Neue Linken-Landesvorsitzende: Christiane Böhm und Jakob Migenda zwischen ihren Vorgängern Petra Heimer und Jan Schalauske

Mit Christiane Böhm und Jakob Migenda an der Spitze will die hessische Linke für die Landtagswahl 2023 aus dem Stimmungstief kommen. Die Zustimmung für beide auf dem Parteitag in Dietzenbach war groß, der Wunsch nach alter Geschlossenheit auch.

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Linken-Landesparteitag in Dietzenbach

hessenschau vom 29.10.2022
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Ein Jahr vor der Landtagswahl hat die hessische Linke ein neues Führungsduo gewählt. Ein Parteitag in Dietzenbach (Offenbach) mit rund 170 Delegierten machte am Samstag die 61 Jahre alte Landtagsabgeordnete Christiane Böhm und den 28 Jahre alten Attac-Campaigner Jakob Migenda zu gleichberechtigten Co-Landesvorsitzenden.

Böhm erhielt 76,2 Prozent der Stimmen, Migenda 74,5 Prozent. Die beiden hatten keine Gegenkandidaten.

Die bisherigen Landeschefs Jan Schalauske und Petra Heimer waren nicht mehr zur Wahl angetreten. Schalauske hatte seinen Rückzug von der Parteispitze angekündigt, nachdem er Co-Chef der Landtagsfraktion geworden war. Heimer war seit 2018 Co-Vorsitzende, seit Sommer ist sie Landtagsabgeordnete.

Böhm: "Werden dringend gebraucht"

Angesichts der Krise der Partei sagte Böhm: "Es gilt jetzt, die Erfolgskurve wieder nach oben zu führen." Die in Hessen traditionell geschlossene Linke werde mit ihrem Eintreten für soziale Gerechtigkeit und gegen eine rechte Innenpolitik im Landtag "dringend gebraucht".

Böhm ist sozial- und gesundheitspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. Sie kam einst über DKP und PDS zur Linken, rechnet sich aber keiner der organisierten Parteiströmungen zu.

Migenda: "Nicht klein machen"

Ihr Partner im Führungsduo Jakob Migenda forderte die Partei auf, sich trotz ihrer aktuellen Probleme nicht klein zu machen. "Wir sind die Partei, die den Mindestlohn erkämpft hat", sagt er. Gemeinsam mit Gewerkschaft und anderen gesellschaftlichen Kräften könne man für die Menschen auch in der Energiekrise viel erreichen.

Migenda gehört zur Bewegungslinken. Sie will Differenzen der Strömungen in der Partei überwinden und misst außerparlamentarischen Aktionen und gesellschaftlichem Druck besondere Bedeutung bei.

Aufarbeitung in Gruppen

Vor der Wahl hatten die Delegierten mit großer Mehrheit einen Leitantrag mit dem Titel "Linkes Feuer der Solidarität gegen die soziale Kälte der Regierenden" verabschiedet. Großen Raum nahm – lange in zwei nach Geschlecht getrennten Gruppen hinter verschlossenen Türen – die Debatte über die #MeToo-Affäre um mutmaßlichen Sexismus und sexualisierte Gewalt in der Partei ein.

Zu den beschlossenen Konsequenzen zählen ein Leitfaden und Bildungsangebote. Eine Gruppe mit Vertrauenspersonen hatte die Partei als Folge der Vorwürfe bereits eingerichtet.

Der schmerzhafter Streit flammt nicht neu auf

Die Nachwuchsorganisation Linksjugend Solid forderte einen Fonds mit 10.000 Euro, aus dem mutmaßliche Opfer von Sexismus unterstützt werden sollen. Einer Mehrheit war das Anliegen aus rechtlichen Gründen zu unkonkret formuliert. Details sollen noch beraten werden.

Die heftigen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate rund um die Affäre wiederholten sich auf dem Parteitag aber nicht. Er war der erste nach Bekanntwerden der Vorwürfe. Unter anderem verließen die Mitglieder des Bundesvorstands der Linksjugend Solid, Riley Dubiel aus Wetzlar und Jay Hammes aus Offenbach, vormals Sarah Dubiel und Jakob Hammes, sowie die ehemalige Vize-Landesvorsitzende Marijana Schott die Partei.

Applaus im Stehen für Wissler

Auf die Affäre und die auch gegen sie erhobene Kritik ging Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler in ihrer Rede nicht mehr direkt ein. Am Ende erhielt sie anhaltenden Applaus, die meisten Delegierten standen dazu auf. Die Frankfurterin, die bis vergangenes Jahr die Landtagsfraktion geführt hatte, übte scharfe Kritik an der Krisenpolitik der Ampel-Regierung. Sie verlangte die sofortige Einführung eines Gaspreisdeckels und die Wiedereinführung staatlicher Strompreiskontrollen.

Wer sich für Verhandlungen zur Beendigung des "verbrecherischen Krieges" Russlands in der Ukraine ausspreche, "der betreibt keine Parteinahme für Putin", sagte Wissler. Mit Blick auf die Landtagswahl forderte sie Geschlossenheit der Partei vor allem in Berlin. Die Linke habe bewiesen, wie wichtig sie im Landtag sei – nicht zuletzt, "um Schweinereien aufzudecken".

Das bezog sich aktuell auf die Veröffentlichung der als geheim eingestuften NSU-Akten am Freitag durch die Plattform "Frag den Staat" und das "ZDF Magazin Royale" von Jan Böhmermann. Auch andere Redner betonten, dies sei ein Erfolg der Landtagsfraktion, die erst auf die Existenz der Berichte gestoßen sei.

Im Stimmungstief

Die Linke befindet sich zurzeit bundesweit und auch in Hessen im Stimmungstief, trotz der Energiekrise und Inflation. Bei vier Landtagswahlen kam sie zuletzt nicht mehr in die Parlamente, beim jüngsten hr-Hessentrend kam die Partei auf drei Prozent.

So schlecht stand sie in Umfragen zuletzt vor elf Jahren da. Den Wiedereinzug in den Landtag würde sie so verpassen. Dort ist die Partei seit 2008 ununterbrochen vertreten - seit der Hessen-Wahl 2018, bei der die Linke auf 6,3 Prozent kam, mit elf Abgeordneten.

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