Nebojsa Simic heizt den Fans in Kassel ein.

Erster gegen Zweiter in der Handball-Bundesliga - die MT Melsungen reist zum bisher alles dominierenden Spitzenreiter Füchse Berlin. Torwart Nebojsa Simic erklärt den Höhenflug der Nordhessen und äußert sich klar zu den Meisterschaftsambitionen.

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Melsungens Simic: Füchse sind nicht unschlagbar

Nebojsa Simic im Gespräch mit seinem Trainer Carsten Lichtlein und Adam Morawaski.
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Am Donnerstagabend steht das Topspiel der Handball-Bundesliga an. Die Füchse Berlin (1.) mit neun Siegen aus neun Spielen empfangen die Überraschungsmannschaft MT Melsungen (2.). Die Nordhessen haben bisher nur ein einziges Spiel verloren; die gute Form lag auch am überragenden Torwart Nebojsa Simic. Im Interview äußert sich der montenegrische Nationalspieler zu den Gründen für den Höhenflug und warum er sich am Dienstag über seine Teamkollegen ärgerte.

hessenschau.de: Nebojsa Simic, Sie sind großer Fan von Basketballer Luka Doncic, am Montag im Spiel gegen Erlangen standen Sie selbst weit vor Ihrem Tor wie bei einem Dunking in der Luft...

Nebojsa Simic: (lacht.) ... ja, das war wie ein Block! Und es stimmt: Ich bin großer Doncic-Fan. Wir spielen in der Mannschaft mit insgesamt acht Kollegen eine Fantasy-Liga aus. Am Dienstag war Draft, aber ich bin nur an sechster Stelle dran gewesen. Also werde ich Luka wohl nicht mehr in meine virtuelle Mannschaft bekommen.

hessenschau.de: Es scheint in der MT-Mannschaft zu stimmen. So gibt es nicht nur diese Spiele, sondern auch gemeinsame Abendessen mit den Familien. Ist der Zusammenhalt im Team besser geworden im Vergleich zu den Vorjahren?

Simic: Ja, wir haben uns in der vergangenen Woche in einem Café getroffen, das war ein toller Abend. Natürlich hatten wir auch in der Vergangenheit einige Termine mit der Mannschaft, aber meist waren dann Fans oder Sponsoren dabei. Jetzt treffen wir uns in einer internen Runde. Ohne Frage ist es einfacher zusammenzustehen, wenn man gewinnt und erfolgreich ist, aber wir haben uns auch zuletzt nach der Niederlage in Erlangen getroffen.

hessenschau.de: Dies war die einzige Pleite der MT - nach einem direkten Freiwurf in letzter Sekunde über den Zwei-Meter-Mann Dainis Kristopans hinweg. Was war denn da los?

Simic: Der Gegner hat mit seinem Handgelenk die linke Seite angetäuscht und dann die rechte Seite genommen. Er hat genau diese kleine Lücke gefunden, das war auch Glück, es passiert ein Mal bei 50 Versuchen.

hessenschau.de: Spaß beiseite, Kristopans ist einer der entscheidenden Spieler in Ihrem Team. Gerade in engen Phasen wirken er und mittlerweile auch der Rest des Teams vollkommen unbeeindruckt.

Simic: Das stimmt. Hannover, Lemgo oder Erlangen sind gegen uns nah heran gekommen - doch wir geben in diesen Momenten einfach ein bisschen mehr Gas und machen das Spiel fertig. Wir haben seit Saisonbeginn einfach diese Gewinner-Mentalität in uns und werden nicht mehr nervös. Früher gerieten wir in diesen Phasen ins Grübeln, doch jetzt denkt keiner mehr nach. Wenn es eng wird, sch... egal.

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Melsungen schlägt Erlangen am Ende deutlich

Erik Balenciaga von der MT Melsungen
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hessenschau.de: Zu Ihnen persönlich: Stefan Kretzschmar hat Sie und Adam Morawski als zurzeit bestes Torhüter-Duo der Liga bezeichnet...

Simic: Da sagen Sie ihm 'Vielen Dank' für die netten Worte. Das liegt aber auch an unserer Spielweise, wir agieren nun viel moderner. Letztes Jahr lag unser Fokus auf der Defensive, nun spekulieren wir auch auf Fehlwürfe, laufen dann viel mehr und schaffen vorne fast jedes Spiel 30 Tore. Da brauchst du als Torhüter zehn bis zwölf Paraden, musst vor allem bei den 'klaren Würfen' da sein und zack, gewinnen wir es.

hessenschau.de: Ihr Torwarttrainer Carsten Lichtlein hat im Interview bei uns schon im Januar erklärt, dass ein Fokus der Trainingsarbeit auf diesen freien Würfen und Durchbrüchen liege. Zahlt sich die Arbeit nun aus?

Simic: Carsten ist ein unglaublicher Faktor für uns. Er hat 20 Jahre gespielt, auch gegen viele heutige Spieler noch selbst im Tor gestanden. Er verfügt über eine große Erfahrung, besitzt eine positive Einstellung - er macht uns nur besser. Ich sehe ihn gleichzeitig als Trainer und Freund. Ich bin so zufrieden, dass er in meinem Leben ist.

hessenschau.de: Sie werden überall hochgelobt, auch wenn in der Statistik der gehaltenen Bälle und Paraden andere Torhüter vor Ihnen liegen.

Simic: Da bin ich nur Fünfter oder so, richtig. Aber Statistiken drehen sich nur um Zahlen, da wird nicht aufgeführt, wie oft wir im Tor wechseln oder wie wichtig eine Parade für das Spiel war. Bei uns geht es auch viel ums Timing und wie wir Einfluss auf das Spiel nehmen. So etwas können Sie in Statistiken nicht lesen.

hessenschau.de: Dann lassen Sie uns über eine unverrückbare Statistik sprechen, die Tabelle. Da ist Ihr Team überraschend Zweiter. Was macht die MT so viel besser als in der vergangenen Saison?

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Simic: Gidsel ist der beste Spieler der Welt

Nebojsa Simic gegen Hannovers Vincent Büchner.
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Simic: Der Angriff ist entscheidend. Wenn du 30 Tore machst, kannst du jeden Gegner schlagen. Wichtig ist, dass wir viel mehr laufen, auch mehr Tore aus dem Tempogegenstoß erzielen und nicht direkt jeden Wurf nehmen. Erik (Balenciaga) öffnet mit seinen schnellen Bewegungen und Pässen viele Räume. Sehen Sie, seine Stärken tauchen auch in keiner Statistik auf. Wir spielen insgesamt die Angriffe ruhig aus, wir werfen nicht aus schlechten Positionen. So haben wir eine richtig gute Wurfquote (mit 71,61 Prozent die zweitbeste der Liga, die Red).

hessenschau.de: Wo Sie gerade die Offensive einer Mannschaft ansprechen. Am Donnerstag wartet bei den Füchsen Berlin mit Mathias Gidsel ein überragender Spieler. Wie wollen Sie ihn stoppen?

Simic: Für mich ist er derzeit der beste Spieler der Welt. Er kann alles, eins gegen eins, Bälle klauen, werfen, er attackiert 60 Minuten und gönnt sich keine Pausen. Wir müssen aufpassen, dass er nicht durchkommt und müssen ihn zwingen, von draußen zu werfen. Aber wir werden auch unsere Chancen haben.

hessenschau.de: Die Füchse Berlin haben neun von neun Spielen gewonnen. Was ist für die MT überhaupt möglich?

Simic: Es ist schwierig, sich auf die Füchse vorzubereiten. Wir analysieren sie, aber es gibt keine klaren Wurfbilder. Sie sind schwer auszurechnen, deswegen sind sie auch Erster. Aber ich sage auch: Sie sind nicht unschlagbar. Die Füchse haben gegen Hannover, Stuttgart oder Leipzig gerade so überlebt in engen Spielen. Das hat mir gezeigt: Man kann gegen sie gewinnen. Für uns ist am Donnerstag alles drin.

hessenschau.de: Viele Experten zählen die MT schon zu den Meisterkandidaten. Und Sie?

Simic: Wichtig ist, dass wir zurück nach Europa kommen. Die Endplatzierung steht noch in den Sternen, aber selbst wenn wir zwei, drei Plätze noch abrutschen sollten, haben wir auch damit eine gute Platzierung erreicht. Wir haben nicht die Meisterschaft oder Champions League als Ziel ausgegeben, also verspüren wir keinerlei Druck. In der Bundesliga gibt es auch keinen Sprung vom neunten Platz auf den ersten.

hessenschau.de: Neunter war die MT in der vergangenen Saison. Also glauben Sie nicht an die Meisterschaft?

Simic: Der Sprung wäre zu groß in dieser Liga. Mannschaften wie die Füchse oder Magdeburg wurden auch erst einmal Fünfter oder kamen in die Top 3, bis sie so weit waren. Man muss sich heranpirschen, eine feste Mannschaft, ein festes System etablieren. Wir haben in den vergangenen Jahren zu viele Spieler getauscht, wir brauchen erst einmal Kontinuität und dann schauen wir mal. Jetzt im Moment sage ich Ihnen ehrlich: Wir wollen wieder nach Europa und das ist schwer genug. Wir haben es schließlich in den vergangenen Jahren nicht geschafft.

Das Gespräch führte Ron Ulrich.