Im Bildvordergrund ein Schild mit dem Schriftzug "Aufklärung" - auf der Seite liegend. Im Hintergrund unscharf das Gebäude des Landtags.

Der Attentäter von Hanau war psychisch krank und schickte Sicherheitsbehörden wirre Schreiben. Trotzdem besaß er legal Waffen. Im Untersuchungsausschuss des Landtags bestritten Mitarbeiter der Waffenbehörde Versäumnisse – und bezogen doch heftig Kritik.

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Hanau-U-Ausschuss fragt nach Waffen und Umgang mit Opfern

hessenschau von 16:45 Uhr
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In Begleitung ihres Anwaltes nahm die Sachbearbeiterin der Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises im Plenarsaal des Landtags Platz. In der Sache, um die es ging, hatte die Staatsanwaltschaft wegen möglicher Pannen in der Abteilung Waffenwesen des Kreisordnungsamtes schließlich einmal ermittelt.

Die 64 Jahre alte Zeugin war am Montag geladen, weil nun der Untersuchungsausschuss des Landtags klären wollte: Wie kann es sein, dass der Attentäter die Waffen legal besaß, mit denen er vor drei Jahren neun Menschen mit Migrationshintergrund tötete, dann seine Mutter und schließlich sich selbst?

"Hätte man den Waffenbesitz verhindern können?", fragte der Abgeordnete Dirk Gaw (AfD) unumwunden. Und die Zeugin antwortete, was auch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich fand, als sie die Ermittlungen gegen Behördenmitarbeiter einstellte: "Mit dem Informationsstand, den ich damals hatte, hätte ich keine Möglichkeit gehabt." Die Angehörigen der Opfer hingegen sahen das anders.

Paranoid, rechtsextrem, legal bewaffnet

Als Tobias R. am 19. Februar 2020 zum vielfachen Mörder wurde, war er laut einem posthumen Gutachten paranoid-schizophren und rechtsextrem. Sicherheits- und Gesundheitsbehörden war er zuvor schon mehrfach aufgefallen: etwa 2002 mit einer kurzen Einweisung in eine Psychiatrie wegen seiner Psychosen, 2004 mit einer bei der Polizei in Offenbach gestellten, offensichtlich paranoiden Strafanzeige, 2008 mit dem Angriff auf einen Uni-Wachmann in Bayreuth.

Eine der Tatwaffen des Attentäters.

Eine Waffenbesitzkarte des Main-Kinzig-Kreises erhielt er später trotzdem. Ermittlungen wegen Drogenbesitzes oder Brandstiftung folgten, was bei Überprüfungen der Waffenbesitzkarte ebenso wenig eine Rolle spielte wie 2019, als er auch noch den "Europäischen Feuerwaffenpass" bekam, mit dem er zum Schießtraining in die Slowakei reiste.

Behörde erfuhr nichts

Von all dem erfuhr die Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises nach eigenen Angaben nichts. Bei einer Überprüfung der Erlaubnis für Tobias R. etwa stieß die zuständige Sachbearbeiterin demnach in den Akten lediglich auf drei alte Ermittlungsverfahren. Die hätten Zweifel an der gebotenen Zuverlässigkeit des Waffenbesitzers aber nicht begründen können.

Denn es sei um ein Zollvergehen, ein Drogendelikt und das Beziehen von Sozialleistungen gegangen. Und alle Verfahren seien schon Jahre zuvor eingestellt worden. Vorbestraft war der spätere Attentäter damit nicht.

Hinweise über den psychischen Zustand von Tobias R. gab es demnach auch nicht. Die Akte der bayerischen Gesundheitsbehörden mit dem Eintrag über den psychotischen Schub war ohnehin 2014 fristgemäß gelöscht worden. Und dass der Mann wenige Monate vor dem Anschlag der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und der Staatsanwaltschaft in Hanau Briefe schrieb, weil er von einem ominösen Geheimdienst überwacht werde? Bei der Waffenbehörde kam diese Information nach deren Angaben auch nicht an.

Schwerer Stand

Trotzdem hatte die seit 2018 für Tobias R.s Waffen zuständige Sachbearbeiterin bei der Zeugenbefragung des Untersuchungsausschusses einen schweren Stand. So erging es anschließend auch ihrem heutigen Vorgesetzten sowie der Vize-Landrätin Susanne Simmler (SPD) als zuständige Dezernentin und politisch Verantwortliche. "Die Arbeitsweise der Mitarbeiter in der Waffenbehörde des Main-Kinzig-Kreises war mangelhaft", kritisierte nach der Befragung Jörg-Uwe Hahn, der Obmann der FDP-Fraktion. Er war mit dieser Bewertung nicht alleine.

"Die Waffenbehörde sollte mit der Wahrnehmung ihrer Pflichten sorgfältiger umgehen", urteilte SPD-Obfrau Heike Hofmann. Auch Vanessa Gronemann von den Grünen beklagte, die Akte des späteren Täters sei schlecht geführt und unvollständig gewesen. Der Kauf einer zweiten Waffe sei nicht einmal korrekt in der Akte registriert und der Besitz somit illegal gewesen. Was die Abgeordnete außerdem bemängelte: Tobias R. hielt sich lange Zeit viel in München auf, und die Waffenbehörde wusste das.

Lieferschein über Waffenschrank

Anstatt die Sache an die dortigen Kollegen zu melden, hielt sich der Main-Kinzig-Kreis weiter für allein zuständig. So begnügte sich die Main-Kinzig-Behörde mit einem auf eine Münchner Adresse ausgestellten Lieferschein über einen Waffenschrank, um die ordnungsgemäße Aufbewahrung der Waffen als gewährleistet zu sehen.

Empörtes Unverständnis über ein solches Vorgehen der Behörde und die Verteidigungsstrategie ihrer Mitarbeiter äußerte CDU-Ausschuss-Obmann Michael Müller. "Ich finde ganz schrecklich, dass man sich auf Positionen zurückzieht, die rein formal begründet sind", sagte er. Das geschehe nur, um nicht sagen zu müssen, "wir hätten es nach München abgeben sollen".

"Verlasse mich auf die Sachbearbeiter"

Vize-Landrätin Simmler als zuständige Dezernentin zog sich auf den Standpunkt zurück: "Ich bin keine Juristin und keine Waffenexpertin. Ich verlasse mich da auf die Sachbearbeiter." Außerdem berief sie sich auf die Bewertung der Staatsanwaltschaft, als diese das Verfahren gegen Mitarbeiter des Kreises einstellte. Demnach wäre die Tat wohl nicht verhindert worden, wenn die Münchner Behörden eingeschaltet worden wären.

Susanne Simmler (SPD), Vize-Landrätin des Kinzig-Kreises, im Untersuchungsausschuss

Trotzdem hat der Landkreis sein Vorgehen in ähnlichen Fällen nach dem Attentat geändert: Die beiden Mitarbeiter sagten vor dem Untersuchungsausschuss, heute würde man sich in Fall eines fraglichen Wohnorts mit der anderen Waffenbehörde austauschen. "Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung", sagte der FDP-Abgeordnete Hahn.

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