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Trotz Abschiebeverbot in den Iran zurückgeflogen

Ein Flugzeug startet, fotografiert durch einen Stacheldrahtzaun.

Trotz eines Abschiebestopps in den Iran sind am Frankfurter Flughafen in den vergangenen Wochen zwei Menschen in den Iran zurückgewiesen worden, weitere warten auf eine Entscheidung. Besonders die Umstände im Fall einer zurückgewiesen Frau alarmieren Pro Asyl und Flüchtlingsrat.

Im Dezember 2022 einigten sich die Innenminister der Länder angesichts der dramatischen Menschenrechtslage im Iran auf einen Abschiebestopp in das Land. Trotzdem wurden im März zwei Menschen am Frankfurter Flughafen in den Iran abgeschoben - oder vielmehr zurückgewiesen, wie es juristisch korrekter heißt.

Das Bundesinnenministerium bestätigte das auf hr-Anfrage. Da es sich um Zurückweisungen handle, nicht um Abschiebungen, seien diese nicht vom Beschluss der Innenministerkonferenz zum Abschiebestopp gedeckt, heißt es in der Antwort.

Der Unterschied: Wer noch nicht offiziell in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, kann gar nicht abgeschoben, sondern nur zurückgewiesen werden. Das sogenannte Flughafenverfahren ermöglicht es, ein Asylverfahren im Transitbereich vor der Einreise durchzuführen: Entweder, wenn eine Person aus einem als sicher geltenden Herkunftsland eingereist ist, oder wenn sie sich nicht mit einem Pass oder Passersatz ausweisen kann.

Fluchtgrund: Androhung der Zwangsverheiratung

Bei den beiden zurückgewiesenen Menschen handelt sich um eine Frau und einen Mann. Aus den Verfahrensdokumenten, die dem hr vorliegen, gab die Frau gegenüber den Beamten an, dass sie sich für ihre Flucht aus Afghanistan einen iranischen Pass beschafft habe, mit dem sie von Teheran weiter nach Frankfurt geflogen sei.

Fluchtgrund sei gewesen, dass sie als unverheiratete Frau mit einem Taliban zwangsverheiratet werden sollte. Da die Frau keinen richtigen Pass vorweisen konnte, kam sie in das Flughafenverfahren.

Asylantrag als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt

Aus den Akten ist ersichtlich, dass die Frau bei den Behörden zunächst unter ihrem afghanischen Namen N. geführt wurde. Nach einer Befragung Ende Februar ändert sich das: Sie wird ab diesem Zeitpunkt als iranische Staatsbürgerin mit dem Namen S. geführt. Ihr Asylantrag wird als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt.

In der Begründung heißt es: "Es ist der Antragstellerin nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass es sich bei ihr um eine verfolgte afghanische Staatsangehörige handelt." Insgesamt habe sie sich "mit ihrem gesamten Verhalten unglaubwürdig gemacht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich bei der Antragsstellerin tatsächlich um eine (auch) iranische Staatsangehörige handelt."

Gerichte folgen BAMF-Entscheidung

Auch ein Eilantrag konnte eine Zurückweisung in den Iran nicht mehr verhindern. Das Verwaltungsgericht Frankfurt schloss sich der BAMF-Entscheidung an. Das Gericht merkte zwar an, dass rückblickend eigentlich kein Flughafenverfahren möglich gewesen wäre, weil der iranische Pass als das richtige Ausweisdokument behandelt wurde. Dies ändere jedoch nichts an der Gültigkeit der Entscheidung des BAMF.

Am 21. März wurde die Frau in einem Flugzeug in den Iran gebracht.

Bruder: Frau inzwischen nach Afghanistan abgeschoben

Wie der in Norddeutschland lebende Bruder der Frau, Reza N., dem hr am Mittwoch berichtet, sei N. vom Iran aus inzwischen weiter nach Afghanistan abgeschoben worden. Obwohl genau dies von den Behörden im Verfahren als nicht zu erwarten eingestuft wurde.

"Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll", sagt Reza N. "Es kann doch nicht sein, dass meine Schwester erst in den Iran und dann nach Afghanistan abgeschoben wird, zwei Länder, die lebensgefährlich für Frauen sind."

Reza N. sagt, er habe den Behörden zuvor auch angeboten, einen DNA-Test zu machen, um zu bestätigen, dass es sich um seine Schwester handle, doch darauf sei nicht eingegangen worden. Im Zuge des Eilantrags gegen die BAMF-Entscheidung hatten er, ein in Deutschland lebender Onkel sowie ein Freund des Onkels außerdem eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, dass es sich um die Schwester handle.

Pro Asyl und Flüchtlingsrat: "Krasse Fehlentscheidung"

Dass der Fall von N. trotz seiner Komplexität im Schnellverfahren entschieden wurde, bezeichnet Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl als "besonders bitter". In einer gemeinsamen Mitteilung an die Bundesinnenministerin Nancy Faeser appellieren Pro Asyl und der Hessische Flüchtlingsrat, die Frau zurück nach Deutschland zu holen.

Es sei eine "krasse Fehlentscheidung" und "ein Totalversagen" des BAMF und des Verwaltungsgerichtes, für das auch das Bundesinnenministerium die Verantwortung trage, heißt es in der Mitteilung. Als unverheiratete Frau sei die Betroffene in Afghanistan erneut der Willkür der Taliban ausgesetzt.

Innenministerium verteidigt Flughafenverfahren

Das Bundesinnenministerium weist die Kritik an der Entscheidung und an Flughafenverfahren zurück. Wie in allen Asylverfahren prüfe das BAMF sorgfältig "das materielle Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung des Grundrechts auf Asyl, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten".

Die geschehe im Flughafenverfahren genauso, wie in den Fällen, in denen die Ausländer eingereist sind. "Liegen die Voraussetzungen für die Schutzgewährung nicht vor, wird der Antrag abgelehnt", heißt es. Mit Bezug auf den konkreten Fall verweist das Ministerium darauf, dass die Einreiseverweigerung durch das Verwaltungsgericht Frankfurt bestätigt worden und damit rechtmäßig sei.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom 29. März befinden sich im Transitbereich des Frankfurter Flughafens derzeit noch drei weitere Erwachsene aus dem Iran, deren Asylentscheidungen noch ausstehen.

Linksfraktion: "Rote Linie überschritten"

Kritik an der Zurückweisung der Frau kommt inzwischen auch von der Linkspartei. "Mit der am Frankfurter Flughafen erfolgten Zurückweisung einer afghanischen Frau in den Iran haben die zuständigen Behörden eine rote Linie überschritten", sagte Elisabeth Kula, Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag. Sie forderte eine "Abschaffung der unzulänglichen Schnellverfahren am Flughafen und einen formellen Abschiebestopp in den Iran und Afghanistan".

Das fordert auch Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat. Schutzsuchende müssten einreisen dürfen, damit ihre Asylanträge im Inland sorgfältig geprüft werden. Der Fall von N. zeige, wie im beschleunigten Flughafenverfahren Fehlentscheidungen mit gravierenden Folgen passieren könnten.

Weitere Informationen

Was ist das Flughafenverfahren?

  • Das Flughafenverfahren ist ein Sonderverfahren im Asylrecht, das im Transitbereich von Flughäfen durchgeführt wird. Am Frankfurter Flughafen gibt es im Transitbereich ein Gebäude, in dem die Asylsuchenden für die Zeit des Verfahrens festgehalten werden.
  • Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Fall als "offensichtlich unbegründet" ablehnt, wird den Asylsuchenden die Einreise verweigert. Sie haben dann die Möglichkeit, mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht dagegen vorzugehen. Das Gericht muss innerhalb von 14 Tagen entscheiden.
  • In Fällen, die nicht als "offensichtlich unbegründet" entschieden werden, wird eine Einreise gestattet und ein reguläres Asylverfahren aufgenommen. Die Asylsuchenden werden dann vom Flughafen in eine Erstaufnahmeeinrichtung gebracht.
  • Laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag finden am Frankfurter Flughafen deutschlandweit die meisten Flughafenverfahren statt. Im Jahr 2022 waren es 270 Verfahren in Frankfurt, deutschlandweit 347.
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