2.800 Aktenordner, 55 Zeugen: Der Untersuchungsausschuss des Landtags zur Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke durch einen Rechtsextremen ist nach drei Jahren fast am Ende. An einem hässlichen Ende.

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Schwarz-grüner Bericht und drei Sondervoten

Linken-Obmann Torsten Felstehausen im Lübcke-Untersuchungsausschuss
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Es sollte die letzte von mehr als 40 Sitzungen der vergangenen drei Jahre sein. Doch beim Zusammentreffen des Lübcke-Untersuchungsausschusses im Landtag am Dienstag stellte sich heraus: Es wird in einer Woche noch eine allerletzte Sitzung geben.

Die Landtagsverwaltung muss offiziellen Angaben zufolge die Abschlussunterlagen nach Namen von Menschen durchsuchen, denen noch ein Recht zur Stellungnahme zustehen könnte.

Schuld ist die Fülle des Materials. Doch die Verschiebung des Abschlusses ist mehr als eine Formalie. Hinter ihr tun sich politische Abgründe auf. Denn statt eines gemeinsamen Abschlussberichts liegen wenige Monate vor der Landtagswahl nun vier unterschiedliche, derzeit noch geheime Versionen vor. So uneinig ist sich der Landtag.

Ein Entwurf, drei Sondervoten

Die Kernfrage des Ausschusses lautete: Unterliefen hessischen Sicherheitsbehörden Fehler, und hätte die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke im Sommer 2019 durch einen Rechtsextremisten gar verhindert werden können?

Dem Entwurf für einen Abschlussbericht aus der Hand der Regierungskoalition von CDU und Grünen begegnen SPD und FDP mit einem gemeinsamen eigenen Bericht. Rund 500 Seiten stark ist das sogenannte Sondervotum der beiden Oppositionsfraktionen.

Mehr als 200 Seiten umfasst das Fazit der Linken. Auch die AfD hat ihre eigenen Schlussfolgerungen zu Papier gebracht. Ihr reichten an die 15 Seiten.

Erst wurde die Gemeinsamkeit betont

Nach dem Mord hatten CDU, Grüne, SPD und FDP noch die Gemeinsamkeit aller Demokraten betont. Im Ausschuss sollte mit Gerald Kummer (SPD) nach einer Änderung des Untersuchungsausschussgesetzes erstmals ein Oppositionspolitiker den Entwurf eines Abschlussberichts verfassen. Und mit Hermann Schaus wurde erstmals sogar ein Abgeordneter der Linkspartei Vize-Vorsitzender des Gremiums.

Nun, da 2.800 Aktenordner durchforstet sowie 55 Experten und Zeugen befragt worden sind, liegen die Lager endgültig über Kreuz. Ein hässlicher Streit. Schwarz-Grün brachte die SPD zuletzt in Rage, weil sie deren Entwurf als völlig unbrauchbar zur Seite schoben und einen eigenen fabrizierten. Nun werfen die Grünen der SPD ein "unwürdiges Schauspiel" vor.

Vorsitzender: Es war "überwiegend sachorientiert"

In seiner Rolle als Ausschussvorsitzender bemüht sich der CDU-Rechtsexperte Christian Heinz zwar nun, das Positive hervorzuheben. "Die Beratungen und die Beweisaufnahme waren überwiegend sachorientiert", findet er. Das sei der Landtag den Angehörigen des Ermordeten auch schuldig gewesen.

Aber für Heinz wie die Familie Lübcke bleibt die bittere Erkenntnis: "Leider konnten sich die Fraktionen nicht auf einen gemeinsamen Bericht verständigen." Dahinter verbirgt sich, dass der Ton zuletzt immer heftiger wurde. Dahinter stehen unterschiedliche Bewertungen und nicht zuletzt strategische Absichten, die auch in den abschließenden Statements am Dienstag zum Ausdruck kamen. Die äußeren Pole sind CDU und Linke.

  • CDU: Keine schweren Fehler. Schon die Einsetzung des Ausschusses hielt die Union für unnötig. Sie verlor mit Lübcke einen Parteifreund, ist seit 1999 aber auch fürs Innenressort und den Kampf gegen rechts zuständig. Nach drei Jahren Ausschussarbeit bleibt CDU-Obmann Holger Bellino am Dienstag bei seiner ursprünglichen Meinung: "Der Mord an Dr. Walter Lübcke war nicht zu verhindern." Die Sicherheitsbehörden hätten den Täter schnell gefasst. Beim Verfassungsschutz habe man lediglich "an einzelnen Stellen weiteres Verbesserungspotenzial identifiziert".
  • Grüne: Unwürdiges Schauspiel. Der Koalitionspartner sieht die Arbeit des Verfassungsschutzes kritischer, hält sich dabei aber zurück und verteidigt den gemeinsamen Bericht mit der Union. Er unterscheidet sich laut Grünen-Obfrau Eva Goldbach kaum von der SPD/FDP-Version, es gebe "weitgehende inhaltliche Einigkeit in den wesentlichen Fragen". Doch die SPD führe "ein unwürdiges Schauspiel" auf. Sie habe berechtigte Kritik an ihrem Entwurf zurückgewiesen, um dann vieles vom schwarz-grünen Bericht zu kopieren.
  • SPD: Um Frage der Verantwortung gedrückt. Einen gemeinsamen Abschlussbericht verhinderte laut Fraktionschef Günter Rudolph, dass Schwarz-Grün sich der Frage der Verantwortung für fachliche und politische Fehler nicht stelle. Gerade der Verfassungsschutz sei in 20 Jahren der Zuständigkeit der CDU schwach aufgestellt und habe falsche Schwerpunkte gehabt. So sei es zur "katastrophalen Fehleinschätzung" gekommen, den späteren Mörder vom Radar zu nehmen.
  • FDP: Mehr Ausbildung, mehr Kontrolle. Vor allem im Verfassungsschutz müssten die Erkenntnisse des Ausschusses Folgen haben, meint auch FDP-Obmann Matthias Büger: in Form einer besseren Aus- und Fortbildung dort sowie von mehr Befugnissen der Parlamentarischen Kontrollkommission im Landtag. Der Fall Lübcke zeige, dass Mängel das Risiko falscher Gefahreneinschätzungen erhöhten.
  • Linke: Verfassungsschutz auflösen. In der Analyse ("multiples Versagen der Sicherheitsbehörden") stimmt die Linke weitgehend mit SPD und FDP überein. Aber sie will eine radikale Lehre daraus ziehen. Die Konsequenz dürften "nicht verschärfte Sicherheitsgesetze und mehr Eingriffsbefugnisse des Inlandgeheimdienstes sein, sondern dessen Auflösung", fordert ihr Obmann Torsten Felstehausen.
  • AfD: Optimierungsbedarf, aber keine Pannen. Auf gravierende Rechtsverstöße oder Pannen ist der Ausschuss laut AfD-Obmann Klaus Hermann nicht gestoßen: "Vor diesem Hintergrund erscheint es als sehr unwahrscheinlich, dass die Sicherheitsbehörden den Mord an Walter Lübcke hätten verhindern können." Gerade beim Verfassungsschutz müssten sich aber Strukturen und Arbeitsbedingungen bessern.

Dem Hanau-Ausschuss voraus

Sechs Fraktionen, ein Entwurf für den Abschlussbericht und drei konkurrierende Sondervoten: Trotz des Gezerres entdeckt der Vorsitzende des Lübcke-Untersuchungsausschusses noch etwas Erfreuliches: "Positiv ist, dass die Arbeit wie geplant rechtzeitig vor der Landtagswahl beendet werden kann", sagt Christian Heinz. Der parallel laufende Untersuchungsausschuss zur politischen Aufarbeitung des rassistischen Attentats von Hanau hat nicht einmal dieses Minimalziel erreicht.

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