heute bei Meloni gelandet sind. Nehmen Sie die Vereinigten Staaten, wo sich die Republikaner vollkommen in der Hand eines erklärten Diktaturanwärters namens Donald Trump befinden.

Das wissen die meisten Unionsabgeordneten, und sie befolgen hoffentlich das alte Rezept von Heiner Geißler, dass man denen nicht nach dem Mund redet. Ganz einfach, weil dann am Ende immer das Original, nämlich Rechtsparteien, gewählt werden.

hessenschau.de: Dass das Original, wie sie sagen, überhaupt attraktiv ist für Teile der Bevölkerung, liegt ja möglicherweise daran, dass den Menschen bestimmte Themen unter den Nägeln brennen. Und sie der Meinung sind, dass die anderen politischen Parteien sich dieser Themen nicht hinreichend annehmen.

Leggewie: Man müsste sich den Themen zuwenden. Es kommt aber immer darauf an, wie man das macht: ob bei den jetzt geplanten Reformen des Asylrechts oder der Flüchtlingsaufnahme und dergleichen.

Ankündigungen sind erst einmal nutzlos. Das heißt, die stärken nur den Verdacht, dass die Regierung nur handelt, weil die Opposition - also in diesem Fall die AfD - auf ein Defizit hingewiesen hat. Das heißt, man muss hier tatsächlich liefern und nicht nur ankündigen, sondern auch handeln. Das muss man aber auf legalem Wege tun, rechtsstaatlich. Und das muss man humanitär tun und politisch pragmatisch.

hessenschau.de: Es wird über ein Verbot der AfD diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Leggewie: Davon halte ich nicht besonders viel. Erstens mal demokratietheoretisch. Man kann einen so starken Mitbewerber nicht einfach per Verbot aus dem Wettbewerb kicken. Das würde viele AfD-Anhänger noch zu einer Trotzreaktion oder einen Märtyrerrolle inspirieren.

Und außerdem würde es im Moment ja gar nichts nutzen. Ich sprach bereits von dem Kipppunkt, an dem die AfD sich befindet. Jetzt kann man sie tatsächlich packen und auch bekämpfen. Ein Verbot käme vielleicht in einem Jahr, vielleicht noch später in Betracht.

Jetzt haben wir die Europawahl, die absolut entscheidend ist. Und die Landtagswahlen, bis dahin nutzt eine Verbotsdebatte relativ wenig. Ich bin ziemlich sicher, dass der Bundestag einem solchen Antrag gar nicht zustimmen würde.

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen