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"Es hat mich gestärkt": Erzieherin Sarah Meininghaus über ihr Auslandspraktikum

Im linken Bildvordergrund: Kopf einer lachenden jungen Frau mit Brille. Im rechten Bildhintergrund Teil einer schroffen Steilküste und Meer.

Sarah Meininghaus aus Frankfurt hat einen Teil ihrer Ausbildung zur Erzieherin in Dublin verbracht. So viele Azubis wie möglich sollen nach dem Willen der EU-Kommission Auslandserfahrung sammeln. Doch nur wenige tun es bisher. Woran das liegt und wie es klappen kann.

Die Paraden zu Halloween, der Kerzenschein beim hinduistischen Lichterfest Diwali: Wie international Irlands Hauptstadt Dublin ist, hat Sarah Meininghaus am meisten beeindruckt. Die 23-Jährige aus Frankfurt hat dort aber keinen Urlaub gemacht, sondern einen Teil ihrer Ausbildung zur Erzieherin.

Sechs Monate hat Meininghaus in einer irischen Kita, die dort "pre-school" heißt, Kinder zwischen zwei und vier Jahren betreut. Ein Auslandspraktikum, das sie mithilfe des EU-Programms Erasmus+ finanziert hat.

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"Ich bin in der Kindheit nicht oft verreist - und das war in Ordnung", sagt Meininghaus. "Aber jetzt die Möglichkeit zu haben, ein halbes Jahr von zu Hause weg zu sein, auf mich allein gestellt, und dabei etwas für meinen Fachbereich zu lernen, das hat mich gereizt."

Kita in Irland - ein bisschen wie Schule

Tatsächlich fühlt sich Kita in Irland ein bisschen wie Schule an, stellte Meininghaus dort fest - und nicht nur wegen der "school" im Namen: "Der Tag ist viel getakteter und vorausgeplant, wie mit einem Stundenplan", erinnert sie sich.

Dass es pro "classroom", also pro Gruppe, meist nur eine Erzieherin gab, war ungewohnt für die Frankfurterin. "In meiner Gruppe waren neun Kinder - da habe ich erstmal geschluckt", sagt sie. Andererseits übernahmen zwei Managerinnen Telefonate und kümmerten sich um Übergaben - eine Hilfe, die Meininghaus aus Kitas in Deutschland nicht kannte.

Erasmus+ ist ein Programm der EU, das Auslandsaufenthalte fördert. Junge Menschen sollen im Ausland neue Fähigkeiten in ihrem Job lernen und sich so auf den internationalen Arbeitsmarkt vorbereiten. Ein Auslandspraktikum mit Erasmus+ kann zwischen zwei Wochen und zwölf Monaten dauern. Laut Berufsbildungsgesetz dürfen Auslandspraktika maximal ein Viertel der Ausbildungszeit dauern. Bei einer dreijährigen Ausbildung wären das bis zu neun Monate. Mehr Infos gibt es hier und hier.

  • Zielland: Wo gibt es meinen Beruf in ähnlicher Form? Wie heißt er dort? Welche Sprache kann ich oder will ich verbessern?
  • Erlaubnis vom Ausbildungsbetrieb: Stellt mein Betrieb mich für die gewünschte Zeit frei?
  • Zeitpunkt: Empfohlen wird oft der Zeitpunkt nach der Zwischenprüfung, oder gleich nach Ende der Ausbildung
  • Betrieb im Zielland finden: Dabei können z.B. Handelskammern im Zielland, die IHK oder die eigene Berufsschule helfen - mit ihrem Netzwerk an Kooperationspartnern.
  • Finanzierung: Erasmus+ Förderung beantragt die Berufsschule. Macht sie bei dem Programm nicht mit, kann die Mobilitätsberatung der hessischen Wirtschaft helfen. Was bei Erasmus+ alles bezahlt wird, steht hier.
  • Bewerbung beim Betrieb im Zielland: Auch dabei kann die Berufsschule helfen.

Manchmal kam Besuch von Außerhalb in die Kita: Kooperationspartner wie etwa eine Farm, die den Kindern ein Lamm zeigte, erzählt Meininghaus. "Oder eine Archäologin, die einen Dinosaurier-Zahn mitgebracht hat - das fand ich sehr schön." Ideen wie diese hat die angehende Erzieherin mit zurück nach Frankfurt genommen.

Sarah Meininghaus ist eine von 1.411 hessischen Azubis, die 2023 im Rahmen ihrer Ausbildung mit der EU-Förderung im Ausland waren.

Im Ausland lernen: Nur was für Studis?

Konditoren, die in französischen Betrieben Blätterteig-Rezepte ausprobieren oder Goldschmiedinnen, die in Spanien mit 3D-Technik arbeiten: Die Zahl junger Hessinnen und Hessen, die Deutschland während ihrer Lehre verlassen, ist über die Jahre gewachsen - ganz allmählich. Und trotzdem sind solche Auslandsaufenthalte unter Azubis noch längst nicht so verbreitet wie unter Studierenden.

2022 gingen nur halb so viele Auszubildende (1.258) wie Studierende (2.588) aus Hessen ins Ausland. Dabei ist es erklärtes Ziel der EU-Kommission, dass Azubis in Europa mobiler werden und den europäischen Arbeitsmarkt kennen lernen. Allerdings gibt es in Hessen auch mehr als doppelt so viele Studierende (rund 200.000) wie Auszubildende (85.353, Stand 2022).

Doch Azubis begegnen auf dem Weg ins Ausland mehr Hürden als zum Beispiel Studierenden. Das habe zum einen mit dem Ausbildungssystem zu tun und zum anderen mit dem berühmt-berüchtigten Fachkräftemangel, sagen Menschen, die regelmäßig hessische Azubis ins Ausland vermitteln.

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„ Hinterher zu merken, dass man selbst schwierige Momente bewältigen konnte, gibt Zuversicht und Stärke.“ Christine Ostermann, Lehrerin aus Frankfurt Christine Ostermann, Lehrerin aus Frankfurt
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Berufsschullehrerin Christine Ostermann hilft seit sieben Jahren Azubis dabei, Praktika in ausländischen Betrieben zu finden und zu organisieren. An den Beruflichen Schulen Berta Jourdan in Frankfurt unterrichtet die 48-Jährige sozialpädagogische Fächer sowie Politik und Wirtschaft - und sie ist zuständig für das Programm Erasmus+.

Mit dem EU-Förderprogramm hat Ostermann schon angehende Sozialpädagoginnen auf Studienfahrt nach Frankreich geschickt, Hauswirtschafter zum Praktikum nach Griechenland oder eben Erzieherinnen-Azubis wie Sarah Meininghaus nach Irland.

Neben ihrem Unterricht hilft sie, Verträge mit ausländischen Betrieben zu schließen und Lernziele festzuhalten. Außerdem bereitet sie die Lernenden auf die Zeit allein im Ausland vor: "Ich sage ihnen, dass man eine positive Haltung auch gegenüber Überraschungen einnehmen sollte", erzählt sie. "Und hinterher zu merken, dass man selbst schwierige Momente bewältigen konnte, gibt viel Zuversicht und Stärke."

Reisen bildet, auch persönlich

Vom Blick über den Tellerrand sei die Lehrerin "sehr überzeugt", sagt sie. "Wir sehen einfach, dass die Lernenden sich persönlich und beruflich enorm weiterentwickeln und durch den Vergleich der Berufswelten sehr viel Input mitnehmen, den sie für ihre Arbeit hier in Deutschland nutzen können."

Doch für Ostermann gibt es noch einen anderen, gesellschaftspolitischen Grund, warum junge Menschen etwas von Europa sehen sollten: "Leute, die selbst im Ausland waren", glaubt sie, "zeigen eine viel größere Bereitschaft, sich auch für ein freundliches Miteinander einzusetzen." Sie entwickelten "eine große Offenheit gegenüber unvorhergesehenen Situationen, anderen Menschen - und eine Bereitschaft, sich verstehen zu wollen." Gerade davon brauche es mehr.

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Die EU-Kommission willl erreichen, dass bis 2030 mindestens 15 Prozent aller Auszubildenden einen Auslandsaufenthalt absolviert haben. Wie weit der Weg dahin ist, zeigt schon der Blick auf die hessische Quote: Nach Angaben der Statistik-Ämter von Bund und Land gab es 2022 in Hessen 85.353 Azubis. Im selben Jahr gingen laut der Nationalen Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NABIBB) 1.258 Azubis mit Erasmus+ ins Ausland. Das ist ein Anteil von unter 1,5 Prozent.

Hilfe, mein Betrieb macht nicht mit!

Auch Christine Ostermann sieht, dass der Weg ins Ausland für Azubis nicht immer einfach ist. Während Studierende sich nur mit ihrer Uni abstimmen müssen, brauchen Azubis in der Regel die Erlaubnis ihres Ausbildungsbetriebs. Dieser muss sie für Wochen oder sogar Monate freistellen, aber gleichzeitig das Ausbildungsgehalt weiter bezahlen. Das kann oder will sich nicht jeder Betrieb leisten.

"Wenn man einen kleinen Ausbildungsbetrieb hat, der nur aus drei, vier Personen besteht und nur einen Auszubildenden hat", sagt Ostermann, "dann reißt es ein Loch auf, wenn man diesen gehen lässt". Einige Betriebe lehnten Auslandsaufenthalte daher ab.

Fachkräftemangel verhindert Reisen

Vera Tersteegen redet öfter auf skeptische Chefs ein. Sie ist Mobilitätsberaterin bei der Koordinierungsstelle der hessischen Wirtschaft und hat mit Auszubildenden aus allen möglichen Bereichen zu tun. An sie wenden sich zum Beispiel Azubis, deren Berufsschule selbst keine Auslandsaufenthalte organisiert.

"Es gibt Betriebe, die sagen, das ist jetzt nicht unsere Priorität", sagt Tersteegen. Dass dies je nach Situation im Betrieb auch verständlich sei, ist ihr wichtig zu betonen. Das Problem betreffe auch nicht nur kleine Handwerksbetriebe: Immer wieder begegneten ihr auch große Unternehmen, die Ausgabenstopp hätten oder unter dem Fachkräftemangel litten und deshalb Auslandsaufenthalte ihrer Azubis ablehnten.

Statistik führe sie nicht, sagt Tersteegen. Aber sie schätzt, dass rund die Hälfte der Azubis, die sich konkret für einen Auslandsaufenthalt interessieren, diesen auch umsetzen können.

Wie man den Chef überzeugt

Einfach den Urlaub zu nutzen, um in der Zeit an Erasmus+ teilzunehmen, verbietet das EU-Programm. So lässt sich ein Veto des Chefs also nicht umgehen. Doch es gibt andere Möglichkeiten.

Gute Argumente können helfen, sagt Mobilitätsberaterin Tersteegen. Sie versucht Betrieben klar zu machen, welchen Nutzen sie von den Auslandserfahrungen ihrer Azubis haben: von neuen Fachkenntnissen über mehr Selbständigkeit bis hin zu mehr Zufriedenheit im Job.

"Der Aulandsaufenthalt kann ein Werkzeug und Werbemittel sein, um die Qualität als Ausbildungsbetrieb zu steigern und Mitarbeiter an sich zu binden", sagt Tersteegen - gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Für Azubis, die ihre Chefs überzeugen wollen, haben die EU, das Bildungsministerium und die Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung (NABIBB) online eine Argumentationshilfe zusammengestellt.

Wenn es mit dem Auslandspraktikum nicht klappt, muss der Reise-Traum nicht platzen. Weitere Möglichkeiten - außerhalb von Erasmus - in einem anderen Land zu lernen und zu arbeiten sind zum Beispiel:

  • Au Pair
  • Sprachreise
  • Work and Travel
  • Freiwilligendienst

Auch ein Austausch kann das Eis brechen. Denn: "Manchmal kommt die Frage: Bekommen wir dann auch jemanden?", sagt Tersteegen. Es sei auch möglich, dass Betriebe erst einmal einen ausländischen Azubi aufnehmen, um zu sehen, wie so etwas läuft. Allerdings brauche es Personal, wie das Team der Mobilitätsberatung, das solche Austausch-Azubis während ihrer Zeit in Deutschland betreut und die Handwerksbetriebe entlastet. Dieses sei aber rar.

Lässt sich ein Betrieb so gar nicht überzeugen, haben Azubis noch ein Ass im Ärmel: den Zeitpunkt ihrer Reise. Denn Erasmus+ fördert Auslandsaufenthalte nicht nur während der Ausbildung, sondern auch noch unmittelbar danach.

Das Problem mit der Vergleichbarkeit

Sarah Meininghaus ist in ihrem letzten Ausbildungsjahr nach Dublin gereist. Ganz reibungslos lief die Reiseplanung auch für sie nicht, erzählt sie. "Es war kniffelig, die Unterkunft und den Praktikumsplatz zu finden." Zwar existiert die Bezeichnung "Kindergarten" auch im Englischen, aber erst als sie realisierte, dass sie nach "Schools", also "Schulen" und genauer "Pre-Schools" suchen muss, fand sie einen passenden Praktikumsplatz.

Und noch etwas war für die Auszubildende herausfordernd: "Mein schulisches System auf Englisch wiederzugeben, damit ich die Rückmeldungen und Bewertungen bekomme, die ich brauche."

Damit steht Meininghaus nicht allein da. Die unterschiedlichen Ausbildungssysteme seien - neben dem Fachkräftemangel - eine weitere Hürde, die Azubis häufig auf dem Weg ins Ausland begegnet, sagt Florian Schöll. Er ist Geschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main.

Fleischer ist nicht gleich Fleischer

"Es liegt an den gewachsenen Strukturen", sagt Schöll. Während Uni-Studiengänge als Bachelor und Master zwischen EU-Staaten inzwischen leicht anerkannt würden, seien Berufsausbildungen oft sehr unterschiedlich aufgebaut. "Den Beruf Fleischer gibt es in vielen Ländern, aber teilweise ist die Ausbildung nicht staatlich organisiert, teilweise ist sie sehr kurz oder wird ohne Praxisphasen rein schulisch vermittelt", erklärt Schöll. Das passe mit dem deutschen Ausbildungssystem dann nicht immer zusammen.

Eine einfache Lösung für dieses Problem gibt es nicht. Was hilft, ist vor allem eine gute Recherche, wie der eigene Job im Zielland aussieht, wie er heißt und wie man ihn dort lernt. Dabei können die Berufsschule, die Mobilitätsberatung oder auch die Handels- und Handwerkskammern in Deutschland und im Zielland helfen.

Etwa ein Jahr im Voraus sollten Azubis mit der Planung anfangen, wenn sie länger ins Ausland wollen, rät Christine Ostermann. Für kurze Reisen von drei oder vier Wochen reiche ein halbes Jahr.

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„Das Auslandspraktikum hat mich in meiner Rolle als Erzieherin gefestigt.“ Sarah Meininghaus, Auszubildende aus Frankfurt Sarah Meininghaus, Auszubildende aus Frankfurt
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Selfie der angehenden Erzieherin Sarah Meininghaus in Irland vor einer roten Telefonzelle.

Die Mühe lohne sich am Ende, ist Sarah Meininghaus überzeugt. Inzwischen ist sie im letzten Teil ihrer Ausbildung zur Erzieherin angekommen - dem Anerkennungsjahr in einer Frankfurter Kita. Dass sie in Zukunft mal wieder im Ausland arbeiten wird, kann sie sich gut vorstellen. Nicht für immer, sagt sie - aber für eine Weile.

Wenn sie auf ihre sechs Monate Praktikum in Dublin zurückblickt, dann fühlt sie sich stark: "Es hat mich in meiner Rolle, die ich als Erzieherin einnehme, gefestigt."