Unterricht in einer vierten Klasse einer Grundschule. (Archivbild: 22.02.2021)  (picture alliance/dpa/dpa-Zentral)

Kultusminister Lorz feiert das Förderprogramm "Löwenstark" als Erfolg. Doch eine Befragung der Landesschülervertretung Hessen zeigt: Kaum einer nutzte das Programm. Die meisten kennen es nicht einmal.

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Rassismus an Hessens Schulen

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Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen bei Hessens Schülerinnen und Schülern. Rückstände gibt es nicht nur beim Lernstoff, sondern auch bei weichen Faktoren: Kreativität, Kommunikation, Bewegung. Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hat das erkannt und voriges Jahr das 150 Millionen Euro schwere Förderprogramm "Löwenstark" ins Leben gerufen. Der Minister feiert es als großen Erfolg. Die Vertretung der Schülerinnen und Schüler sieht das ganz anders.

An einer landesweiten Befragung der Landesschüler*innenvertretung (LSV) nahmen bis Ende Februar gut 10.000 Kinder und Jugendliche aller Schulformen und Regionen teil. Ein Ergebnis: Nur 3,5 Prozent hatten Angebote von "Löwenstark" genutzt. 62 Prozent sagten, dass sie das Programm überhaupt nicht kannten. "Aus unserer Sicht ist das Programm 'Löwenstark' ein Flop", sagte Landesschülersprecher Julian Damm bei der Vorstellung der Ergebnisse am Donnerstag in Wiesbaden.

Ministerium weist Kritik an "Löwenstark" zurück

Für Kultusminister Lorz zeichnet die LSV-Umfrage ein verzerrtes Bild. "Die Einschätzung können wir nicht teilen", teilte einer seiner Sprecher auf hr-Anfrage mit: "Im Gegenteil: 'Löwenstark' ist ein sehr erfolgreiches Programm zur Unterstützung der Schülerinnen und Schüler." Bei der Kompensation coronabedingter Lernrückstände wirke das Landesprogramm maßgeblich. Deshalb werde es in diesem Schuljahr unvermindert fortgeführt.

Förderprogramme hin oder her, Hessens Schülerinnen und Schüler treibt noch mehr um. So nahm die psychische Belastung seit Corona deutlich zu, wie aus der LSV-Befragung hervorgeht. Schule und Elternhaus, Lernen und Freizeit - gerade in Lockdown-Zeiten sei das alles miteinander verschwommen.

Von denen, die ein Gymnasium besuchen, gaben 90 Prozent an, die Schule stelle für sie eine psychische Belastung dar. Der Druck sei hoch oder extrem hoch, sagten vier von zehn Gymnasiasten. Zahlen für Kinder und Jugendliche an anderen Schulformen stellte die LSV am Donnerstag nicht vor.

Bemängelt werden auch zu wenige Schulpsychologen

Die Ausnahmesituation hatte konkrete Folgen: Schülerinnen und Schüler verpassten Unterricht wegen Depressionen, Angst- oder Essstörungen. In Corona-Zeiten habe all das zugenommen, berichtete Landesschülersprecher Mika Schatz. Details kenne man zwar nicht aus der eigenen Befragung. Doch die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) habe das schon voriges Jahr belegt, sagte Schatz.

Die LSV Hessen fordert daher mehr Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter. Rechnerisch komme ein Schulpsychologe auf 6.300 Schüler. Das seien viel zu wenige, kritisierte Landesschülersprecherin Pia Rosenberg bereits am Mittwoch.

Besser, eine Psychologin oder ein Psychologe käme auf nur 5.000 Schüler. Das entspreche zudem einer Vorgabe der Kultusministerkonferenz (KMK), ergänzte Rosenberg am Donnerstag. In einem späteren Interview mit der hessenschau räumte LSV-Sprecher Julian Damm allerdings ein: Diese Forderung sei aufgrund des Mangels an Fachkräften derzeit nicht zu erfüllen und "unrealistisch".

Rassismus ein verbreitetes Problem

Die Landeschüler*innenvertretung stellte für ihre Erhebung auch Fragen zu Rassismus an Schulen. Den Antworten zufolge ist das inzwischen ein weit verbreitetes Problem. 70 Prozent der Befragten hätten angegeben, Rassismus entweder am eigenen Leib oder zumindest als Zeuge erlebt zu haben - wobei die meisten von ihnen ihr Kreuz bei der Antwortmöglichkeit "selten" setzten. Maßgeblich sei dabei das subjektive Empfinden gewesen, keine objektiven Kriterien, erläuterten die LSV-Sprecher am Donnerstag.

"Besonders problematisch ist es, wenn Rassismus von Lehrkräften ausgeht", sagte Mika Schatz. Und das sei immerhin bei jedem vierten der angegebenen Vorfälle so gewesen. Gründe für Diskriminierung seien Aussehen, Herkunft, Sprachvermögen und Religion.

GEW: Lehrer besser sensibilisieren

Die LSV-Sprecher berichteten als Beispiel vom Fall einer Jugendlichen aus Rüsselsheim. Bei ihrem Schülerpraktikum an einer Grundschule habe die Schulleitung sie aufgefordert, ihren Hijab, ihr Kopftuch, abzunehmen. Ansonsten könne sie das Praktikum nicht fortsetzen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen nimmt das Problem ernst. Man müsse Lehrerinnen und Lehrerinnen in der Aus- und Weiterbildung stärker für Formen von Rassismus sensibilisieren, sagte die stellvertretende GEW-Vorsitzende Simone Claar dem hr.

Weitere Informationen

LSV-Umfrage

Für ihre Befragung hat die Landesschüler*innenvertretung Hessen von November 2021 bis Februar 2022 rund 80.000 Schüler in Hessen angeschrieben. Außer Grundschulen waren alle Schulformen eingebunden. Knapp 10.000 Schüler schickten den Fragebogen zurück, gut die Hälfte davon aus den Jahrgangsstufen 11 und 12.
Ausgewertet und gewichtet wurden die Antworten vom IMC Marketing Institut. Finanziert hat die Umfrage das Staatliche Schulamt Gießen, bei dem die Schülervertretung angesiedelt ist. Die LSV Hessen vertritt nach eigenen Angaben 800.000 Schülerinnen und Schüler.

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Hinweis: Nach der Veröffentlichung dieses Beitrags hat die Landesschülervertretung eingeräumt, dass die von ihr gewünschte Zahl an Psychologen für die Schulen wegen des Fachkräftemangels nicht zur Verfügung stehe. Wir haben dies in einer zweiten Version ergänzt.

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