Nancy Faeser und Uwe Becker auf blauer Fläche. Von rechts zeigt ein schwarzes Dreieck mit Spitze auf Faeser. Von links ein rotes Dreieck auf Becker.

Gut acht Monate vor der Landtagswahl werfen sich die Parteien gegenseitig einen unfairen Wahlkampf vor. Mittendrin: Frankfurts OB-Kandidat Becker von der CDU, der fleißig Geld an Sportvereine verteilte. Auch an SPD-Spitzenkandidatin Faeser gibt es Kritik.

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Wahlkampf: SPD wirft CDU Verfassungsbruch vor

hs 09.02.2023
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Es war kaum zwölf Stunden her, dass die Hessen-SPD Nancy Faeser als Spitzenkandidatin für die anstehende Landtagswahl am 8. Oktober nominiert hatte, da witterte ein Abgeordneter schon den ersten Skandal. Die Landesregierung mische sich in den Wahlkampf ein – und "hetze" gegen die SPD, twitterte Torsten Felstehausen, digitalpolitischer Sprecher der Linken im Landtag.

Der Gegenstand der Empörung war zwar schnell wieder verschwunden – ein in dem Netzwerk geteilter Inhalt, ein Retweet, der nach drei Minuten wieder gelöscht wurde. Doch der Text hatte es in sich: "Hessen steht mit Boris Rhein gut da. Wir brauchen keine gescheiterte Halbtagsinnenministerin von der SPD", war auf dem offiziellen Account der Hessischen Staatskanzlei zu lesen – weil sie den Tweet eines Accounts namens "Ali Wurstwasser" geteilt hatte.

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Versehentlich, wie ein Sprecher beteuerte. Die Staatskanzlei habe sich nicht in vergangene Wahlkämpfe eingemischt und werde das auch künftig nicht tun. Sie nehme ihre Neutralitätspflicht sehr ernst. Der Chef der Staatskanzlei, Axel Wintermeyer (CDU), fügte am Donnerstag hinzu, es handle sich vermutlich um technisches oder menschliches Versagen.

Ausrutscher oder doch unlautere Einmischung?

Also, alles nur ein Fall für die Kategorie #Mausgerutscht? Nicht ganz, wenn es nach der SPD geht. Die wirft der Landesregierung nämlich noch in anderen Fällen unerlaubten Eingriff in Parteien-Wahlkämpfe vor und hat dazu einen Dringlichen Berichtsantrag im Hauptausschuss des Hessischen Landtags gestellt. Darin geht es unter anderem um die Oberbürgermeister-Wahl in Frankfurt am 5. März.

Bekannt ist: Der CDU-Kandidat Uwe Becker bescherte den Frankfurter Sportvereinen einen Geldsegen: Etwas mehr als 400.000 Euro haben drei Turnvereine seit Dezember 2022 vom Land bekommen, Becker übergab die Förderbescheide. Doch dafür sei er nicht der richtige Mann gewesen, kritisiert die SPD. Denn Sportförderung liege im Zuständigkeitsbereich von Innenminister Peter Beuth (CDU). Becker dagegen ist Staatssekretär für Europaangelegenheiten.

Da drängt sich die Frage auf: Nutzt der im November von der CDU zum OB-Kandidaten gekürte Becker womöglich seine Position in der Landesregierung aus, um sein Gesicht in der Heimat in ein besonders positives Licht zu rücken?

Becker: "In der Aufregung steckt mehr Wahlkampf"

Für die SPD-Fraktion im Landtag ist der Fall eindeutig. "Herr Becker verschafft sich damit einen Wettbewerbsvorteil", urteilt der Fraktionsvorsitzende Günter Rudolph. Das könne unter Umständen auch zur Anfechtung der Wahl führen. "Das ist ein Vorgang, bei dem die CDU die Grenzen eindeutig überschreitet, und deswegen lassen wir denen das nicht durchgehen." In Wahlkampfzeiten habe man sich zurückzuhalten.

Der gescholtene OB-Kandidat Becker findet die Kritik überzogen: "Ich habe in den letzten Monaten viele Bescheide übergeben, so auch in Frankfurt". Es sei selbstverständlich, dass unterschiedliche Mitglieder der Landesregierung Bescheide an Vereine und Organisationen übergeben, oft werde dabei geschaut, wer aus welcher Region kommt. "Ich finde, dass in dieser Aufregung mehr Wahlkampf steckt als in der Übergabe von Bescheiden", so Becker.

In der Sitzung des Hauptausschusses im Landtag am Donnerstagvormittag nahm zusätzlich der Staatskanzlei-Chef Wintermeyer (CDU) Stellung. Er sprach von einer Skandalisierung und fügte hinzu: "Viele sitzen im Glashaus und werfen mit Steinen. Und irgendwann bricht das Glashaus zusammen."

Rechtsprofessor sieht Verstoß

Verfassungsrechtler Georg Hermes, Professor für öffentliches Recht an der Frankfurter Goethe Universität, sieht in dem Fall allerdings einen "krassen Fall" von Verfassungsbruch. Vor gut 20 Jahren vertrat er die Grünen vor dem Hessischen Staatsgerichtshof, damals ging es um unrechtmäßige Parteispenden an die CDU.

Zum aktuellen Fall sagt Hermes: "Der Umstand, dass Herr Becker, ohne zuständig zu sein, aktiv geworden ist, ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass hier in verfassungswidriger Weise Wahlkampf gemacht worden ist." Das sei auch keine kleinliche Kritik, es gehe um ein ganz grundlegendes Verfassungsprinzip - "nämlich, dass die Regierung mit ihren amtlichen Mitteln, Ressourcen und Steuergeldern neutral bleiben muss, wenn es um Wahlkampf geht. Dagegen ist hier verstoßen worden."

Die Tatsache, dass Beckers OB-Konkurrent Mike Josef von der SPD der amtierende Sportdezernent in Frankfurt ist, sei ein zusätzliches Indiz dafür, dass es sich um eine "Wahlkampf unterstützende Maßnahme" handele, so Hermes.

Auch Vorwürfe gegen die SPD

Allerdings heißt es auch bei der SPD womöglich: Wo getwittert wird, da fallen Federn. Kurz bevor Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl nominiert wurde, widmete sie ihren Twitter-Account um. Dieser soll künftig nicht mehr von Mitarbeitern ihres Berliner Ministeriums betreut werden, weil über den Account auch vom Wahlkampf in Hessen berichtet werden soll. Klare Trennung von Amt und Wahlkampf, so Faesers Credo - theoretisch.

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Doch ganz so einfach kann sich Nancy Faeser den Account-Wechsel nicht machen, findet die politische Konkurrenz. Die Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU) wies als Antwort auf den Tweet darauf hin, dass die Menschen Faeser in ihrer Funktion als Bundesministerin folgten, nicht als hessische Spitzenkandidatin.

Gülers Bundestags-Kollege Matthias Hauer (CDU) pflichtete bei, er finde es "unanständig", dass Faeser durch ihr Amt als Ministerin so viele Follower gewonnen habe, die sie nun mit ihrem Wahlkampf erreichen könne. Immerhin handelt es sich um rund 80.000 Follower mehr innerhalb eines Jahres, wie die SPD auf hr-Anfrage mitteilt.

Aus Sicht des Frankfurter Verfassungsrechtlers Georg Hermes war das Kind schon in den Brunnen gefallen, als Faeser ihren Account zum ersten Mal umgewandelte – nämlich nach ihrer Ernennung zur Bundesinnenministerin. Grundsätzlich müsse es getrennte Accounts von Privatperson, Ministerin und Parteipolitikerin geben. "Das ist hier schief gelaufen", so Hermes, "schon in dem Moment, als Frau Faeser Ministerin wurde, hätte sie einen neuen Minister-Account anlegen müssen."

SPD: Keine Vermischung der Ressourcen

Ein SPD-Sprecher sagte auf hr-Anfrage, es sei nicht geplant, zwei separate Accounts für Faesers Wahlkampf und ihr Ministeramt anzulegen, denn sie habe klargemacht, dass es keine Vermischung von dienstlichen und parteipolitischen Ressourcen geben werde. "Wir nehmen viel Lob für die offene und transparente Kommunikation von Frau Faeser wahr", so der Sprecher. In dem vielzitierten Tweet sei "absolute Transparenz" hergestellt worden, hieß es auch aus Faesers Wahlkampfteam.

Grundsätzlich gibt Verfassungsrechtler Georg Hermes zu bedenken: "Die Rollentrennung einer Person, wann spricht Minister, wann Amtsträger und wann Parteipolitiker, ist in der Tat schwierig". Doch es gebe eine klare Regel: Sobald Steuermittel und amtliche Ressourcen wie Personal in Anspruch genommen würden, sei die Grenze überschritten.

Ob es im Fall Faeser oder Becker ein juristisches Nachspiel gibt, bleibt abzuwarten. Die SPD-Landtagsfraktion sagt, sie wolle prüfen, ob es strafrechtlich etwas zu beanstanden gebe. Eins ist indes eindeutig klar: Die Nervosität im Landtagswahljahr steigt. Der Wahlkampf hat längst begonnen.

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